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Magazin Mitbestimmung

: Dienen, nicht zocken

Ausgabe 12/2011

FINANZSEKTOR Die Turbulenzen in der globalen Finanzwirtschaft drohen die Wirtschaft in eine tiefe Rezession zu ziehen. Viele Politiker und die Gewerkschaften fordern deshalb einen raschen Umbau des Bankensystems. Dieses soll sich zukünftig wieder auf seine Rolle als Kapitalbeschaffer für die Realwirtschaft besinnen. Von Guntram Doelfs

GUNTRAM DOELFS ist Journalist in Berlin/Foto: Björn Kietzmann

Längst regiert wieder die Angst. Alles scheint so zu sein wie in jenen Septembertagen 2008, als die Investmentbank Lehman Brothers pleiteging. In den Spitzenetagen der Banken herrscht erneut das große Misstrauen, wieder leiht eine Bank der anderen kein Geld mehr. Am 30. November mussten Notenbanken aus aller Welt in einer gemeinsamen Aktion Banken stützen, um eine Kreditklemme abzuwenden. Die Intervention demonstrierte eindrücklich, wie bedrohlich die Lage inzwischen wieder ist. Nervosität und schleichende Panik regieren die weltweiten Börsen – und gefährden immer stärker den mühsamen wirtschaftlichen Aufschwung nach der Lehman-Pleite. „Viele Geschäfte im Finanzsektor sind inzwischen völlig losgelöst von der Realwirtschaft. Da hat sich ein Eigenleben ohne jede Markttransparenz entwickelt“, kritisiert Mehrdad Payandeh, der beim DGB-Bundesvorstand die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik leitet.

Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel zog daher vor Kurzem im Berliner Tagesspiegel eine vernichtende Bilanz. Der Kapitalismus sei nur „durch Schrumpfen und Regulierungen zu retten (…) Finanzmärkte sollten auf ihre dienende Funktion zurückgeschraubt werden“. Was Hickel vorschlägt, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Erschreckt von drei Jahren Dauerchaos an den Börsen, unterstützen inzwischen neben Globalisierungsgegnern, Gewerkschaften, Oppositionsparteien und einigen Ökonomen auch eine wachsende Zahl konservativer Politiker diese Forderung.

Die Einsicht, dass es ohne eine Regulierung der Banken nicht mehr geht, zeigt die jüngste Kehrtwende von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble. Erst verdammten sie über Jahre die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer als Teufelszeug, nun sind sie dafür. Dennoch: Eine konsequente Regulierung des Finanzsektors ist bislang „viel zu wenig und zu zaghaft geschehen“, urteilt Margit Köppen vom Funktionsbereich Grundsatzfragen beim Vorstand der IG Metall.

SCHWIERIGE GRENZZIEHUNG_ Doch was meint die populäre Forderung nach einem „dienenden Finanzsektor“ eigentlich genau? In der öffentlichen Debatte wird es schnell diffus, wenn es um Details, noch mehr aber um die Frage eines tragfähigen Gesamtkonzepts geht. Einigkeit herrscht immerhin über die zentralen Aufgaben, die ein dienender Finanzsektor übernehmen soll. „Banken müssen in der Tendenz wieder auf ihr Kerngeschäft zurückgeführt werden“, formuliert Margit Köppen den Konsens. Dazu gehören die Bereitstellung von Krediten für Unternehmen, die Absicherung vor allem von Wechselkursrisiken und das Einsammeln von Kapital für Investitionen in der Realwirtschaft.

Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europäischen Parlament, hält die Forderung nach einem dienenden Finanzsektor jedoch für nicht ausreichend. Sie beschreibe nicht alle notwendigen Veränderungen bei der Regulierung des Finanzsektors, warnt er. Zunächst ginge es um eine grundsätzliche Wiederherstellung von wichtigen Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Dazu gehörten der Kampf gegen Kartelle sowie das Anerkennen eines Haftungsrisikos. „Jeder, der in Hoffnung auf Gewinne investiert, hat auch das Risiko zu tragen“, so Giegold.

Die Probleme beginnen schon mit dem Versuch, sich einen Überblick über die Materie zu verschaffen. Das ausufernde Investmentbanking der vergangenen 20 Jahre ist derart komplex, dass eine „trennscharfe Unterscheidung zwischen spekulativen und dienenden Teilen der Finanzwirtschaft nicht möglich ist“, sagt Sven Giegold. Zwar gebe es im Bereich von Investmentfonds hochspekulative Finanzkonstruktionen, denen man „durch Verbote das Handwerk legen sollte“. Eine pauschale Schuldzuweisung, wie sie etwa Die Linke mit ihrer Forderung „Spekulation verbieten“ vornimmt, hält der grüne Finanzexperte jedoch für Unsinn. „Wir brauchen diese Elemente.“ Gleichwohl dürfe so eine Argumentation aber nicht dazu führen, „das gesamte Wettbüro zu rechtfertigen“, warnt die IG-Metall-Expertin Margit Köppen. Unternehmen in der Realwirtschaft bräuchten nicht eine riesige Palette an maßgeschneiderten Derivaten, um aus jeder Finanzierung maximalen Profit zu ziehen. Nur wo zieht man exakt die Grenzen? Es ist eine komplizierte Situation, die unabhängige Expertise und keine einfachen Antworten verlangt. Margit Köppen plädiert daher für eine öffentliche Zulassungsstelle für Finanzprodukte bei der europäischen Finanzaufsichtsbehörde ESMA. „Dabei muss ein großer Teil der heute möglichen Derivate, Fonds und Wertpapiere auf der Strecke bleiben“, fordert die Gewerkschafterin.

KNALLHARTE LOBBYISTEN_ Auch die Gewerkschaften kämpfen mit der tückischen Materie und arbeiten sich seit 2008 mühsam ein. „Wir haben zwar genügend Volkswirte, aber eigentlich müssen es Bankenspezialisten sein. Die haben wir nicht“, beschreibt Thomas Student, Leiter des Ressorts Wirtschaftspolitik bei der IG BCE, das Problem. Die Folge: „Wir haben das systemische Risiko bei den Banken anfangs nicht so eingeschätzt“, sagt der Fachmann der IG BCE selbstkritisch. Und noch eine Eigenheit der Branche wurde offenbar unterschätzt. „Der Finanzsektor zeichnet sich durch eine rücksichtslose Lobbyarbeit aus, die ich so aus anderen Branchen nicht kenne“, so Student.

EU-Politiker aus unterschiedlichen Parteien und auch Gewerkschaften starteten deshalb im Sommer den gezielten Versuch, eine Gegenlobby aufzubauen, und gründeten „Finance Watch“ (siehe Interview).

Bislang kommt trotz eskalierender Krise eine effektive Regulierung der Finanzmärkte kaum voran, obwohl auf EU-Ebene etliche gesetzliche Regelungen im Detail verabschiedet wurden. „Das Problem ist nur, dass diese von vornherein nicht ambitioniert genug waren oder von der Finanzmarktlobby verwässert wurden“, meint Margit Köppen. Bislang erschöpft sich daher die Regulierung in der EU auf kleinere Einzelmaßnahmen, wie etwa das Verbot von Wetten mittels bestimmter Formen von Kreditderivaten (CDS = Credit Default Swaps) auf Staatsbankrotte, deren Staatsanleihen man gar nicht besitzt. Zudem soll die niedrige Eigenkapitalquote der Banken (Basel III) steigen. Die Kritik von Finance-Watch-Generalsekretär Thierry Philipponnat, die Politik würde aktionistisch jede Woche einen anderen Gesetzentwurf medial durchs Dorf treiben, aber kein Gesamtkonzept zur Finanzmarktregulierung vorlegen, teilt Margit Köppen. „Die weit verbreitete Zustimmung zur Finanzmarktregulierung ist mehr Schein als Sein. Denn alle Regulierungsbemühungen stellen die bestehenden schädlichen Geschäftsmodelle nicht grundsätzlich in Frage“, sagt sie.

ES FEHLT DER POLITISCHE WILLE_ An einem Mangel an Lösungsvorschlägen liegt das nicht, sie liegen auf dem Tisch. Zum einen müssen die „dienenden Funktionen der Geschäftsbanken gegenüber dem hochriskanten Investmentbanking abgeschottet werden“, fordert Ökonom Rudolf Hickel. Im Klartext bedeutet das die erneute Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken, die es früher schon einmal gab. Ferner sollte eine Finanzmarkttransaktionssteuer spekulative Geschäfte im Verhältnis zur Realwirtschaft „gesundschrumpfen, aber nicht verhindern“, sagt Sven Giegold. Gleichzeitig gehört der wild wuchernde Schattenbankensektor mit Finanzprodukten, die keiner Börsenaufsicht unterliegen, direkt an die Börse. Die gefährlichsten Spekulationsinstrumente „sollten schlicht verboten werden“, fordert Hickel – eine Einigung darüber vorausgesetzt, welche Finanzkonstrukte das denn sind.

Ein wesentliche Rolle spielt beim Versuch, die Banken wieder für die Realwirtschaft einzufangen, die zukünftige Höhe der Eigenkapitalquote der Institute. Die bislang geringen Quoten von durchschnittlich fünf bis zehn Prozent haben das rasante Anwachsen hochspekulativer Produkte noch gefördert, denn im Problemfall wurde bei entsprechender Umsatzgröße die Bank schnell „systemrelevant“ – der Steuerzahler musste eingreifen. Das Problem ist seit 2008 bestens bekannt, grundlegend geändert hat sich in der EU bislang nichts. „Selbst die nun verbindlich angepeilte Quote in der EU ist viel zu niedrig. Die Eigenkapitalquote sollte Richtung 30 Prozent gehen“, empfiehlt Thomas Student von der IG BCE. Problem: Ist die Eigenkapitalquote zu hoch, kann das massiv die Kreditvergabe von Banken austrocknen – wie am Beispiel der Commerzbank zu beobachten ist, die wegen höherer Vorgaben erneut heftig ins Wanken gerät und ihre langjährige Rolle als Kreditgeber für deutsche Windanlagenbauer quasi aufgegeben hat. Was dennoch möglich ist, wenn der politische Wille vorhanden ist, zeigt das Bankenparadies Schweiz. Dort hat das Parlament Ende September die Eigenkapitalquote für Schweizer Banken auf 19 Prozent angehoben.

Vorschläge für einen dienenden Finanzsektor gibt es also genug. Was fehlt, ist ein Gesamtkonzept und vor allem der politische Wille, den Worten auch Taten folgen zu lassen. „Wenn man jetzt nicht kurzfristig bei der Bankenregulierung europäisch und im Sinne der Realwirtschaft handelt, wird das zu einer tiefen Rezession in Europa beitragen“, ist sich Sven Giegold sicher. DGB-Ökonom Mehrdad Payandeh geht für diesen Fall noch weiter. „Dann verliert das ganze System seine Legitimation. Dieser entfesselte Kapitalismus hat ausgedient, er kann nicht für Wohlstand für alle sorgen.“

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