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Magazin Mitbestimmung

Insolvenzrecht: Die Chancen der Pleite

Ausgabe 01+02/2013

Das reformierte Insolvenzrecht soll die Rettung angeschlagener Unternehmen erleichtern und hat auch mehr Einflussmöglichkeiten für Arbeitnehmervertreter gebracht. Die neuen Regelungen sind jedoch umstritten. Von Joachim F. Tornau

Der Name ist sperrig, aber er verrät das Programm. Vor knapp einem Jahr, am 1. März 2012, trat mit dem „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“, kurz ESUG, ein neues deutsches Insolvenzrecht in Kraft. Angestrebt wurde mit der Reform nicht weniger als ein „Sinneswandel hin zu einer neuen Insolvenzkultur“, wie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag erklärte.

Der Gang zum Insolvenzgericht sollte vom Stigma zur Chance werden: Während das bisherige Verfahren zumeist mit Zerschlagung oder Verkauf des Unternehmens endete, soll es nun eher zur Rettung des angeschlagenen Betriebs führen. Einfacher als früher können insolvente Unternehmen darum in Eigenverwaltung, das heißt unter Aufsicht eines Sachwalters, aber ohne dass ein externer Insolvenzverwalter die Geschäftsführung übernimmt, nach einem Weg zur Restrukturierung und zur Einigung mit den Gläubigern in einem Insolvenzplan suchen. Und sie können damit unter bestimmten Voraussetzungen sogar schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit anfangen: Im neu eingeführten Schutzschirmverfahren haben sie bis zu drei Monate Zeit, einen Sanierungsplan auszuarbeiten, und sind innerhalb dieser Zeit vor Zwangsvollstreckungen geschützt.

Gleichzeitig wurden mit dem ESUG die Rechte der Gläubiger gestärkt. In der – üblicherweise ebenfalls dreimonatigen – Phase zwischen Insolvenzantrag und Verfahrenseröffnung kann ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden, der bei der Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters wie beim Antrag auf Eigenverwaltung erhebliche Mitspracherechte hat: Von einem einstimmigen Votum dieses Ausschusses kann das Gericht nur in begründeten Ausnahmen abweichen.

Mit dem neuen Recht sollen Unternehmen ermutigt werden, rechtzeitig zu handeln und damit die Chancen auf eine Sanierung zu verbessern, statt die drohende Pleite so lange auszusitzen, bis nichts mehr zu retten ist. Ob das tatsächlich klappt, vermag das Bundesjustizministerium bislang allerdings nicht zu sagen. Man verfüge „nicht über eigene Erfahrungen mit der Umsetzung des neuen Rechts“, lässt eine Sprecherin wissen. Sie verweist aber auf eine nicht repräsentative Umfrage, die die Unternehmensberatung Roland Berger unter rund 280 Managern, Bankern, Anwälten, Richtern und Insolvenzverwaltern durchgeführt hat: Immerhin knapp 40 Prozent der Befragten sahen die Erwartung erfüllt, dass dank des ESUG weniger Unternehmen abgewickelt werden müssten.

ARBEITNEHMERVERTRETER DABEI

Was, sollte es sich bewahrheiten, natürlich auch aus Arbeitnehmersicht eine gute Nachricht wäre. Doch nicht allein deshalb bewertet Andrej Wroblewski, Arbeits- und Insolvenzrechtsexperte der IG Metall, die Reform positiv. „Das ESUG bedeutet für Gewerkschaften eine größe-re Chance, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen“, erklärt der Jurist. DGB und IG Metall hätten im Gesetzgebungsverfahren durchsetzen können, dass dem vorläufigen Gläubigerausschuss immer auch ein Arbeitnehmervertreter angehören soll. Und dieser verfüge wegen der geforderten Einstimmigkeit faktisch über ein Vetorecht, wenn es um die Verwalterauswahl geht. „Die Gewerkschaft hat damit eine gute Verhandlungsposition in dem Ausschuss.“

Wenig Verständnis bringt Wroblewski für Bedenken auf, die der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) kürzlich gegen die Reform erhoben hat. Das ESUG, hatte VID-Vorsitzender Christoph Niering gewarnt, habe zu einem „zunehmenden Missbrauch in Insolvenzverfahren“ geführt. Kleingläubiger – darunter nicht zuletzt die Beschäftigten des insolventen Unternehmens – gerieten immer öfter unter die Räder. Und das nicht trotz, sondern wegen des vorläufigen Gläubigerausschusses: Der nämlich komme in der Praxis vor allem „Profigläubigern“ zugute – Banken, Kreditversicherungen, aber auch der öffentlichen Hand. Kleinere Gläubiger wie Lieferanten oder Arbeitnehmer würden dagegen vor einer Mitwirkung häufig zurückschrecken. „Es sind diejenigen im Vorteil, die über Zeit, Geld und Know-how verfügen, ihren Einfluss geltend zu machen“, sagte Verbandschef Niering. „Wenn eine klar interessengeleitete Gruppe hinter verschlossenen Türen ihren Wunschverwalter aussucht, ist das eine Einladung zum Missbrauch.“ Und andersherum lade auch die Förderung der Eigenverwaltung zu Schindluder ein – diesmal durch das Unternehmen und seine Berater, zulasten der Gläubiger. „Hier wird“, so Niering, „der Bock zum Gärtner gemacht.“

Dass das gelegentlich passieren kann, will auch Wroblewski nicht ausschließen. „Gaunerei“, meint der IG-Metall-Experte, habe es bei Insolvenzen schließlich immer schon gegeben. Die Regel aber sei es nicht, weder in der Vergangenheit noch jetzt nach der Reform. Die harsche Kritik teilt er darum nicht. „Ich halte das für überzogen.“ Und auch für erheblich verfrüht: Nicht einmal ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes gebe es keinerlei belastbare empirische Grundlage, um die Auswirkungen zu bewerten. Fest scheint allerdings zu stehen: Eigenverwaltung spielt eine bedeutendere Rolle als früher. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurde sie in den ersten zehn Monaten des Jahres 2012 – neuere Zahlen liegen noch nicht vor – zwar nur in rund 1,2 Prozent der Unternehmensinsolvenzen angeordnet. Doch die Gläubigerforderungen in diesen wenigen Fällen machten 27,4 Prozent aller in Insolvenzverfahren angemeldeten Ansprüche aus. Im Vorjahr waren es weniger als ein Prozent.

Was die Insolvenzverwalter als „künstliche Blüte“ der Eigenverwaltung anprangern, findet Wroblewski grundsätzlich begrüßenswert. „Wenn es sich um eine geeignete und nicht um eine missbräuchliche Eigenverwaltung handelt, bei der die Arbeitnehmer um ihre Löhne geprellt werden sollen, ist das für die Beschäftigten eher positiv“, sagt der Gewerkschafter. „Der Arbeitgeber bleibt, anders als bei übertragender Sanierung, der gleiche – und damit auch die Rechte der Arbeitnehmer.“ Zudem besitze das Modell den Charme, dass die Fachleute in der Geschäftsführung weiterarbeiten könnten, im Idealfall ergänzt durch einen Insolvenzexperten, der bereits vor der Insolvenzanmeldung als „Chief Restructuring Officer“ (CRO) in die Geschäftsleitung aufgenommen werde und nach der Insolvenzeröffnung für die kompetente Abwicklung des Verfahrens sorgen könne. Die Kritik des Insolvenzverwalter-Verbandes an der Eigenverwaltung beruhe teilweise auch auf Sorgen um das eigene Geschäftsfeld, vermutet Wroblewski. Auf dem Spiel stehen nicht nur Macht und Einfluss, sondern auch eine Menge Geld: Die Vergütung für Insolvenzverwalter (und ihre mitunter zahlreichen Mitarbeiter) richtet sich zunächst nach der Höhe der Insolvenzmasse, kann aber je nach Aufwand aufgestockt werden und insgesamt stolze Summen erreichen: Bei der Drogeriemarktkette Schlecker wurde das Honorar auf rund 15 Millionen Euro geschätzt, im Fall Karstadt flossen 32 Millionen Euro, und für die Abwicklung der deutschen Tochter der US-amerikanischen Pleitebank Lehman könnten, was Ende vergangenen Jahres für Schlagzeilen sorgte, sogar bis zu 800 Millionen Euro fällig werden. Für die Sachwalter bei Eigenverwaltung sieht die insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung dagegen in der Regel eine Bezahlung vor, die um 40 Prozent niedriger liegt.

„Viele Insolvenzverwalter haben Angst, dass sie aus dem Spiel gedrängt werden“, meint Wroblewski und stuft die Sorge des Verbands um das Wohl der Kleingläubiger als vorgeschoben ein. Auch an durchgängigen Missbrauch des vorläufigen Gläubigerausschusses zum Nachteil der Beschäftigten will der Gewerkschafter noch nicht glauben. „Dafür habe ich bisher keine Anhaltspunkte“, sagt er.

INFORMATIONSDEFIZITE

Daniel Blankenburg, für Insolvenzen zuständiger Richter am Amtsgericht in Hannover, berichtet indes von Schwierigkeiten bei der Besetzung der vorläufigen Gläubigerausschüsse. Arbeitnehmer, darin stimmt der Amtsrichter dem Insolvenzverwalterverband zu, stünden einer Mitwirkung oft skeptisch gegenüber. „Und ich tue mich schwer, sie zu überreden.“ Denn schon nach dem alten Recht sei das Risiko, bei einer Pflichtverletzung des Ausschusses von den Gläubigern persönlich in Haftung genommen zu werden, erheblich. „Wie es nach dem neuen Recht aussieht, ist noch unklar; das Haftungsrisiko ist aber wohl noch höher“, sagt Blankenburg. Und eine Versicherung zum Schutz der Ausschussmitglieder sei derart teuer, dass die Prämien mitunter sogar die Insolvenzmasse aufzehren können. Weshalb Insolvenzverwalter auf einen Abschluss nicht selten verzichten.

Bei Arbeitnehmern, die sich nicht durch Fachleute ihrer Gewerkschaften vertreten lassen könnten, stelle sich das Problem mangelnder Kenntnis des Insolvenzrechts. „Man kann nicht einfach jemanden von der Drehbank in den vorläufigen Gläubigerausschuss abkommandieren“, sagt der Richter. „Das klappt nicht. So jemand würde in der Tat zum Spielball der institutionalisierten Gläubiger.“

Vom ESUG ist Blankenburg jedoch weniger wegen der Umsetzungsprobleme als aus einem anderen Grund enttäuscht: Es werde kaum genutzt. „Es kommen immer noch viel zu wenig Betriebe in der Frühphase, wenn noch nicht alles zu spät ist“, beklagt Blankenburg. Nach wie vor werde zumeist gewartet, bis nichts mehr geht. „Das Stigma, das der Insolvenz anhaftet, ist keineswegs beseitigt.“

Die Folge: Von den rund 600 Insolvenzfällen, die das Amtsgericht in Hannover, das größte Insolvenzgericht Niedersachsens, seit der Reform beschäftigt hätten, seien allenfalls fünf für die neuen Möglichkeiten zur Unternehmenssanierung infrage gekommen. Die Bedingungen für ein Schutzschirmverfahren seien sogar nicht ein einziges Mal erfüllt worden, sagt der Richter – und wünscht sich deshalb vor allem mehr Aufklärung über das ESUG. „Wir haben bei dem neuen Insolvenzrecht kein Ausführungs-, sondern ein Informationsdefizit.“ 

Mehr Informationen

Andrej Wroblewski: Das „ESUG“ aus Arbeitnehmersicht. In: Arbeit und Recht 5/2012 (Teil 1) und 7–8/2012 (Teil 2)

Christoph Niering: Zunehmender Missbrauch in Insolvenzverfahren – die Nebenwirkungen des ESUG. (Statement des Vorsitzenden des Insolvenzverwalterverbands VID beim Insolvenzverwalterkongress 2012).

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