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230 000 Menschen kommen im Mai 1984 nach Bonn und unterstützen die Forderung der Metallerinnen und Metaller nach einer 35-Stunden-Woche. Magazin Mitbestimmung

Geschichte: Die Gewerkschaften kommen in der jungen Bundesrepublik an

Ausgabe 06/2019

Dank Wirtschaftswunder erzielen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften in den 1960er Jahren einen Tariferfolg nach dem nächsten. Das ändert sich Anfang der 1980er Jahre mit dem Ende der sozialliberalen Koalition. Von Chaja Boebel, Bildungsreferentin und Historikerin am Bildungszentrum der IG Metall, Berlin-Pichelsee

Mit ihrem Godesberger Programm verzichtete die SPD 1959 auf sozialistische Forderungen und bekannte sich zur sozialen Marktwirtschaft. Auch der DGB begann die 1960er Jahre, die einen Abschied von der Adenauer-Ära bringen sollten, mit einer Grundsatzdebatte über ein neues Programm. Es kam zu schwierigen Verhandlungen zwischen Reformern, vertreten unter anderem durch den 1962 gewählten Ersten Vorsitzenden Ludwig Rosenberg, und Vertretern der eher linken IG Metall, die an den Grundsätzen von 1949 festhalten wollten. Als das Grundsatzprogramm 1963 verabschiedet wurde, bildete es einen Kompromiss. Zwar bekannte sich der DGB zur sozialen Marktwirtschaft, forderte aber zugleich die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. 

Mit steigenden Mitgliedszahlen im Rücken legte der DGB 1965 ein Aktionsprogramm vor, in dem Arbeitszeitverkürzung, ein 13. Monatsgehalt und vier Wochen Jahresurlaub gefordert wurden. Unter der griffigen Parole „Samstags gehört Vati mir“ gelang es während der 1960er Jahre, die 40-Stunden-Woche in den meisten Branchen durchzusetzen. 

Begannen die 1960er Jahre noch mit einem gesetzlichen Anspruch von drei Wochen Jahresurlaub, gelang es den Gewerkschaften, in den folgenden beiden Jahrzehnten die Zahl der Urlaubstage in den einzelnen Branchen tariflich anzuheben. Nach der Erfüllung der DGB-Forderungen nach einer gesetzlichen Verankerung der vier Wochen wurde die Ausweitung von Urlaubsansprüchen auf tariflicher Ebene fortgesetzt. So konnte Ende der 1970er Jahre ein sechswöchiger Urlaubsanspruch durchgesetzt werden.

Die erste Wirtschaftskrise nach den Jahren des sogenannten Wirtschaftswunders führte nicht nur zu sinkendem Wirtschaftswachstum und steigenden Arbeitslosenzahlen, sondern brachte auch die Regierung Erhard zum Sturz. 

In der 1966 folgenden Großen Koalition wurde mit Georg Leber zum ersten Mal in der Bundesrepublik ein Gewerkschafter zum Minister (für Verkehr) ernannt. Arbeitgeber und Gewerkschaften ließen sich auf eine staatlich begleitete Zusammenarbeit im Rahmen der „Konzertierten Aktion“ ein; eine sehr zurückhaltende Lohnpolitik war die Folge. Daraus resultierende sinkende Realeinkommen und teilweise beträchtlich steigende Konzerngewinne führten zu „wilden“ Streiks in einigen Unternehmen. In den Tarifrunden Anfang der 1970er Jahre konnten dann aber teilweise mehr als zehn Prozent Lohnsteigerung durchgesetzt werden.

Die Gewerkschaften waren in der noch jungen Bundesrepublik angekommen und konnten in den ersten Jahren der sozialliberalen Koalition viele Vorhaben anstoßen und zu deren Umsetzung beitragen, an die in den Adenauer-Jahren nicht zu denken gewesen war. Das Rentenreformgesetz von 1972 ermöglichte es langjährig Beschäftigten, mit 63 Jahren in Rente zu gehen. 

Ein zentrales Reformprojekt war die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972, in dem vor allem die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte gestärkt und erweitert wurden. Hingegen gelang es nicht, die Forderung nach paritätischer Mitbestimmung in allen Großbetrieben nach dem Vorbild der Montanmitbestimmung, durchzusetzen. Hier wurde das Mitbestimmungsgesetz von 1976 von den Gewerkschaften als ein in ihren Augen hinter ihren Forderungen zurückgebliebener Kompromiss empfunden.

Mit der Einführung des BAföG 1974 setzten die Gewerkschaften eine größere Durchlässigkeit im Bildungswesen durch, die Kindern aus Arbeiterfamilien den gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildungsteilhabe ermöglichte.

In der wirtschaftlichen Rezession durch die Ölkrise 1973 wurden die Handlungsbedingungen für die Gewerkschaften ungünstiger. Im Spiegel steigender Arbeitslosenzahlen (1974: 2,6 Prozent) beschloss die Regierung Kürzungen. So wurden zum Beispiel die Krankenkassen- und die Arbeitslosenversicherungsbeiträge erhöht.

Mit dem Wechsel zur CDU-FDP-Koalition unter Kanzler Kohl 1982 verloren die Gewerkschaften Ansprechpartner in den Ministerien. Zugleich gingen mit dem Strukturwandel Arbeitsplätze in der Industrie verloren. Die Bundesrepublik war auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft. Die Folge waren Abwehrkämpfe gegen eine rigide Arbeitsmarkt- und Sparpolitik. Einen großen Einschnitt stellte die Verschärfung des Paragraf 116 Arbeitsförderungsgesetz dar, nach der keine Unterstützungszahlung für mittelbar von Streiks Betroffene mehr geleistet wurde. Es gelang dem DGB zwar, dagegen Kundgebungen mit über einer Million Teilnehmenden zu organisieren, aber die Regierung setzte ihr Vorhaben durch.

Dennoch blieben die Gewerkschaften auch unter erschwerten Bedingungen kampfbereit. In zahlreichen Tarifauseinandersetzungen gelang es, die Einkommen zumindest zu stabilisieren. Die IG Metall wagte 1984 mit dem Streik um die 35-Stunden-Woche einen weiteren großen Schritt zur Arbeitszeitverkürzung.

Mit dem Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung sah sich der DGB dann vor ganz neuen Herausforderungen.

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