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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Die Richtlinie muss komplett vom Tisch“

Ausgabe 11/2012

DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki über die Gefahren des Marktes für Dienstleistungskonzessionen, den die EU-Kommission schaffen möchte.

Herr Matecki, die geplante EU-Richtlinie zu Dienstleistungskonzessionen setzt auf mehr Transparenz und Wettbewerb. Klingt nach einer Win-win-Situation: Kommunen müssten weniger zahlen, und die Preise für den Verbraucher könnten auch sinken. Der DGB bekämpft die Richtlinie dennoch. Warum?
Die Kommission leistet mit ihrem Vorhaben einer weiteren Liberalisierung und Privatisierung Vorschub. Es geht darum, einen Markt für Dienstleistungskonzessionen zu schaffen, mit möglichst einheitlichen europäischen Regelungen nach dem Vorbild der Vorschriften zur öffentlichen Auftragsvergabe. Betroffen wären davon insbesondere netzgebundene Bereiche wie Wasser, Energie und Abfall. Aber auch Teile des Verkehrsbereichs sowie soziale und andere besondere Dienstleistungen. Die EU-Kommission will diese Richtlinie unter dem Banner „Freier Wettbewerb und Transparenz“ durchsetzen, doch im Endeffekt drohen sogar höhere Preise und schlechtere Qualität für den Verbraucher. Wo bislang liberalisiert und privatisiert wurde, sind die Preise in der Regel nicht gesunken, sondern gestiegen – denn Konzerne handeln nicht im Interesse der Allgemeinheit, sondern ihrer Aktionäre. Insofern kann man nicht von einer Win-win-Situation sprechen, die Gewinne werden eher einseitig bei den Privaten landen. Zudem besteht die Gefahr schlechterer Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, weil tarifliche Mindeststandards künftig unterminiert werden.

Inwiefern? Für die Beschäftigten kommunaler Unternehmen wie etwa Wasserwerke gelten doch Tarifverträge.
Mit ihrem Vorschlag schränkt die EU-Kommission aber die Möglichkeiten ein, soziale und tarifvertragliche Standards in der Vergabe zu berücksichtigen. Insbesondere der Verweis auf die EU-Entsenderichtlinie ist problematisch, da diese – nach Auslegung des Europäischen Gerichtshofs – nur die Anwendung von gesetzlichen Mindestlöhnen oder allgemeinverbindlichen Tarifverträgen vorsieht. Damit könnten keine kompletten Tarifgitter mehr angewandt werden. Erhielte zum Beispiel ein Konzern mit Sitz im europäischen Ausland eine Wasserkonzession, wäre er nicht verpflichtet, die vor Ort üblichen Tarife zu zahlen, wenn es sich dabei nicht um allgemeinverbindliche Mindestlöhne handelt. Soziale Grundrechte würden damit systematisch den EU-Marktfreiheiten untergeordnet.

Welche Folgen hätte die Richtlinie für die Kommunen?
Für die öffentlichen Körperschaften als Konzessionsgeber wird es in Zukunft schwieriger, Konzessionen zu vergeben. Sie müssen maßgeschneidert an die Bedingungen vor Ort angepasst werden. Wir befürchten deshalb in der Folge des Richtlinienvorschlags weniger statt mehr Rechtssicherheit. Zudem droht das im Grundgesetz verankerte Recht der Kommunen auf Eigenverantwortung und Selbstverwaltung eingeschränkt zu werden. Für die Kommunen ist es sehr wichtig, dass sie auch in Zukunft ihre Kapazitäten bündeln und so beispielsweise einen gemeinsamen Versorger betreiben können. Doch dieses Modell ist nun in Gefahr. Die Richtlinie sagt: Kommunen dürfen kommunalen Unternehmen nicht den Vorzug geben. Durch den Ausschreibungszwang könnten nicht nur kommunale Unternehmen aus ihrem Geschäftsfeld gedrängt werden, es droht zudem ein intransparenter bürokratischer Dschungel.

Sollte die Richtlinie geändert werden – oder besser ganz vom Tisch?
Die europäischen und nationalen Gesetzgeber haben in der Vergangenheit aus gutem Grund eine solche Regelung abgelehnt: Denn auch für Dienstleistungskonzessionen gelten die Grundsätze des EU-Vertrags über Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz. Diese werden in Deutschland bei der Konzessionsvergabe ohnehin eingehalten. Der Vorschlag der Kommission erfolgt zudem gegen das explizite Votum des EU-Parlaments vom Mai 2010, das diese Richtlinie für nicht erforderlich hält. Auch die Gewerkschaften sagen ganz klar: Die Richtlinie muss komplett vom Tisch!

Die Fragen stellte Lukas Grasberger

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