Quelle: Uli Baatz
Magazin MitbestimmungVon INES GOLLNICK: Der weite Weg zum eigenen Klingelschild
Thema Wie wirkt sich die Wohnungsnot in den Großstädten auf Studierende, Azubis und Beschäftigte aus? Wir zeigen drei Beispiele – und Ideen, das Problem zu lindern.
Von INES GOLLNICK
Esther Rudolphs Ausbildung am Mode Design College in Düsseldorf hat Anfang Oktober begonnen. Aber immer noch sucht sie nach einer passenden Bleibe, die für sie erschwinglich ist. Ihr aktuelles WG-Zimmer sei die „absolute Notlösung“, sagt sie, mit 450 Euro viel zu teuer für ihren Geldbeutel, denn auch die Ausbildung zahlt sie aus eigener Tasche. Ihre Bewerbung beim Auszubildendenwohnheim der Stadt Düsseldorf im Stadtteil Flingern in der Dorotheenstraße war nicht erfolgreich. Sie steht zwar auf der Warteliste, genau wie zig andere Azubis auch, aber weiter zu warten, kann sie sich gar nicht leisten. Ohne Wohnheimplatz, spätestens im nächsten Jahr, müsste sie in ihr Elternhaus nach Dortmund zurückkehren, um dann zu pendeln. Rund die Hälfte aller Azubis pendelt von außerhalb in die Landeshauptstadt. Aber der Aufwand raubt Energie und kommt, je nach Entfernung, nicht für jeden infrage.
Mehr Glück hatte Robert Tarlinski, 19. Er gehört zu den Bewerbern, die im August in Flingern in ein WG-Zimmer einziehen konnten. Er hatte die Hoffnung auf eine bezahlbare Wohnung schon fast aufgegeben, als die Zusage vom Auszubildendenwohnheim der Stadt Düsseldorf kam. Tarlinski kommt aus Velbert und macht eine Ausbildung zum technischen Produktdesigner bei einem Maschinenbauunternehmen in Benrath. 250 Euro Miete inklusive Nebenkosten, WLAN eingeschlossen, kann er sich als Azubi leisten. Das Mietverhältnis endet spätestens zwei Monate nach der Abschlussprüfung. Vier Mädchen und zwölf Jungen zwischen 18 und 25 Jahren bilden in Flingern drei Wohngemeinschaften. Das Azubi-Wohnheim in Düsseldorf, in dem jeder Jugendliche ein eigenes Zimmer hat, ist die Premiere, dem weitere Angebote in Heerdt und Morsenbroich folgen sollen.
Nachwuchskräfte ohne Dach über dem Kopf
Das erste Düsseldorfer Azubi-Wohnheim geht auf die Initiative der DGB-Region Düsseldorf-Bergisch Land zurück. Regionsgeschäftsführerin Sigrid Wolf erinnert sich gut an die Initialzündung: „Wir hatten 2014 festgestellt, dass relativ viele Auszubildende aus dem Umland und sogar von weiter herkommen, weil es in Düsseldorf einen guten Ausbildungsmarkt gibt. Aber die Nachwuchskräfte für die Wirtschaft fanden keine kleinen Wohnungen, die sie bezahlen konnten, weil Düsseldorf, wie andere Großstädte auch, hohe Mietpreise hat. Was den Wohnungsmarkt heute zusätzlich schwierig macht, ist der Rückbau der sogenannten Werks- und Azubi-Wohnungen in Düsseldorf in den 80er und 90er Jahren. Dieses Defizit an bezahlbarem Wohnraum war für manche ein Grund, den Ausbildungsplatz nicht anzunehmen“, berichtet Wolf. „Das war nicht hinnehmbar.“
Im Lenkungskreis „Taskforce für Arbeit“, dem IHK, Handwerkskammer, Jobcenter und DGB angehören, wurde das Thema zuerst aufgegriffen. Dann hat der DGB den Oberbürgermeister und die Fraktionsspitzen angeschrieben. Der Stadtrat verabschiedete in der Folgezeit einen Antrag zur Gründung eines Beirats zur Errichtung eines Azubi-Wohnheims.
So war die Stadt eingebunden, die den Überblick über die freiwerdenden Liegenschaften hat. Der zuständige Dezernent, das Wohnungsamt und die Städtische Wohnungsbaugesellschaft (SWD), aber auch die Ordnungs- und Jugenddezernentin wurden ins Boot geholt. Der große Andrang der jungen Leute setzt die Stadt wie die Wirtschaft unter Druck, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Die Statistik verrät, dass Düsseldorf wächst. Darunter sind die 18- bis 30-Jährigen in Düsseldorf die größte Gruppe. Und diese Gruppe muss eben auch zu vertretbaren Konditionen irgendwo wohnen.
Doch um eine bezahlbare Unterkunft während der Ausbildung kämpfen nicht nur Auszubildende, sondern auch Studierende, und das, obwohl es viel mehr Wohnheime für Studentinnen und Studenten gibt. Ein Beispiel aus Bonn zeigt den weiten Weg bis zum Klingelschild am Eingang eines Studentenwohnheims: Beyza Türkmen, 21, Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung, studiert in der ehemaligen Bundeshauptstadt seit fünf Semestern Jura. Erst kurz vor Studienbeginn im Oktober 2016 konnte sie in ein modernes Einzelapartment im Studentenwohnheim in Bonn-Castell – fußläufig zur Universität in der City – einziehen.
Beyza Türkmen erinnert sich ungern an ihre nervenaufreibende, mehrmonatige Wohnungssuche. Über 80 Anbieter von Wohnungen und Wohngemeinschaften hatte sie angeschrieben und nur vereinzelt Reaktionen erhalten. Sie lebte damals in Friedrichshafen am Bodensee und konnte nicht mal eben nach Bonn kommen, um schnell auf Anzeigen zu reagieren. Überteuerte Angebote und Fake-Inserate, bei denen ohne weitere Besichtigung sofort Bares auf die Hand im Tausch gegen den Schlüssel gefordert wurde, ließen sie fast verzweifeln.
Das grüne Licht vom Studentenwerk Bonn brachte die Wende. Gerade die kurze Distanz zwischen Wohnort und Uni ist für Beyza Türkmen wichtig, weil sie sich neben dem Studium unter anderem bei der Juso-Hochschulgruppe Bonn und beim ASTA (Allgemeiner Studierendenausschuss) engagiert und auch Abendtermine wahrnimmt. Aber vor allem zählt für sie die unterm Strich überschaubare Miete. Das 20 Quadratmeter große Einzelappartement, eines von über 70 im gesamten Gebäude, kostet knapp 280 Euro. Das sind etwa 30 Prozent ihres gesamten Etats. Mehr kann sie für diese Position nicht einplanen.
Viele Erstsemester beneiden die junge Frau um ihre bezahlbaren Quadratmeter. Zum Auftakt des Wintersemesters 2018/19 stehen Tausende Studierende auf den Wartelisten der Studentenwerke in den großen Universitätsstädten.
10 000 sollen es laut Deutschem Studentenwerk (DSW), dem Verband der Studenten- und Studierendenwerke in Deutschland, allein in München sein. Deshalb fordert der DSW einen Hochschulsozialpakt von Bund und Ländern. Der Staat müsse die Studenten- und Studierendenwerke beim Bau und Erhalt von bezahlbarem Wohnraum fördern. Damit könnte eine Entlastung des überhitzten Wohnungsmarkts erreicht werden.
Um die Forderungen zu untermauern, hat das DSW im Herbst 2017 die Kampagne „Kopf braucht Dach“ aufgelegt. Nur mit staatlicher Förderung könne laut DSW der enormen Nachfrage nachgekommen werden, weil der Markt es nicht richten werde. Die Zahl der öffentlich geförderten Studienplätze ist seit 2008 um 42 Prozent gestiegen, die öffentlich geförderten Wohnheimplätze nur um knapp acht Prozent.
Aufgrund dieser Kluft ordnet auch Ralf Richter, Leiter der Studienförderung der Hans-Böckler-Stiftung, die Kampagne und das Öffentlichmachen der Wohnungsnot für Studierende als „ganz wichtig“ ein: „Wenn nicht massiv in den Bau von Studentenwohnheimen investiert wird und Bund und Länder in die Förderung einsteigen, wird Studieren zu einer sozialen Frage, gerade in den Städten mit einem enormen Mietanstieg wie Freiburg, Stuttgart, München oder Köln. Diese weitere Selektion muss vermieden werden.“
Die Hans-Böckler-Stiftung arbeitet daran, die noch bessere Vernetzung und den Austausch der eigenen Stipendiaten mit einem Extranet zu unterstützen. Möglicherweise hilft das auch bei der Wohnungssuche. Die Plattform wird gerade programmiert und soll 2019 zur Verfügung stehen. Doch nicht nur Auszubildende oder Studierende leiden unter den hohen Mietpreisen. Otto Normalverdiener bleibt Ende des Monats immer weniger übrig, weil er immer mehr für die Miete ausgeben muss. Da es der Markt nicht richtet, steigt nun der Druck, selber initiativ zu werden. Die Münchner leben es eindrucksvoll vor und setzen auf Mitstreiter mit langem Atem. Weil die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt auch dort explodieren, bieten die Stadtwerke München ihrer Belegschaft schon jetzt rund 600 Werkswohnungen an. Bis 2022 sollen es etwa 1100 sein. Darüber hinaus wurden Betriebsrat und Belegschaft der Stadtwerke München GmbH (SWM) selbst aktiv und haben eine Wohnungsbaugenossenschaft für ihre Mitarbeiter gegründet: die Stadtwerkschaft e. G. Die Not hat der alten Genossenschaftsidee wieder neuen Schwung verliehen.
Karl Geigenberger, Ex-Konzernbetriebsratsvorsitzender der SWM und Mann der ersten Stunde, mittlerweile im Ruhestand, sitzt im Aufsichtsrat der Stadtwerkschaft. Ihm lag viel daran, wieder ein soziales Projekt in der Firma zu starten. „Das Thema Wohnen bot sich an“, unterstreicht er. Außerdem war nach seiner Meinung die Idee dafür geeignet, wieder ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Genossen und Genossinnen tun sich zusammen und schaffen Wohneigentum.
Mitglieder einer Genossenschaft haben lebenslanges Wohnrecht und profitieren von langfristig günstigen Mieten. Geigenberger motivierte, dass die Stadtwerke viele Grundstücke haben, die infrage kommen. Und er argumentiert: „Wenn Stadtwerke-Grundstücke gekauft werden könnten, könnten wir bei den nur begrenzt verbleibenden Flächen in der Stadt München weitere Grundstücke erschließen, die dann mit genossenschaftlichem Wohnraum bebaut werden.“
Passendes Grundstück gesucht
Obwohl noch kein Stein verbaut wurde, vertrauen die Menschen der noch jungen Genossenschaft. Circa 100 Mitglieder hat sie bisher – bei der Gründung im Januar 2017 waren es erst 31. Gesucht werden Mitglieder, die sowohl wohnen als auch investieren wollen.Wer Wohnrecht will, muss einen Nachweis über ein unbefristetes, mindestens ein Jahr bestehendes Arbeitsverhältnis bei den Stadtwerken oder einer der Beteiligungen nachweisen. Wer nur investieren will, muss, wie die anderen auch, drei Genossenschaftsanteile à 500 Euro erwerben, für die eine Dividende gezahlt wird, sobald Erträge eingefahren werden.
„Wir sind sehr zufrieden mit der Weiterentwicklung der Idee“, sagt Vorstandsmitglied und Projektleiterin Pia Fuchs, genau wie Karl Geigenberger eine Unterstützerin der ersten Stunde. Die Herausforderung für die Stadtwerker liegt darin, bezahlbare Grundstücke zu finden. Infrage kommt nicht nur Baugrund, der den Stadtwerken gehört, auch die Stadt schreibt Teile ihrer Grundstücke an Genossenschaften aus. Aber Fuchs unterstreicht: „Grundstücke müssen für die Stadtwerker erschwinglich sein.“ Bei einer der beiden Ausschreibungen 2019 hofft sie, zu einem Abschluss zu kommen. Dann könnte wohl 2022 der erste Genossenschaftler einziehen.
Fotos: Jürgen Seidel // Uli Baatz // Werner Bachmeier