Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Der Widerspenstigen Zähmung
FINANZINVESTOREN Die Krise hat manchen Traum von schneller Rendite platzen lassen. Wie geht es den übernommenen Unternehmen und ihren Beschäftigten, wenn sich die neuen Eigentümer auf Langfristperspektiven einstellen?
Von INGMAR HÖHMANN, Wirtschaftsjournalist in Köln/Fotos: Wolfgang Roloff/Jochen Günther
Michael Klatt hat keine Angst vor Heuschrecken. Der Betriebsratsvorsitzende des Mannheimer Motorenherstellers MWM hat eine von ihnen gezähmt - sie sichert den 860 Beschäftigten des Werks nun den Job. Als der britische Finanzinvestor 3i (3i steht für investors in industries) vor zwei Jahren die damalige Deutz-Tochter kaufen wollte, erreichten die Mannheimer Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat weitreichende Zugeständnisse: eine Standortsicherung und den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2011. Außerdem hat sich 3i zur Tarifbindung bekannt, einen zusätzlichen Vertreter der IG Metall im jetzt paritätischen Aufsichtsrat akzeptiert und sich zu Investitionen von 43 Millionen Euro binnen vier Jahren verpflichtet.
Selbstbewusst traten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auf: "Wir haben dem Deutz-Vorstandsvorsitzenden gesagt, dass wir die Mitarbeiter mobilisieren, wenn er unsere Vorstellungen nicht berücksichtigt", sagt Klatt. Mitbestimmung hat im seit 130 Jahren bestehenden Mannheimer Werk eine große Tradition: Der gewerkschaftliche Organisationsgrad liegt bei mehr als 75 Prozent, die Beteiligung bei Betriebsratswahlen ist hoch. Dass die Einflussnahme nicht in allen Unternehmen gelingen kann, ist Klatt bewusst: "Ein Betriebsrat ist nur stark, wenn die Belegschaft hinter ihm steht."
Die Arbeitnehmervertreter von MWM nutzten die starke Rückendeckung, damit Deutz sie an den Verkaufsverhandlungen beteiligte. Zwei Jahre später macht sich das bezahlt. Die Investitionen von 3i haben der Fabrik nicht nur eine neue Außenfassade beschert, sondern auch eine bessere IT, effizientere Abläufe und moderne Maschinen.
GUTE HEUSCHRECKEN, BÖSE HEUSCHRECKEN_ Seitdem SPD-Chef Franz Müntefering im Jahr 2005 Private-Equity-Gesellschaften mit Heuschrecken verglich, die über Betriebe herfallen und sie ausplündern, geht vielerorts die Angst vor Finanzinvestoren um. Gerechtfertigt ist das nicht in jedem Fall: Zwar haben die Gesellschaften in erster Linie hohe Renditen im Blick. Doch auch die Arbeitnehmer profitieren - wenn sie sich entsprechend positionieren. "Betriebsräte können weit stärker bei einem Unternehmensverkauf mitreden, als viele glauben", sagt Markus Sendel-Müller, der für das Saarbrücker Info-Institut auch die Gewerkschafter bei MWM berät. "Oft gelingt es, die Interessen beider Parteien zum Ausgleich zu bringen."
Gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern der damaligen Deutz-Tochter haben die Info-Experten einen Forderungskatalog für die Kaufinteressenten erarbeitet. Bei der Übernahme stellte sich 3i dabei als einer der bevorzugten Partner heraus. Für die Briten sprach die langjährige Erfahrung und eine transparente Geschäftspolitik. Vor allem überzeugte die Wachstumsstrategie: 3i will MWM vom Motorenhersteller zum Systemanbieter umbauen, der ganze Blockheizkraftwerke fertigen kann. Der Umsatz soll von 330 Millionen Euro im Jahr 2007 auf eine halbe Milliarde Euro im Jahr 2011 steigen.
Regelmäßig sitzt Klatt mit der Geschäftsführung zusammen: "Ich will in der derzeitigen Wirtschaftslage wissen, wie es um das Unternehmen bestellt ist", sagt er. Der Betriebsrat weiß, dass 3i MWM nur deshalb zu mehr Wachstum verhelfen will, um bei einem Weiterverkauf einen höheren Preis zu erzielen. "Doch wir wollen dabei wieder mitreden", sagt Klatt. 3i selbst sieht sich als Partner, der auf den langfristigen Geschäftserfolg abzielt. "Wir orientieren uns nicht nur an den Finanzzahlen, sondern haben auch die Produkte und Marktchancen im Blick", sagt Ulf von Haacke, Partner bei 3i Deutschland.
Private-Equity-Gesellschaften sind meist besser als ihr Ruf - das sagen auch Wissenschaftler der Universität Bonn und der Technischen Universität München. Einer Studie vom November vorigen Jahres zufolge sind solche Investoren in der Regel durchaus am Wohlergehen der übernommenen Betriebe interessiert: Im Schnitt stellen sie ihr Kapital sogar für zehn Jahre zur Verfügung.
Für den Bonner Wirtschaftswissenschaftler André Betzer, Mitautor der Studie, ist dieses Ergebnis keine Überraschung: "Finanzinvestoren bieten einige Vorteile: Sie können Unternehmen mit Eigenkapital ausstatten, Kontakte zu Banken herstellen und einen Betrieb strategisch neu ausrichten", sagt er. Auch die Vorstellung, die neuen Eigentümer würden radikal Arbeitsplätze kürzen, sei falsch. "Die meisten Studien sehen hier keinen signifikanten Unterschied zu strategischen Investoren", sagt Betzer. "Natürlich verhalten sich einige Gesellschaften alles andere als moralisch - aber das sind Einzelfälle."
SENSOREN FÜR DIE FRÜHERKENNUNG_ Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt die Kölner Betriebsräte-Strategie-Beratung (bsb) in Kooperation mit der EWR Consulting und der TBS NRW einen Leitfaden über "Strategien für Betriebsräte in der Auseinandersetzung mit einem Finanzinvestor". Wichtig ist die Früherkennung: Wenn ein Eigentümer plant, seinen Betrieb zu verkaufen, lasse er die Arbeitnehmervertreter meist im Unklaren, sagt Projektleiter Kai Beutler. "Betriebsräte müssen die wirtschaftlichen Kennziffern einordnen können. Wenn plötzlich die Investitionen und die Ausgaben für Instandhaltung sinken sowie wichtige Stellen unbesetzt bleiben, sind das mögliche Anzeichen für einen bevorstehenden Verkauf."
Rechtlich können die Arbeitnehmervertreter zwar einen Eigentümerwechsel nicht verhindern. Doch seien ihre Einflussmöglichkeiten vor allem über den Aufsichtsrat groß, sagt Michael Oltmanns, der als Anwalt der Stuttgarter Kanzlei Menold Bezler viele Mittelständler begleitet hat. "Im Aufsichtsrat wird offen gesprochen. Wenn die Unternehmensvertreter die Belegschaftsvertreter persönlich sehen, machen sie Zugeständnisse. Vorstände scheuen sich, einem ins Gesicht zu lügen."
Es schadet auch nicht, ab und zu die Muskeln spielen zu lassen. Gerade bei Investoren aus angelsächsischen Ländern, die mit dem hiesigen Mitbestimmungsmodell kaum Erfahrungen haben, zeigt das Wirkung. Oft reicht die Drohung, die Öffentlichkeit zu informieren: "Finanzinvestoren sind einer schlechten Presse gegenüber empfindlich. Das ist eine ganz verschwiegene Gesellschaft", sagt Betriebsratsberater Sendel-Müller.
FINANZGESELLSCHAFTEN UNTER DRUCK_ Doch mit dem guten Willen kann es schnell vorbei sein, wenn ein Unternehmen Renditeerwartungen nicht mehr erfüllt. In der Wirtschaftskrise häufen sich die Konflikte: Auch 3i, bei MWM gefeiert, hat anderswo Schwierigkeiten, seinen Ruf zu wahren. Beim Automobilzulieferer Norma in Maintal bei Frankfurt schaltete sich sogar der Landrat ein, nachdem es zwischen Betriebsrat und den angelsächsischen Investoren krachte. Statt in die Zukunft zu investieren, verordnete 3i dem Werk einen drastischen Sparkurs.
Die Krise der Automobilindustrie hat Norma voll getroffen. Der Hersteller für Schlauchverbindungen stellte zu Hochzeiten sieben Millionen Schellen pro Woche her, jetzt sind es nur noch eine Million.
Im Dezember 2008 engagierte 3i plötzlich die Unternehmensberatung McKinsey - Betriebs- und Aufsichtsrat wurden darüber nur in Kenntnis gesetzt. Der Betriebsratsvorsitzende Klaus Ditzel fühlte sich übergangen, der Alteigentümer hätte bei einer solchen Entscheidung zuerst das Gespräch mit ihm gesucht. Ditzel schrieb einen offenen Brief an 3i. Vorher gab es regelmäßigen Kontakt, doch nun reagierte der Investor nicht einmal mehr auf Anfragen.
Der Frontalkurs hielt an: Die Geschäftsführung teilte mit, das Unternehmen könne Auszubildende nicht mehr übernehmen, Kurzarbeit sei nötig. Die zugesagte Tariferhöhung könne sich die Firma nicht mehr leisten. Zudem habe McKinsey vorgeschlagen, das Lager - Arbeitsplatz für fast 100 Beschäftigte - an einen externen Betreiber zu vergeben. Ditzel war geschockt: "Klar, wir waren verwöhnt. Vorher arbeiteten wir in einem Familienunternehmen, wir trafen den Chef täglich auf dem Hof", sagt der Betriebsrat. "Jetzt sitzen die Gesellschafter in Frankfurt, die Geschäftsführer sind häufiger im Ausland als im Werk in Maintal selbst. Wir wissen gar nicht mehr, wer das Unternehmen eigentlich leitet."
Ditzel berief eine Betriebsversammlung ein. "Die Mitarbeiter waren total verunsichert, noch nie hatten wir so viele Teilnehmer", sagt er. Doch der Vorstandsvorsitzende, der ausdrücklich eingeladen war, ließ sich wieder einmal nicht blicken. Dann ging Ditzel an die Öffentlichkeit. Norma ist mit rund 700 Beschäftigten einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region. Der Landrat und der Bürgermeister schalteten sich ein und forderten Aufklärung.
Das zeigte Wirkung: 3i nahm den Kontakt mit dem Betriebsrat wieder auf - und versprach eine engere Zusammenarbeit. Die Situation sei nun geklärt, sagt Ditzel. "3i nimmt uns jetzt als Verhandlungspartner ernst." Der Betriebsrat hat mit der TBS Hessen nun selbst eine Unternehmensberatung engagiert. Sie soll die Norma-Finanzen untersuchen und ein Gegenkonzept zu den McKinsey-Vorschlägen erarbeiten. Im Aufsichtsrat will Ditzel von nun an forscher vorgehen und mehr Mitentscheidung fordern. Bei der nächsten Übernahme, sagt er, werde er auf schriftlichen Zusagen bestehen.