Quelle: Roger Kupfer
Magazin MitbestimmungAltstipendiatin: Die Nothelferin
Gerlinde Kurzbach hat 18 Jahre lang als Katastrophenhelferin in Afrikas Krisengebieten gearbeitet. Dass die Hilfe immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein konnte, hat sie nicht entmutigt. Jetzt hat sie erst einmal genug.
Von Carmen Molitor
Ein paar Hühner scharren auf dem Hof der Nachbarn nach Körnern, eine Kirche mit dem charakteristischen Zwiebelturm des deutschen Südens grüßt vom sattgrünen Waldrand: Wenn Gerlinde Kurzbach auf den Balkon ihrer Wohnung in Freiburg-Ebnet tritt, umgibt sie eine friedliche Idylle. 18 Jahre lang war sie andere Aussichten gewöhnt: In Ruanda sah sie die Massengräber des Völkermords, in Somalia verhungernde Menschen in Flüchtlingslagern, im Süd-Sudan die extreme Armut, im Kosovo vom Krieg zerstörte Städte. Ihre Arbeit brachte das mit sich, denn Gerlinde Kurzbach ist Not- und Katastrophenhelferin. Sie war zuerst für Nichtregierungsorganisationen (NGOs), später für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Vereinten Nationen tätig. Zuletzt leitete sie für die UN-Friedensmission im Kongo eine Trainingseinheit. Vor ein paar Monaten hat sie dieses berufliche Kapitel geschlossen. „Ich hatte nach 18 Jahren einfach die Nase voll“, sagt die 53-Jährige. Gerlinde Kurzbach wuchs in Auggen auf, einem Weinort im Markgräfler Land. Der Vater war Gastwirt und Winzer. Sie besuchte die Grund- und Hauptschule, war die Beste in ihrer Klasse. „Das Mädel muss auf die höhere Schule“, rieten die Lehrer. Die Familie winkte ab. Doch Gerlinde wollte mehr und kämpfte sich zäh auf dem zweiten Bildungsweg voran. Sie holte die mittlere Reife nach, begann eine kaufmännische Ausbildung und machte, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, auf dem Kolping Kolleg in Freiburg das Abitur.
Ein Einsatz für die Aktion Sühnezeichen in Israel, eine lange Asienreise und viele Sprachkurse öffneten Gerlinde Kurzbach den Horizont für einen Beruf im Ausland. Nach einem zweimonatigen Aufenthalt in der Elfenbeinküste wurde Afrika der Kontinent ihres Herzens. Kurzbach war fasziniert von der Musik, der Landschaft, den Menschen. Das ist bis heute so geblieben. Mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung studierte sie in Hamburg afrikanische Geschichte, Afrikanistik und Ethnologie. Ihre erste Stelle erhielt sie als Somalia-Referentin bei Caritas International. Das Land erlebte eine schwere Hungersnot, und Gerlinde Kurzbach lernte schnell Wesentliches: „Als ich dort den ersten halb verhungerten Menschen gesehen habe, schrie ich laut: ‚Helft ihm, holt einen Arzt!‘“, erinnert sie sich. Ihr Chef gab ihr daraufhin den Rat, professionell zu sein und sich das Mitleid abzugewöhnen, wenn sie in dem Job überleben wolle. Das hat sie sich zu Herzen genommen. „Man muss sich hart machen, anders geht es nicht“, sagt die Kathastrophen-Managerin. Nicht Tränen, sondern allabendliche Tagebucheinträge wurden ihre Art, die Erlebnisse zu verarbeiten.
Als die Projektmanagerin einige Monate später Fernsehberichte über den Völkermord in Ruanda sah, wollte sie sofort dort helfen. Anpacken, nicht nur reden. Sie sei eben eine Macherin, erklärt Gerlinde Kurzbach. Spontan sprach sie bei NGOs vor und bekam einen Job als Ruanda-Koordinatorin bei Help e.V. Drei Monate nach dem Völkermord organisierte sie in Zaire die Grundlagen für die medizinische Hilfe und die Nahrungsmittelversorgung von Help für die ruandischen Flüchtlinge. Ihre Leistungen fielen auf, die GTZ warb sie ab. Später interessierten sich die Vereinten Nationen für Kurzbachs Mitarbeit. Zunächst arbeitete sie in Pristina im Kosovo als Beraterin für die Wiederherstellung von Wohn- und Eigentumsrechten, dann ging sie als Mitarbeiterin der Blauhelm-Friedensmission in den Kongo.
Ab 2004 lebte sie in Kinshasa, baute dort eine Trainingseinheit auf, die auch Einführungskurse für neue Mitarbeitende anbietet. „Wir waren auch das größte Sprachlerninstitut im Kongo – mit 65 einheimischen Lehrern, 136 Klassen und über 2500 Sprachstudierenden an 19 Standorten.“ Doch die Blauhelme sind dort unbeliebt, ihr Alltag spielte sich fast nur auf dem UN-Gelände ab. „Die Ablehnung hat sehr an mir genagt“, erzählt Gerlinde Kurzbach. „Ich mochte Kinshasa nicht.“ Gewöhnungsbedürftig fand sie auch die UN-Bürokratie: „Bei einer Friedensmission hat man wahnsinnig viele Regelungen zu beachten. Das war anfangs hart für mich, weil ich in der Not- und Katastrophenhilfe gewohnt war, schnell tätig zu werden. Aber die UN ist halt der Weltkörper – und das Weltbeamtentum“, seufzt Kurzbach.
Nach fast zwei Jahrzehnten in den Krisengebieten Afrikas fühlte die Managerin, dass ihr privater Preis für den aufreibenden Beruf zu hoch wurde. „Das war kein Leben mehr.“ Sie machte einen Schnitt, kehrte zurück. In ein Kriegsgebiet will sie nicht mehr, vielleicht aber zur UN nach New York oder Genf. Erst mal nimmt sie sich Zeit, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, feilt an gleich drei Manuskripten, einem Sachbuch, einem Krimi und einem Liebesroman. Als SPD-Mitglied hat sie sich in Freiburg schnell wieder engagiert, organisiert den Ebneter Kultursommer, ist als ÖPNV-Fahrgastbeirat aktiv. Sie bleibt eine Macherin.
Foto: Roger Koeppe