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Amelie Sutterer-Kipping  Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Direktanstellungsgebot – auch bei Paketzustellung und Saisonarbeit

Ausgabe 02/2025

Amélie Sutterer-Kipping beleuchtet Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie und ihre Konsequenzen für prekär Beschäftigte in anderen Branchen.

Der mediale Aufschrei während der Coronapandemie war groß: In den Schlachthöfen fand das Virus im Mai 2020 optimale Verbreitungsbedingungen. Hier arbeiteten Menschen extrem lange auf engstem Raum zusammen. Viele der Werkvertragsbeschäftigten kamen aus dem Ausland und lebten in Sammelunterkünften in Mehrbettzimmern. Von ihrem geringen Lohn mussten sie nicht selten Wuchermieten zahlen. Gewerkschafter hatten schon lange auf diese menschenunwürdigen Bedingungen hingewiesen. Zwar gab es freiwillige Selbstverpflichtungen der Betriebe, soziale Standards einzuhalten und weniger auf Subunternehmerstrukturen zurückzugreifen, sie blieben aber meist wirkungslos.

Erst massenhafte Coronaausbrüche in der Fleischindustrie setzten die Öffentlichkeit und die Politik in Bewegung, sodass die Lage der Beschäftigten sich allmählich verbesserte. Der Bundestag verabschiedete Ende 2020 das Arbeitsschutzkontrollgesetz, kurz ASKG. Die wohl wirkungsvollste Maßnahme des ASKG ist das Direktanstellungsgebot im Kernbereich der fleischwirtschaftlichen Produktion, bei Schlachtung, Zerlegung, Fleischverarbeitung. Hier dürfen seither nur Beschäftigte arbeiten, die direkt beim Betriebsinhaber angestellt sind. Der Einsatz von Werkvertragsunternehmen, Soloselbstständigen sowie Leihbeschäftigten ist damit verboten. Ziel des Direktanstellungsgebots ist es, die systematische Spaltung der Belegschaften zu beenden, Arbeitsschutzkontrollen zu vereinfachen sowie geltendes Recht, insbesondere Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, durchzusetzen.

Verschiedene Unternehmen reichten Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz ein, die Mehrzahl wurde aber bereits auf der Ebene der Zulässigkeit zurückgewiesen. Derzeit ist noch eine Verfassungsbeschwerde anhängig.

Das Hugo Sinzheimer Institut (HSI) hat eine Studie in Auftrag gegeben, die demnächst in der HSI-Schriftenreihe erscheinen wird. Sie untersucht die Verfassungs- und Unionskonformität des Direktanstellungsgebots in der Fleischindustrie und geht darüber hinaus der Frage nach, ob die im ASKG gefundenen Lösungen auf andere Branchen übertragbar sind. Die Krux liegt darin, dass eine Übertragbarkeit vergleichbare prekäre Beschäftigungsstrukturen der jeweiligen Branche voraussetzt.

Manfred Walser und Anneliese Kärcher von der Hochschule Mainz haben sich für die Studie insbesondere zwei Branchen angeschaut: die Paketzustellung und die landwirtschaftliche Saisonarbeit. Sie untersuchen, ob das Arbeitsschutzkontrollgesetz Modellcharakter für die Durchsetzung von Arbeitsrecht und Arbeitsschutzrecht auch in diesen Branchen hat.

Nach einer umfassenden Analyse der gegenwärtigen Beschäftigungsbedingungen in den jeweiligen Branchen sowie in der Fleischwirtschaft vor und nach Inkrafttreten des Arbeitsschutzkontrollgesetzes kommen Walser und Kärcher zu dem Ergebnis, dass das Direktanstellungsgebot sowohl in der Fleischwirtschaft als auch in der Paketzustellung aus verfassungs- und unionsrechtlicher Perspektive geboten ist und den Aufbau von Mitbestimmungsstrukturen ermöglicht. Für die Übertragung eines Direktanstellungsgebots auf andere, vergleichbare Branchen haben sie einen Kriterienkatalog entwickelt. Ausgehend von den festgestellten Kontroll- und Durchsetzungsdefiziten in den betrachteten Branchen, empfehlen sie zentralisierte Arbeitsinspektionen mit umfassenden Kontrollkompetenzen sowie erweiterte Möglichkeiten zur Durchsetzung von Mindestarbeitsbedingungen.


AMÉLIE SUTTERER-KIPPING ist Referatsleiterin für Arbeits- und Sozialrecht am Hugo Sinzheimer Institut.

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