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Magazin Mitbestimmung

Netzumbau: Dringlicher Bedarf

Ausgabe 11/2013

Ver.di-Vorsitzender Bsirske will die Eigentumsfrage am Netz neu stellen und fordert eine nationale Netzgesellschaft. Von Annette Jensen

Die Stromnetze sind zum Nadelöhr der Energiewende geworden. Waren die Leitungen früher Einbahnstraßen von großen Kraftwerken zu den Verbrauchern, geht es heute kreuz und quer: Von vielen Anschlüssen wird mal Energie eingespeist und mal abgenommen. Und die neuen Anlagen stehen großteils nicht in den Regionen mit dem größten Bedarf. Vor allem der Windstrom aus dem Norden muss über Hunderte von Kilometern in Richtung der Industriezentren im Westen und Süden gebracht werden. Zugleich aber gibt es auch viele ungeklärte Effizienzpotenziale. So ist umstritten, in welchem Umfang Leitungen tatsächlich gebraucht werden – und trotzdem muss der Umbau sofort beginnen.

Die Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion, 50Hertz und Transnet BW gehörten früher zu vier großen Stromerzeugern, doch mit der Liberalisierung des Strommarktes schrieb die EU ihre vollständige Trennung von den Kraftwerksbetreibern bis März 2012 vor. Sie sind verpflichtet, das Netz so auszubauen, dass neue Wind- und Solaranlagen etwa ihren Strom einspeisen können. Die Kosten finanzieren die Kunden über die Netzentgelte.

Anschluss und Vernetzung der Offshore-Windparks an der Nordsee kosten viel, viel Geld: „Wenn Tennet nicht in der Lage ist, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen und sogar die Versorgungssicherheit gefährdet ist, muss die Eigentumsfrage am Übertragungsnetz neu gestellt werden“, fordert der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Seine Gewerkschaft ist zuständig für leitungsgebundene Energien und verlangt seit Längerem eine nationale Netzgesellschaft, in der der Staat das Sagen hat; schließlich sei die Stromversorgung öffentliche Daseinsvorsorge.

36 Hochspannungsleitungen gelten inzwischen als „vordringlicher Bedarf“, sie plant und genehmigt die Bundesnetzagentur. Auch die Einspruchsmöglichkeiten von Bürgerinitiativen wurden von Staats wegen eingeschränkt; es gibt nur noch eine einzige Klageinstanz, beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die meisten dieser Leitungen werden als überirdische 380-KV-Freileitungen gebaut werden. Doch das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) von 2009 sieht für vier Pilottrassen auch die Möglichkeit einer unterirdischen Verlegung vor, wie es viele Anwohner wünschen. Man tastet sich in diversen Szenarien voran: Sollen die Elektrizitätsautobahnen mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) großräumig ausgebaut werden, zumal sich über diese wesentlich größere Mengen transportieren und Übertragungsverluste massiv reduzieren lassen? Oder werden den Stromtransfer die regionalen Verteilnetze – für die Stadtwerke und Regionalversorger zuständig sind – weitgehend übernehmen können, weil die Konverter-Technologie (Smart Grids) rasch Fortschritte macht? Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat entsprechend ergebnisoffen den Neubau der Leitungen bei entweder 135 000 oder 193 000 Kilometern veranschlagt und geht von einem Investitionsbedarf von 27,5 oder 42,5 Milliarden Euro aus.

Wie umfangreich der Netzausbau werden muss, liegt natürlich auch am künftigen Strombedarf. Von daher ist „Energieeffizienz die wirtschaftlichste Säule der Energiewende, weil Energie gar nicht erst produziert werden muss“, betont die Deutsche Energie-Agentur, dena. Um Spitzen bei der Nachfrage abzufedern, haben die Übertragungsnetzbetreiber schon erste Verträge mit Großabnehmern der energieintensiven Industrie geschlossen, die bereit sind, sich binnen Sekunden vom Netz trennen zu lassen, und dafür Geld kassieren. So wie die Aluminiumhütte von Trimet in Essen, die bei Engpässen ihren Stromverbrauch von 270 Megawatt kappen und dabei eine Stunde ohne Strom bleiben kann.         

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