zurück
Magazin Mitbestimmung

Druckindustrie: Die fetten Jahre sind vorbei

Ausgabe 06/2015

Erst hat die Digitalisierung die Arbeit der Druckereien verändert, jetzt stellt sie ihr Geschäftsmodell infrage. Nur wer groß genug ist, überlebt – ramponiert, wie das Beispiel MVD in Potsdam zeigt. Von Andreas Molitor

In den Produktionshallen der Märkischen Verlags- und Druck-Gesellschaft mbh (MVD) in Potsdam gibt es keine Kellerasseln mehr. Gemeint sind allerdings nicht die lästigen krabbelnden Krebstierchen, die niemand gern in seiner Wohnung hat, sondern die Hilfskräfte, die früher die bis zu 1,60 Meter breiten und eine Tonne schweren Papierrollen, auf denen hier in Potsdam die „Märkische Allgemeine“ und eine Teilauflage der „Frankfurter Allgemeinen“ gedruckt werden, in Richtung der Druckmaschinen wuchteten. „Kellerasseln“, so nannten die Drucker, die zwischen den Maschinen auf dem Oberdeck Regie führten, mit einem Anflug von Geringschätzigkeit ihre angelernten Helfer, die unter ihnen im Rollenkeller malochten. 

Vor zwei Jahren wurden die 21 verbliebenen Helfer bei der MVD endgültig wegrationalisiert. Ihre Kündigung markierte das Ende einer mehrjährigen Debatte, ob sie angesichts einer weitgehend automatisierten Produktionstechnik in der Potsdamer Druckerei noch benötigt werden. Eine Diskussion, die in der Branche im Übrigen republikweit geführt wird. „Roboter und andere Formen der Automatisierung haben sich in den letzten Jahren deutlich zuungunsten der Zahl der Helferjobs ausgewirkt“, heißt es in der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie „Strukturwandel in der Druckindustrie“ des Instituts für Medien- und Kompetenzforschung (mmb) aus Essen.

Für die Drucker bedeutet der Wegfall der Helfer, dass sie den noch nicht automatisierten Teil deren Arbeit nun mit erledigen müssen. Zwar ließen sich die Druckmaschinen auch vollautomatisch mit Papierrollen füttern; die Technologie ist wenige Kilometer entfernt in der Druckerei des Springer-Verlags in Berlin-Spandau zu bewundern. Eine solche Investition rechnet sich allerdings nur, wenn die Maschinen nahezu rund um die Uhr laufen – was in Potsdam bei Weitem nicht der Fall ist. Also müssen die Drucker nun selbst in den Papierkeller hinabsteigen. „Die rennen sich mittlerweile einen Wolf – zwischen Leitstand und Maschine und zwischen Maschine und Keller“, sagt Karin Wagner, die MVD-Betriebsratsvorsitzende. 

WER BLEIBT, IST HOCH BELASTET

Die Abschaffung der Helferkaste­ ist symptomatisch für die Situation bei der MVD. So wie überall im Unternehmen, in der Redaktion des Regionalzeitungs-Platzhirschs „Märkische Allgemeine“ und im Verlag wurden auch die Arbeitsabläufe in der Druckerei in den vergangenen Jahren immer mehr verdichtet und beschleunigt, mit dem Ziel, ein Maximum an Arbeitsleistung aus den Mitarbeitern herauszuquetschen. Aktuell bietet die Druckerei noch Arbeit für 66 Leute, zu Wendezeiten waren es einmal um die 300. „Die wichtigsten Mitarbeiter waren damals die Schlosser“, erinnert sich Gunar Wagner, Ehemann und Betriebsratskollege von Karin Wagner. „Die haben dafür gesorgt, dass auf der Maschine aus dem Jahr 1962 jeden Tag eine Zeitung gedruckt werden konnte.“ 

Heute bekommt Wagner von der Geschäftsführung mitunter den drohenden Hinweis, dass man für die weitgehend automatisierten Anlagen doch eigentlich gar keine Drucker mehr benötige, sondern lediglich ein paar Mechatroniker. Bis es so weit ist, hält man die Drucker ordentlich auf Trab. „Wenn die ihre Schicht hinter sich haben, sind die knülle“, beschreibt Karin Wagner die Quintessenz aus vielen Gesprächen. Das Gros der Drucker hat die Altersgrenze von 50 bereits überschritten. Krankheitsbedingte Fehlzeiten häufen sich genauso wie die Anfragen im Betriebsratsbüro, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, sich in die Altersteilzeit zu verabschieden.

Landauf, landab berichten Betriebsräte von ähnlichen, teils noch ärgeren Missständen, die typisch sind für eine Branche, die sich in der Beschleunigungsphase einer tief greifenden Strukturkrise befindet. Einerseits hat der Siegeszug der digitalen Technik den Druckfirmen in den vergangenen zwei Jahrzehnten ungeheure Produktivitätsgewinne beschert, andererseits leiden sie seit Jahren unter dem dramatischen Auflagenschwund von Zeitungen, Magazinen und Katalogen. Die Branche ächzt unter den enormen Überkapazitäten, die in den goldenen Jahren des Zeitungsgeschäfts aufgebaut wurden. In den 90er Jahren erreichten die Gazetten traumselige Auflagen, die Druckmaschinen rotierten im Dreischichtbetrieb. Jetzt tobt ein gnadenloser Wettbewerb, in dem die Unternehmen sich gegenseitig kannibalisieren.

Auch die Potsdamer Druckerei leidet unter dem schwindenden Zeitungsgeschäft. Noch im vorigen Jahr wurde eine neue Maschine aufgestellt, auf der inzwischen immer weniger Exemplare der „Märkischen Allgemeinen“ gedruckt, geschnitten und gefalzt werden. Die Auflage der Regionalzeitung für Potsdam und die westliche Hälfte Brandenburgs sank seit 1998 um 43 Prozent, Tendenz weiter fallend. Und während die Maschine gleich nebenan vor zehn Jahren noch 120 000 Exemplare der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ auswarf, ist man jetzt bei knapp der Hälfte angelangt. Weniger Arbeit für das Personal an den Maschinen bedeutet das nicht unbedingt. „Ob ein Drucker 60 000 oder 90 000 Zeitungen druckt, macht bei den heutigen, extrem schnell laufenden Maschinen kaum einen Unterschied“, erklärt Karin Wagner. „Es dauert nur halt ein paar Minuten länger.“

DESILLUSIONIERTE BETRIEBSRÄTE

Im Rückblick sind die Potsdamer Betriebsräte fast ein wenig erschrocken, wie rasant Desillusionierung verlaufen kann. Als die MVD zum Jahresbeginn 2012 von der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH – die das Unternehmen 1991 wiederum von der Treuhand erworben hatte – an die Mediengruppe Madsack aus Hannover verkauft wurde, war die Stimmung noch von vorsichtigem Optimismus geprägt. Auch die Arbeitnehmervertreter setzten einige Hoffnung in Madsack, ein Unternehmen, das mit seiner Fokussierung auf das Regionalzeitungsgeschäft binnen weniger Jahre zu einem der mächtigsten Medienkonzerne Deutschlands aufgestiegen war. 

Karin Wagner kannte Betriebsratskollegen von Madsack noch aus den 90er Jahren. Damals galt das Verlagshaus als sozial vorbildlich, es zahlte nach Tarif und teilweise sogar darüber. Doch schon bald nach der Übernahme lernte die Potsdamer Belegschaft, dass sich hinter dem „Fitnessprogramm“ Madsack 2018, wie ver.di-Vize Frank Werneke es ausdrückt, ein „Programm zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und zur Verschlechterung von Arbeitsbedingungen durch Tarifflucht“ verbarg. Die Geschäftsführung hat ein jährliches Einsparvolumen von 40 Millionen Euro vorgegeben; kein Geschäftsbereich bleibt verschont.

Die MVD-Belegschaft ließ man anfangs noch im Ungewissen darüber schweben, was Madsack 2018 für sie konkret bedeuten würde. „Solange wir mit den Planungen nicht fertig sind, halte ich die Schnauze“, rüpelte der Konzern-Personalchef auf der ersten Personalversammlung nach der Übernahme des Verlags Mitarbeiter an, die wissen wollten, welche Pläne Madsack mit der MVD verfolgt. Alsbald ließ die Konzernführung Taten folgen: Mitarbeiter wurden zu Dutzenden entlassen, ganze Abteilungen geschlossen, andere ausgegründet und in die Tariffreiheit entlassen, darunter sämtliche Lokalredaktionen. Und auch die Druckerei.

DER TARIF ERODIERT

Systematische Tarifflucht gehört offenbar zum Kern der Madsack-Strategie. Durch die Ausgründung von mehr als 60 Bereichen ist es dem Konzern gelungen, dass heute mehr als die Hälfte seiner Beschäftigten ohne tarifvertraglichen Schutz dasteht. „Arbeitnehmer, die selbstbewusst ihre Forderungen vertreten können, sollen offenbar systematisch zu Bittstellern degradiert werden, denen man – wenn es gerade passt – ein Almosen hinwirft“, kommentiert der Konzernbetriebsrat das zielgerichtete Aushebeln und Umgehen des Tarifvertrags. Mit dem Sturz ins Tariffreie hat beispielsweise der MVD-Betriebsrat nun keinerlei Handhabe mehr, auf die personelle Besetzung der Druckmaschinen Einfluss zu nehmen. „Früher konnten wir mitbestimmen, mit wie vielen Fachkräften eine Maschine besetzt sein muss“, erklärt Karin Wagner. „Diese Maßnahmen zum Schutz der Kollegen wurden uns mit der Ausgründung genommen.“

Jede Druckerei kämpft für sich – und gegen alle anderen. Die Stärksten der Branche, darunter auch die Druckerei der MVD, verdienen wenigstens noch Geld oder können zumindest ihre Verluste in Grenzen halten. Vor allem kleinere, finanzschwache Betriebe dagegen sind nicht in der Lage, den technologischen Wandel zu bewältigen; ihnen fehlt das Geld für die Investition in Digitaltechnik. Sie verschwinden zusehends vom Markt. Jährlich geben zwischen 200 und 400 Druckereien auf. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Betriebsräte der MVD sehen nach dem Wegfall der Helfer schon den nächsten Angriff der Arbeitgeber kommen. „Wir befürchten, dass sich zwei Kasten von Druckern ausbilden“, sagt Gunar Wagner. „Die einen steuern hauptsächlich die Maschinen, und die anderen übernehmen die früheren Helferjobs.“ Dann wäre es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Geschäftsführung auf eine neue Sparidee kommt: „Die werden dann sagen: Wenn eine Arbeitsbiene lediglich den Job einer Kellerassel erledigt, dann soll sie auch bezahlt werden wie eine Kellerassel.“

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen