Quelle: Karsten Schöne
Magazin MitbestimmungAltstipendiatin: Die Filmemacherin
Birgit Lehmann hat sich in der Kulturszene einen Namen gemacht. Nichts war vorgezeichnet – auf ihrem Weg hatte sie immense Widerstände zu überwinden.
Von Dirk Manten
Autorin, Regisseurin, Fotografin und Lehrbeauftragte für Drehbuchschreiben: Ihr Lebenslauf weist Birgit Lehmann (61) als Multitalent aus. Dass die vielfach ausgezeichnete Schöpferin von Kurzfilmen wie „Hauptsache Lehmann“ oder „Zimmer 313“ den größten Teil ihres Arbeitslebens als Freiberuflerin verbringen würde, ist in ihrer Biografie nicht angelegt. Im Gegenteil: Birgit Lehmann wird in Rüsselsheim geboren. Ihr Großvater, Vater, Stiefvater und die Mutter – alle malochen bei Opel. Obwohl sie eine begabte Realschülerin ist, die gerne Abitur machen möchte, um Lehrerin für Kunst und Mathe werden zu können, wird ihr dieser Wunsch von der Familie abgeschlagen. „Mädchen brauchen nicht zu studieren, die heiraten sowieso irgendwann“, beendet ihre Mutter alle Diskussionen. Im Alter von 15 Jahren beginnt die junge Frau eine Ausbildung zur EDV-Kauffrau bei Opel. Sie wird Mitglied der IG Metall, engagiert sich als Schulsprecherin in der Berufsschule, nutzt Seminarangebote der Gewerkschaft. Doch kurz nach dem Abschluss ihrer Ausbildung bricht Birgit Lehmann aus. „Ich wollte raus aus der Enge und Beschränktheit meiner Familie, raus aus der Welt der fremdbestimmten Arbeit. Ich wollte mir um nahezu jeden Preis Bildung aneignen“, sagt sie. Sie zieht in eine WG in Frankfurt, holt das Abitur nach und schreibt sich an der Fachhochschule Frankfurt in den Studiengang Sozialarbeit ein. Politisch engagiert sie sich in der Anti-AKW-Bewegung. Nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums wechselt Lehmann 1984 an die Frankfurter Universität und studiert Germanistik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Sie wird Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung und gibt als Referentin Medienseminare an der DGB-Bundesjugendschule Oberursel. Beides prägt sie.
„Der Status, plötzlich Böckler-Stipendiatin zu sein, hat mir ungeheuer viel bedeutet. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben den Eindruck, dass jemand an mich glaubt. Als Teamerin in Oberursel konnte ich endlich das tun, was ich immer schon wollte: Wissen vermitteln.“ Bereits während ihres 1992 abgeschlossenen Magisterstudiums beginnt die junge Frankfurterin, künstlerisch zu arbeiten, bereist als Fotografin die Sowjetunion und Ungarn, veröffentlicht Fotos in der Zeitschrift TEMPO. Sie fängt zudem an, Kurzfilme zu produzieren: „A nice day“ (1987) im Auftrag des Hessischen Rundfunks, „Immer hart davor“ (1990), gezeigt auf ARTE und 3SAT, ausgezeichnet mit dem Bundesfilmpreis. Ihre Filme fallen durch ein skurril-humorvolles, intelligentes Gepräge auf. „Ich liebe das Schräge“, versucht sie sich an einer Charakterisierung ihres Werks und verweist auf ihre mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ ausgezeichnete Produktion „Als Hitchcock in Auerstedt auf Eiermanns Else traf“. In diesem dokumentarisch anmutenden Film wird augenzwinkernd der Eindruck vermittelt, dass sich der Regisseur Alfred Hitchcock von der in Auerstedt wohnenden Frau Else Eiermann habe inspirieren lassen.
In Lehmanns bislang größter Produktion, dem Film „Mein Name und ich“, macht sie sich auf die Suche nach „Namensgeschichten“, will herausfinden, ob der Name, den man von Geburt an trägt, Einfluss auf Charakter und Lebensweg nehmen kann.
Seit 2016 arbeitet Lehmann in Teilzeit für den „Internationalen Bund“ in Frankfurt. „Es ist schwieriger geworden, in der Filmbranche seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich brauchte noch ein zweites wirtschaftliches Standbein“, erläutert sie diese weitere Facette ihres Lebens. Als Sozialpädagogin berät sie an einer Schule Jugendliche aus Migrantenfamilen in Alltags- und Bildungsfragen. Ihre Erfahrungen auf ihrem langen zweiten Bildungsweg kommen ihr und den Jugendlichen dabei ohne Zweifel zugute.