zurück
Magazin Mitbestimmung

: Die Hochschule der Zukunft

Ausgabe 07+08/2009

LEITBILD-DEBATTE Im November werden die Hans-Böckler-Stiftung und die Gewerkschaften ihr Leitbild für eine demokratische und soziale Hochschule vorstellen.

Von DIRK MANTEN, Bildungsreferent im ver.di-Bildungszentrum "Das Bunte Haus" in Bielefeld. Foto: radio tele nord

Der Befund ist beunruhigend: Seit der großflächigen Einführung von Studiengebühren hat sich in Deutschland die soziale Auslese beim Hochschulzugang weiter verschärft. Die mit den Gebühren verbundene zusätzliche finanzielle Belastung scheint insbesondere für Angehörige bildungsferner Milieus eine zusätzliche Barriere auf dem für sich genommen schon beschwerlichen Weg in die akademische Welt zu sein.

Nur noch die Hälfte der jungen Erwachsenen aus Nicht-Akademikerfamilien, die eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, nehmen noch ein Studium auf, ein Rückgang um zwölf Prozent. Bei Studienanfängern aus Akademikerhaushalten dagegen liegt die Studierquote unverändert bei 75 Prozent. Ist hier ein Trend angelegt, demzufolge ein Hochschulstudium zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder zum Privileg für junge Menschen aus begüterten Familien zu werden droht?

Kann das deutsche Bildungssystem den für ein demokratisches Gemeinwesen unverzichtbaren Anspruch, Chancengleichheit zu gewährleisten, in glaubwürdiger Weise aufrechterhalten, wenn es, wie es bereits die Pisa-Untersuchungen eindrucksvoll belegen, in der Tendenz dazu beiträgt, den Sozialstatus der Eltern auf die Kinder zu "vererben"? Und darüber hinaus: Was bedeutet die Europäisierung des Hochschulraumes durch den Bologna-Prozess mit der Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen für eine Hochschulpolitik, von der auch Arbeitnehmer profitieren sollen? Und was die ausdrückliche Orientierung der Bundesregierung auf "Spitzenforschung" und Eliteförderung im Rahmen der Exzellenzinitiative?

In der Debatte um ein "Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule" greifen die Hans-Böckler-Stiftung und die DGB-Gewerkschaften nun gemeinsam solche Fragen auf. Sie verfolgen dabei das Ziel, gewerkschaftliche Positionen zu entwickeln, die geeignet sind, in den Diskussionen um die Zukunft der Hochschulen ein Stück Meinungsführerschaft zurückzugewinnen - Positionen, die später einmal in einen Leitantrag auf dem nächsten DGB-Bundeskongress münden könnten.

Auf dem 2. Hochschulpolitischen Forum der Stiftung und des DGB im September 2008 in Berlin wurden unter Mitarbeit ausgewiesener Fachleute aus Wissenschaft und Gewerkschaften Eckpunkte für ein solches Leitbild diskutiert und Arbeitsaufträge bis zum 3. Hochschulpolitischen Forum definiert. Auf der Veranstaltung im November 2009 soll der Leitbild-Prozess dann zu einem vorläufigen Abschluss gebracht werden.

Zentrale Themen der hochschulpolitischen Auseinandersetzung wie die "Hochschule in der Demokratie", die "Qualität von Lehre und Studium" oder die "soziale Ungleichheit beim Hochschulzugang und im Studium" werden in Expertisen aufgearbeitet, die dann in Werkstattgesprächen zur Diskussion gestellt werden. Durch dieses Verfahren wird sichergestellt, dass es zu dem "breit angelegten Dialog zwischen Wissenschaft und Gewerkschaft" kommt, der angestrebt ist.

Der Anspruch ist hoch. Das Leitbild soll ein eigenes, in sich "geschlossenes Konzept" darstellen, eine "fundierte und ausformulierte Alternative" sein, mit dem die arbeitnehmerorientierte Wissenschaft einen Gegenpol zum konstatierten "marktradikalen Zeitgeist" im hochschulpolitischen Diskurs setzen kann. Ein Teil der Diskutanten verweist in diesem Zusammenhang auf die Aktivitäten des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh, eines "Gemeinschaftsunternehmens" der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz, welches in den letzten Jahren mit Schlagworten wie "unternehmerische" oder "entfesselte" Hochschule die öffentliche Debatte geprägt hat.

"Mit diesen von der Marktideologie geprägten Begriffen wird versucht, die notwendige Umgestaltung der Hochschulen im Sinne von Deregulierung, Abbau staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und der unumschränkten Herrschaft der Marktgesetze zu steuern", heißt es an einer Stelle der bereits vorliegenden Tagungsdokumentation. Gewarnt wird vor einer Dominanz der Betriebswirtschaft über das wissenschaftliche Denken und Handeln, bei der "nur noch zählt, was man auch rechnen kann", und bei der Bildung in letzter Konsequenz zur Ware zu degenerieren droht. Andere Diskutanten argumentieren stärker betriebswirtschaftlich und bildungsökonomisch, da es in Zukunft an akademisch qualifizierten Arbeitnehmern mangeln wird.

SOZIALE ÖFFNUNG ALS ZIEL_ Die gemeinsame Grundposition, mit der die Gewerkschaften sich in diesem ideologisch vorgeprägten Raum bewegen, ist aber klar: "Bildung muss staatliche Daseinsvorsorge bleiben. Sie ist keine Ware. Deshalb sehen wir Privatisierungstendenzen mit großer Skepsis", so Ingrid Sehrbrock, die stellvertretende DGB-Vorsitzende, auf dem Hochschulpolitischen Forum. Auch Wolf-Jürgen Röder, Leiter der "Leitbild"-Projektgruppe, fordert, dass die Hochschulen auf "soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit verpflichtet werden" müssen, da sie, wie der gesamte Bildungsbereich, Lebenschancen in entscheidender Weise vorprägen.

Als Beitrag für die soziale Öffnung der Hochschulen wird vorgeschlagen, dass die Hochschulen stärker als in der Vergangenheit auch beruflich erworbene Kompetenz anerkennen, indem zum Beispiel die Zugangsmöglichkeiten für Berufserfahrene ohne formale Zugangsberechtigung erleichtert werden. Bislang kommen weniger als ein Prozent der Studierenden über eine berufliche Qualifikation ohne Abitur ins Studium. Ein Bundesprogramm "Facharbeiter, Meister, Techniker an die Hochschule" könnte hier Abhilfe schaffen.

Die Zulassungsbeschränkungen vom Bachelor- zum Master-Studiengang haben sich als Bildungsbarrieren erwiesen. Die Studierenden sollen selber entscheiden können, wann und mit welchem Abschluss sie die Hochschule verlassen wollen. Selbstverständlich sollen sie dabei BAföG bis zum Master erhalten.

Die im Zusammenhang mit der Einführung der Bachelor-Studiengänge zu beobachtende Tendenz zur Verschulung des Studiums wird kritisch gesehen. Deshalb wird seitens der Gewerkschaften die Anforderung formuliert, Lehr- und Lernprozesse so zu gestalten, dass Kritikfähigkeit, Mündigkeit und Emanzipation als zentrale Aspekte von Bildung und Qualifizierung im Rahmen des Studiums ausgebildet werden können. Durch Bildung wird soziale Ungleichheit infrage gestellt, werden soziale Interessen sichtbar gemacht, Arbeits- und Lebensbedingungen als gestaltbar erfahren. "Dieses Bildungsverständnis gilt auch für Hochschulen. Hochschulen sind Orte einer demokratisch und öffentlich verantworteten Wissenschaft."

Bildung ist ein öffentliches Gut. Die Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Sozialstaates sollen dieses Gut gebührenfrei erwerben können, und zwar in allen Bildungsbereichen. "Die dafür erforderlichen Mittel sollen durch eine sozial gerechte Steuergesetzgebung aufgebracht werden."

Zur Behebung der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen sollen nach Auffassung der Gewerkschaften die Ausgaben für Bildung und Forschung nicht länger als konsumtive Ausgaben in den Haushalten verbucht, sondern als öffentliche Investitionen in die Zukunft des Landes anerkannt werden. Damit könnten die haushaltspolitischen Restriktionen der Finanzminister abgeschwächt und die Ausgaben für Bildung und Forschung aufgabengerechter angehoben werden.

Das Leitbild könnte zu einer programmatischen Plattform werden, die auch über die Gewerkschaften hinaus Impulse in der Diskussion um die Frage setzt, wie "die Teilhabe der vielen an Bildung und Wissenschaft in der Gesellschaft durchgesetzt werden" kann. Genau darum geht es der Hans-Böckler-Stiftung und den Gewerkschaften: Das Recht auf Bildung darf nicht nur formal gewährt, sondern muss durch aktive Bildungspolitik auch real gewährleistet werden. "Fördern statt auslesen" könnte deshalb ein überzeugendes Motto einer demokratischen und sozialen Hochschule sein.


Mehr Informationen

Werkstattgespräch
am 20. und 21. August in Bad Münder
Leitbilder der Hochschulentwicklung in Deutschland seit 1945: Peer Pasternack, Carsten von Wissel
Hochschulfinanzierung: Dieter Timmermann
Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung: Klaus Kock

Hochschulpolitisches Forum
am 3. und 4. November in Berlin
Auf dem 3. Hochschulpolitischen Forum der Hans-Böckler-Stiftung und des DGB im Harnack-Haus in Berlin wird die Projektgruppe die erste Fassung eines "Leitbildes der Demokratischen und Sozialen Hochschule" vorlegen und zur Diskussion stellen.

Die Webseite zum Leitbild-Projekt:
www.boeckler.de/fix/projekt-leitbild
Das Internet-Portal der Hans-Böckler-Stiftung ermöglicht den Zugriff auf Dokumente und Expertisen rund um das Leitbild-Projekt.

 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen