Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungVon CARMEN MOLITOR: Die Zukunft der Opelaner
Betriebsrat Für die Arbeitnehmer lautet die große Frage beim Opel-Verkauf: Können Standort- und Tarifverträge und damit das, was die Arbeitnehmerseite „besitzt“, in vollem Umfang erhalten bleiben? Opel-Betriebsrat und IG Metall fordern gerichtsfeste Zusagen.
Von CARMEN MOLITOR
Es war schon ein gehöriger Schrecken, der den Opel-Beschäftigten, ihren Betriebsräten und Gewerkschaftern durch die Glieder fuhr, als Nachrichtenagenturen am 14. Februar das Ende der Verbindung von Opel und General Motors (GM) meldeten. „Gut informierte Kreise“ hatten den Journalisten die Neuigkeit gesteckt und zu diesen Gutinformierten gehörten weder die Arbeitnehmervertreter noch der Opel-Vorstand selbst. Der amerikanische Konzern hatte sie im Dunkeln darüber gelassen, dass er das Tochterunternehmen an den französischen PSA-Konzern verkaufen will und die Verhandlungen bereits seit Monaten liefen.
Mitbestimmungskultur verletzt
Als indiskutable Verletzung der Mitbestimmungskultur kritisierten die IG Metall und die Betriebsräte diese Informationspolitik. Sie waren überrascht, wie weit die konkreten Verhandlungen mit PSA schon fortgeschritten waren. Die Trennungsabsicht an sich verwunderte sie nicht. Opel/Vauxhall war seit 1999 nicht mehr aus den roten Zahlen gekommen. Auch für 2016 hatte GM einen operativen Verlust der europäischen Tochter in Höhe von 257 Millionen Dollar gemeldet, eine deutliche Verbesserung gegenüber 2015, aber doch noch von dem angestrebten Ziel entfernt, 2016 endlich die Verlustzone zu verlassen.
Aus Sicht des Opel-Betriebsrats war der Wille von GM, in die Modernisierung der Opel-Werke zu investieren und die Automatisierung voranzutreiben, schon länger erlahmt. Um Opel profitabel zu machen, hatte die Konzernmutter vor allem auf eine Strategie gesetzt: Personalabbau. GM halbierte die Belegschaften auf heute rund 38.000 Beschäftigte, von denen rund 19.000 in Deutschland und die Übrigen in verbliebenen Werken in Polen, Spanien, Österreich, Ungarn und Italien arbeiten.
„Das kostete alles nur viel Geld und wir haben gute Leute an Wettbewerber verloren“, kritisiert Wolfgang Schäfer-Klug, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und des Europäischen Betriebsrates sowie stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Adam Opel AG. Von daher sei ein Großteil der Milliardenverluste durch Abfindungen bedingt gewesen. „Die Arbeit musste dann von anderen, teilweise von Zulieferern erledigt werden. Das hat sich nie gerechnet.“
Zweitgrößter Autohersteller entsteht
Weder die IG Metall noch der Betriebsrat sind betrübt, dass nach 88 Jahren die Scheidung zwischen GM und Opel naht. „Wir sehen in dem Verkauf an PSA mehr Chancen als Risiken“, sagen beide Seiten. Auf „positive Synergieeffekte“ hofft Jörg Köhlinger, Bezirksleiter der IG Metall Mitte. „Mit der neuen Gesellschaft würde der nach Volkswagen zweitgrößte Automobilhersteller in Europa entstehen“, erklärt der Gewerkschafter.
Die Traditionsmarken Opel/Vauxhall auf der einen und Peugeot/Citroën auf der anderen Seite richten sich zwar an ähnliche Käuferschichten, bedienen aber unterschiedliche Märkte. „PSA ist in Südeuropa, vor allem in Frankreich und Spanien am Markt präsent, während Opel in Deutschland, Skandinavien und Großbritannien stark ist“, sagt Köhlinger. „Es muss keine Kannibalisierung der Marke Opel geben, sondern es können Komplementäreffekte erzielt werden.“
Sondierungsgespräche mit Tavares
Auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Schäfer-Klug zeigt sich optimistisch. „Es gibt schon seit 2012 eine Allianz von GM und PSA in den Bereichen Entwicklung, Einkauf und Logistik, die sehr erfolgreich ist“, erklärt er. „Mit PSA gibt es hervorragende Voraussetzungen, die Komplexität der Fahrzeugplattformen zu reduzieren und damit Fahrzeuge profitabler in den Markt zu bringen.“ Schäfer-Klug hat sich gemeinsam mit dem 1. Vorsitzenden der IG Metall, Jörg Hofmann, zu ersten Gesprächen mit Carlos Tavares, dem Vorstandsvorsitzenden des PSA-Konzerns, getroffen. „Tavares scheint ein harter Verhandlungspartner zu sein, aber mit fairen Methoden“, sagt Schäfer-Klug. „Damit gehe ich lieber um, als mit Managern, die zu schwach sind oder die ihr Wort – oder abgeschlossene Verträge – nicht halten, ohne dass Druck gemacht wurde. Das hatten wir bei GM zu oft.“
Carlos Tavares erwartet allerdings, dass Opel aus eigener Kraft Einsparungen in Milliardenhöhe stemmt. In den Medien verbreiteten sich daraufhin Prognosen von Wirtschaftsexperten, die nach dem Verkauf mit dem Verlust von 6.500 Jobs rechnen. Sowohl Betriebsrat als auch Gewerkschaft halten das für ein übertriebenes Worst-Case-Szenario. Noch bis Ende 2018 schützen Tarifverträge die Belegschaft vor betriebsbedingten Kündigungen und sichern bis 2020 Projekte und Produkte an einzelnen Standorten.
PSA hat früh signalisiert, dass man die Tarifvereinbarungen erfüllen wird. „Diese Zusage ist ein wichtiger erster Schritt“, sagt Jörg Köhlinger. „Die bestehenden Tarifverträge sind eine Brücke in die Zukunft, weil es mit ihnen kurzfristig nicht zu irgendwelchen einschneidenden Maßnahmen kommen kann.“ Er gehe davon aus, dass unter der neuen Federführung die Tarifbindung erhalten und der Flächentarifvertrag weiter gültig bleibt. Zwar könne die Zusammenarbeit auch Risiken bergen, sagt Köhlinger. „Aber es kann ein guter Weg für Opel werden. Wir müssen die Verhandlungen jetzt wachsam begleiten und handlungsfähig und bei Bedarf auch konfliktfähig sein.“
Gerichtsfeste Zusagen gefordert – und erhalten
Im März hatte ein Brief von Wolfgang Schäfer-Klug an die Beschäftigten Wellen geschlagen. Er forderte darin „gerichtsfeste Zusagen“ darüber, dass Beschäftigungs- und Standortsicherungszusagen eingehalten werden. Auf mündliche Zusagen allein mochte sich der Betriebsrat nicht verlassen. „Wir wollten erreichen, dass GM im Kaufvertrag mit PSA alles auch abbildet, was in den Tarifverträgen geregelt wurde“, erklärt Schäfer-Klug seinen Schachzug.
In einem intensiven Verhandlungsmarathon haben sie das erreicht – bis auf einige Ausnahmen, die inzwischen mit Druck des Gesamtbetriebsrats und der IG Metall ebenfalls geregelt wurden. „Dabei ging es unter anderem um die zukünftige Produktion von Exportmodellen für andere GM-Marken, die in Tarifverträgen den Standorten Rüsselsheim und Eisenach zugesagt wurden“, sagt Schäfer-Klug. „Offenbar dachte sich GM, es fällt nicht auf, wenn auf dem Weg zu PSA zwei Modelle quasi „verloren“ gehen.“ Dieses Thema ist vom Tisch und Arbeitsmangel herrscht auch künftig nicht, wie Betriebsrat und Gewerkschaft auf einer Pressekonferenz anlässlich einer Betriebsversammlung am 6. April in Rüsselsheim erklärten: In Eisenach wird ab 2019 ein Nachfolger des Mokka X gebaut, in Rüsselsheim ein neuer SUV produziert und beide Werke fertigen jetzt auch wie geplant die zunächst „vergessenen“ jeweiligen Schwestermodelle einer anderen GM-Marke. Die Komponenten für diese Modelle werden in Kaiserslautern produziert.
Auch bei den Pensionsverpflichtungen fordern Betriebsrat und Gewerkschaft Sicherheit und Transparenz für die Beschäftigten. Zwar hatten GM und PSA zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Kaufvertrages erklärt, dass General Motors für alle europäischen Pensionszusagen von Opel/Vauxhall gerade steht, während die Pensionsansprüche für die aktiv Beschäftigten zu PSA übergehen. „Jetzt wird es aber noch darum gehen, im Detail zu klären, wie die bei GM verbleibenden Pensionen abgesichert werden“, erklärte Schäfer-Klug auf der Pressekonferenz den Medienvertretern. Er und die IG Metall verlangen: Beim Übergang müssen die neuen Eigentümer alle Tarifverträge der neu entstehenden Opel GmbH unterschreiben, damit diese ihre Gültigkeit beim Verkauf an PSA in vollem Umfang behalten.
Falsche Spekulationen über Werksschließungen
Derzeit werden – noch vor dem definitiven Übergang zu PSA – alle europäischen Gesellschaften von Opel unter einem Unternehmensdach zusammengefügt. Wie das Unternehmen dann heißen wird, steht noch nicht fest. Im Betriebsrat hat es den Spitznamen „Neuer Opel“. Aus der bisherigen Adam Opel Aktiengesellschaft wird eine GmbH, wie schon vor dem Kauf beschlossen. Einen Einfluss auf die bisherige Unternehmensmitbestimmung hat das nicht. „Das ist anders als 2005, die IG Metall hat jetzt durch einen Mitbestimmungstarifvertrag das Niveau der Mitbestimmung festgeschrieben“, erklärt Schäfer-Klug. Zum Verständnis: Die 2005 entstandene GmbH war 2011 wieder in eine AG umgewandelt worden.
Wesentliche Zugeständnisse und Investitionszusagen haben Betriebsräte und Gewerkschafter bereits ausgehandelt. „Viele umfassen Projekte, die den Opel-Standorten bis Mitte der 2020er Jahre Arbeit verschaffen“, sagt Schäfer-Klug. „Deshalb sind Spekulationen über Werkschließungen falsch – auch, was die anderen europäischen Werke angeht.“ Für den Moment sieht es so aus, als ob Opel eine neue Chance bekommt, wieder flott zu werden.
Fotos: Frank Rumpenhorst