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Magazin Mitbestimmung

: Die Kartoffel aus dem Genlabor

Ausgabe 09/2008

BIOTECHNIK Durch Eingriffe ins Erbgut hat die BASF eine Kartoffel entwickelt, die der Industrie bessere Stärke liefert als normale Pflanzen. Doch die Technik ist umstritten, die EU verweigert die Zulassung.

Von CHRISTOPH MULITZE, Journalist in Düsseldorf/Foto: BASF SE

Die Aktion ist von langer Hand geplant: Unbekannte schneiden in der Nacht zum 21. Juni 2008 ein Loch in den Zaun, der das Gelände des BASF-Agrarzentrums in Limburgerhof bei Ludwigshafen schützt. Ihr Ziel: ein 900 Quadratmeter großes Feld, auf dem die gentechnisch veränderte Kartoffel Amflora angebaut wird. Die Eindringlinge reißen dort rund 4000 Kartoffelpflanzen heraus und zertrampeln den Acker. Die Zerstörung dauert wohl weniger als eine Stunde, doch der Schaden ist beträchtlich.

Die BASF Plant Science, eine Unternehmenstochter der BASF SE, könnte dadurch bei der Entwicklung gentechnisch veränderter Kartoffeln im schlimmsten Fall um ein Jahr zurückgeworfen werden. Und während schon kurze Zeit später Gentechnik-Gegner auf zahlreichen Internetseiten die "Feldbefreiung" bejubeln, kritisiert Edeltraud Glänzer, Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der IG BCE, die Aktion scharf: "Feldzerstörungen sind kein Kavaliersdelikt.

Die Feldversuche der BASF sind allesamt genehmigt und wichtig." Feldbefreiung hier, Feldzerstörung dort - allein diese beiden Begriffe zeigen den tiefen Riss, der beim Thema Gentechnik durch die Gesellschaft geht. Dazu eignet sich ein so wichtiges Lebensmittel wie die Kartoffel hervorragend, um die ohnehin unsachlich geführte Diskussion um die Gentechnik weiter zu emotionalisieren.

HIGHTECH HINTER FACHWERK_ Das BASF-Agrarzentrum in Limburgerhof: Besucher müssen eine Schranke und ein Pförtnerhaus passieren, um dann erst einmal an einem großen Maisfeld vorbeizulaufen. Dahinter stehen fünf Treibhäuser. An den gläsernen Türen warnen gelbe Schilder: "Kein Zutritt! S?1 Arbeitsbereich Gentechnik". Nur wenige Meter weiter befindet sich ein rund 100 Jahre altes, zweistöckiges Fachwerkhaus, das völlig fremd wirkt in der Hightech-Umgebung.

Die Zimmer sind klein, die schmale Holztreppe knarrt. "Als ich vor zehn Jahren in der Pflanzenbiotechnologie anfing, waren wir 20 Mitarbeiter. Heute sind wir rund 120 allein hier am Standort. Weltweit sind es 700", erzählt Ralf-Michael Schmidt, promovierter Biochemiker und Vice President der BASF Plant Science. Die meisten Mitarbeiter in Limburgerhof besitzen eine hohe Qualifikation: Naturwissenschaftler, Bio- und Chemotechniker, Laboranten, Ingenieure - Landwirtschaft wird in Limburgerhof nicht nur im Gewächshaus, sondern vor allem im Labor betrieben.

Sie alle arbeiten an der Entwicklung von Kulturpflanzen, die einen höheren Ertrag liefern, sich selbst gegen Krankheiten und Schädlinge schützen oder als nachwachsende Rohstoffe für Industrieanwendungen genutzt werden können, wie die Stärkekartoffel Amflora. Industriekartoffeln sind nicht besonders schmackhaft, sie werden deshalb nicht gegessen, sondern aus einem anderen Grund angebaut: Aus ihnen wird Stärke gewonnen. In herkömmlichen Kartoffeln gibt es zwei Stärkebestandteile: Amylose und Amylopektin. Für die Ernährung spielt das keine Rolle, beide Bestandteile sind dort gleichwertig.

Die Industrie aber schätzt vor allem Amylopektin: Beim Erhitzen quillt es und bildet eine klebrige Masse. In der Textil-, Papier- und Klebstoffindustrie sowie in der Bauwirtschaft wird das umweltfreundliche, natürlich nachwachsende Amylopektin als Kleister und Bindemittel genutzt. Je reiner, desto hochwertiger: Papier zum Beispiel lässt sich so besser beschichten. Die BASF schätzt den jährlichen Mehrwert von Amflora entlang der Wertschöpfungskette auf einen dreistelligen Millionenbetrag.

AMFLORA KANN ENERGIE SPAREN_ Ohne Eingriff besteht Stärke nur zu 75 Prozent aus Amylopektin; das restliche Viertel ist Amylose. Um die beiden Bestandteile zu trennen, so dass man reines Amylopektin erhält, wäre viel Wasser und Energie nötig. Deshalb haben Biotechnologen an der Kartoffel geforscht und es schließlich geschafft, die Stärkeanteile zu verändern: Das Gen, das für die Produktion von Amylose verantwortlich ist, wurde ausgeschaltet.

Zusätzlich wurde ein Selektionsmarker-Gen in die Kartoffel eingebracht, mit dessen Hilfe überprüft werden kann, ob die gentechnische Veränderung erfolgreich war. Das Marker-Gen ist resistent gegen bestimmte Antibiotika. Wenn man die Kartoffel später mit diesen Antibiotika behandelt, überleben nur die Pflanzen, bei denen die Genveränderung erfolgreich war. Das Ergebnis: eine neue Kartoffel namens Amflora. Ihr Amylopektin-Anteil in der Stärke steigt auf mindestens 98 Prozent.

"Amflora liefert den Kunden in der Papier-, Klebstoff- und Textilindustrie maßgeschneiderte Amylopektinstärke und hilft, Energie und Ressourcen zu sparen", sagt Schmidt. Bereits 1996 wurde die Zulassung für die Amflora beantragt - zum Anbau für die industrielle Nutzung und als Futtermittel. Wenn den Kartoffeln Stärke entzogen wird, bleibt als Abfallprodukt ein wässriger Brei, den die Fachleute Pülpe nennen. Diese ist sehr energiereich und wird von den Bauern deshalb gerne ans Vieh verfüttert.

Acht Jahre lag das Verfahren bei der Europäischen Union auf Eis - wegen eines Moratoriums wurden von 1998 bis 2004 gentechnisch veränderte Pflanzen in Europa nicht zugelassen. Danach wurden die Zulassungsvoraussetzungen geändert. Gentechnisch veränderte Pflanzen dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben. BASF Plant Science modifizierte den ursprünglichen Antrag.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die mit der Sicherheitsbewertung gentechnisch veränderter Pflanzen beauftragt ist, hatte bei Amflora keine Einwände. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) allerdings, die für die Sicherheit von Arzneimitteln zuständig ist, kritisiert jedoch generell den Einsatz von Marker-Genen mit Antibiotika-Resistenz, wie sie auch bei Amflora verwendet werden. Ihr Argument: die Antibiotika, gegen die die Gen-Pflanzen resistent sind, seien auch in der Human- und Tiermedizin wichtig. Die EMEA ist allerdings nicht am Genehmigungsverfahren beteiligt.

Obwohl Amflora nach BASF-Angaben also das komplette Genehmigungsverfahren erfolgreich durchlaufen hat und das Amflora-Dossier seit Juli 2007 zur Genehmigung bei der EU-Kommission liegt, hat diese die Zulassung bislang nicht erteilt. Als Grund für die Verzögerung werden die Bedenken der EMEA genannt. Für die BASF Plant Science ist das ein vorgeschobenes Argument. "Wir haben beim Europäischen Gericht erster Instanz in Luxemburg nun eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission eingereicht. Nach unserer Ansicht wurde das Zulassungsverfahren wiederholt verzögert", sagt Schmidt.

CSU GEGEN GENTECHNIK_ Den Gentechnikern der BASF Plant Science weht auch aus der Bevölkerung ein strammer Wind entgegen: In Umfragen sprechen sich, je nach Fragestellung, zwischen 60 und 80 Prozent gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel aus. Umwelt- und Verbraucherschützer sind dagegen, und auch auf konservative Kreise können die Gentechnik-Befürworter nicht zählen: Die Bauernverbände sind gespalten, ebenso die Kirchen.

Diese sehen in der Gentechnik oftmals einen Eingriff in die Schöpfung und lehnen sie daher aus ethischen Gründen ab. Selbst die CSU hat ihren einst eher gentechnikfreundlichen Kurs in der grünen Biotechnologie geändert, und ihre Kommunalpolitiker unterstützen gentechnikfreie Zonen in Bayern. Von den politischen Parteien stehen nur die Liberalen weithin geschlossen hinter der grünen Biotechnologie. "Es ist irritierend, von der FDP gelobt zu werden", sagt Iris Wolf, Leiterin der Abteilung Forschung/Technologie/Wissenschaft bei der IG BCE.

Ihre Gewerkschaft hat sich deutlich zur Gentechnik bekannt. "Bei der grünen Biotechnologie muss man allerdings genau hinschauen, mit welchen Pflanzen gearbeitet wird. Beim Raps fliegt der Pollen sehr weit, und Raps kreuzt sich sehr gut mit Wildpflanzen. Hier ist Vorsicht angebracht." Aber an der Uni Würzburg, so Wolf, hätten es Wissenschaftler schon geschafft, den Pollen unfruchtbar zu machen. "Kartoffeln werden über die Knollen vermehrt, da entfällt das Risiko der Auskreuzung."

In der Folge des Strukturwandels könne man Biotechnologie nicht einfach ablehnen. Die Studie "Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungspotenziale der Biotechnologie in Deutschland" des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem vergangenen Jahr kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2020 fast ein Drittel mehr Menschen in der Biotechnologie arbeiten werden als heute in der gesamten chemischen Industrie.

Das Arbeitsplatzpotenzial bei den direkt Beschäftigten soll sich in diesem Zeitraum um mehr als 100?000 auf dann knapp 600?000 erhöhen. Mindestens noch einmal so groß seien die Strahleffekte auf die Zulieferer, so die Studie, die im Auftrag der IG BCE, der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie und der Hans-Böckler-Stiftung erstellt wurde.

GREENPEACE IST DAS RISKO ZU HOCH_ "Auch bei einer stärkeren Anwendung der Agro-Gentechnik wird es zu keinem Beschäftigungsanstieg kommen", sagt Ulrike Brendel, Gentechnik-Expertin bei Greenpeace in Hamburg. "BASF sollte lieber in eine nachhaltige Landwirtschaft investieren." Brendel beklagt, dass es für die Amflora keine ausreichende Risikoabschätzung gegeben habe. "Die Fütterungsversuche dauerten nur einige Wochen.

Daraus kann doch niemand ernsthaft eine Unbedenklichkeit für Tier oder Mensch ableiten." Für Greenpeace ist das Risiko, dass die Kartoffel in die menschliche Nahrungskette gelangt, zu hoch - sei es über die Ernte, die Lagerung, den Transport oder bei der Verarbeitung. "Stärkehersteller haben bestätigt, dass es nahezu unmöglich ist, die Verarbeitung gentechnisch veränderter und konventioneller Kartoffeln zu trennen", so Brendel.

Die BASF Plant Science bestreitet das. "Speise- und Stärkekartoffeln werden auch heute schon erfolgreich voneinander getrennt. Wir haben für unsere Amflora ein qualitätssicherndes System entwickelt, das die Stärkehersteller übernehmen werden: Es zeigt, dass die Trennung funktioniert und nichts vermischt wird", sagt Schmidt und fügt hinzu: "Wir haben hieran auch ein Eigeninteresse. Eine Vermischung wäre für die Verbraucher absolut ungefährlich.

Allerdings müssen wir sicherstellen, dass unsere Kunden nur die hochwertige Amylopektinstärke erhalten." Die defensive Rolle, in der sich Schmidt immer rechtfertigen muss, missfällt ihm sichtlich. "Lebensmittel sind ein emotionales Gut. Die Gentechnik-Gegner können leicht Ängste schüren, indem sie eine Behauptung aufstellen. Die muss gar nicht begründet sein, ist aber dann in der Welt. Eine sachorientierte Diskussion ist unter diesen Rahmenbedingungen schwer." Das klingt fast resignierend.

DIE PR SPRICHT DEN KOPF AN, NICHT DEN BAUCH_ Michael Müller, Biotechniker und Betriebsratsvorsitzender bei BASF Plant Science, muss sich oft im persönlichen Umfeld rechtfertigen. "Immer wieder werde ich angesprochen, manchmal sogar regelrecht angefeindet. Die grüne Gentechnologie ist eben umstritten." Seine Erfahrung: Wer über naturwissenschaftliche Kenntnisse verfügt, ist argumentativ eher zu überzeugen. "Leider haben die aber nicht alle, und wer sie nicht hat, kommt oft mit diffusen Ängsten, die aber unbegründet sind. Nur ist es eben schwierig, diese auszuräumen", beklagt Müller.

Die Unternehmen hätten zu wenig und zu spät aufgeklärt, kritisiert Gewerkschafterin Edeltraud Glänzer. "Sie argumentieren oft zu naturwissenschaftlich. Sie sprechen eher den Kopf, aber nicht den Bauch der Menschen an", sagt sie. Die IG BCE ist seit drei Jahren bundesweit mit einer Wanderausstellung unterwegs, organisiert Diskussionen auch mit Gentechnik-Gegnern. Sogar beim BASF-Mutterkonzern war sie, um die Mitarbeiter zu informieren. "Die Beschäftigten der BASF sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft: Dort trifft man Befürworter und Gegner gleichermaßen", sagt Glänzer.

Wie hoch die Chancen sind, dass BASF Plant Science für die Amflora noch in diesem Jahr eine Anbaugenehmigung bekommt, kann niemand sagen. "Für uns steht fest, dass eine solche Genehmigung nur der Türöffner für weitere genveränderte Pflanzen wäre", sagt Ulrike Brendel von Greenpeace. Damit hat sie wohl Recht.

Denn es wird in Limburgerhof bereits an einer Speisekartoffel gearbeitet, die resistent ist gegen den Pilz, der die Kraut- und Knollenfäule auslöst. "Wegen dieser Pilzerkrankung gibt es Ernteausfälle von 20 bis 40, in schlechten Jahren mitunter bis 100 Prozent", sagt Biochemiker Schmidt. Geht es nach ihm, ist dieses Problem bald gelöst. "Mitte des nächsten Jahrzehnts könnte die neue Kartoffel auf dem Markt sein", schätzt er.

 

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