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Wiebke Esdar vor dem Bundeskanzleramt: „Wir haben gute Gesetze gemacht.“ Magazin Mitbestimmung

Altstipendiatin: Die Abgeordnete

Ausgabe 01/2019

Wiebke Esdar sitzt seit 2017 mit einem SPD-Direktmandat im Deutschen Bundestag. Sie gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels.

Von Gunnar Hinck

Ob die Wochen, in denen der Bundestag keine Sitzungen hat, etwas ruhiger sind, weil sie dann zu Hause im Bielefelder Wahlkreis ist? Wiebke Esdar schmunzelt über die Frage, greift zum Handy und liest aus dem nächsten Tag in ihrem Wahlkreis vor: „Um elf Uhr habe ich einen Termin bei einem medizinischen Labor, ein Gespräch über einen Gesetzentwurf. Danach ist die Telefonkonferenz des Bielefelder und des Berliner Büros. Um 14 Uhr ein Termin bei der Schlaganfallhilfe, wo ich eine Patenschaft übernommen habe. Dann bin ich Gast bei der Fraktionssitzung im Rathaus, die ich vorzeitig verlassen muss, weil ich dann einen Videodreh für eine Kampagne habe. Um 18.30 Uhr ist SPD-Vorstandssitzung, danach nehme ich den letzten Zug nach Berlin, muss aber am nächsten Tag wieder in Bielefeld sein.“

Wiebke Esdar ist seit knapp anderthalb Jahren direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für Bielefeld. „Abgeordnete zu sein ist mein Traumberuf. Ich bin dankbar dafür“, sagt sie beim Treffen in ihrem kleinen Berliner Büro in einem Nebengebäude des Bundestags. Die 35-Jährige, die dem linken Parteiflügel zugerechnet wird, wurde gleich nach der Wahl in den Medien zitiert, weil sie sich öffentlich gegen die Neuauflage der Großen Koalition ausgesprochen hatte. Inzwischen hat sie ihren Frieden mit der Koalition gemacht. „Wir haben gute Gesetze beschlossen“, sagt sie. 

Esdars Karriere bekam durch einen Zufall zusätzlichen Auftrieb. Ihre Vorgängerin Christina Kampmann wechselte als Familienministerin überraschend in die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und gab ihr Mandat in Berlin auf. So war der Kandidatenplatz für die Bundestagswahl 2017 frei. Da war Wiebke Esdar in Bielefeld schon kommunalpolitisch aktiv: Sie saß im Stadtrat und war gerade zur lokalen SPD-Vorsitzenden gewählt worden. Es war die Hochschulpolitik, die sie politisierte. Als sie an der Bielefelder Universität Psychologie, Sozialwissenschaften und Geschichte studierte, krempelte die damalige Landesregierung von CDU und FDP die Hochschulen um. Ihr „Hochschulfreiheitsgesetz“ stieß auf Widerstand; viele Studenten sahen ihre Mitbestimmung bedroht, weil der neu geschaffene Hochschulrat jeder Uni von außen besetzt werden konnte. Über die Juso-Hochschulgruppe wurde Esdar als erste Frau zur stellvertretenden Vorsitzenden des Senats gewählt. An der Universität trat sie in die GEW ein – und hatte es gleich mit einem handfesten Lohnkonflikt zu tun. „Weihnachtsgeld bekamen nur die studentischen Hilfskräfte, die im Wintersemester angestellt waren, nicht diejenigen, die nur im Sommersemester einen Vertrag hatten“, erzählt sie. Alle Beschäftigten, so schwärmt sie, hätten an einem Strang gezogen, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Der Verhandlungserfolg damals: Das Weihnachtsgeld wurde als Lohnerhöhung über das ganze Jahr umgelegt. 

Ohne ihre politische Karriere wäre sie weiterhin an der Universität, ist sich die Bielefelderin sicher: „Ich war als wissenschaftliche Mitarbeiterin ja schon auf dem Weg zum Postdoc.“ Promoviert hat Esdar mit einer Arbeit über die Zielkonflikte von Nachwuchswissenschaftlern – ein klassischer Zielkonflikt ist die Doppelrolle von Forschung und Lehre. Um weiterzukommen, muss ein Wissenschaftler Forschungsergebnisse vorzeigen, die Lehre zählt dagegen wenig.

Wenn die junge Politikerin über die nicht so erfreuliche Seite des Lebens als Abgeordnete spricht, schimmert ihr alter Beruf durch: „Ich würde mir mehr Struktur in den Abläufen von Klausurtagungen oder Sitzungen wünschen, damit man sich besser vorbereiten kann. Es gibt oft aktuelle Entwicklungen, sodass man sich nicht immer so gründlich einarbeiten kann, wie ich es als Wissenschaftlerin gewohnt bin.“

  • Wiebke Esdar
    Wiebke Esdar vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestages: „Wir haben gute Gesetze gemacht“. (Bild: Michael Hughes)

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