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Gibrail Heinschke, Richter am Hamburger Sozialgericht Magazin Mitbestimmung

Altstipendiat: Der Unabhängige

Ausgabe 01/2025

Gibrail Heinschke urteilt am Hamburger Sozialgericht über Bürgergeld oder Pflegegrade. Gerechtigkeit bedeutet für ihn nicht zuletzt, dass sich die Kläger verstanden fühlen – und auch ein ablehnendes Urteil nachvollziehen können. Von Joachim F. Tornau

Einmal hat ihm das Kind einer Klägerin ein Bild gemalt. Als Spiderman ist Gibrail Heinschke darauf gezeichnet, daneben steht: „Unser Superheld“. Heinschke ist Richter am Sozialgericht in Hamburg, er hatte einem Eilantrag der Bürgergeldempfängerin gegen das Jobcenter stattgegeben, das einen Umzug der Familie nicht hatte bewilligen wollen. „Als Richter“, sagt der 31-Jährige, „kann ich einen Beitrag leisten zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade in den heutigen Zeiten ist das wichtig.“ Das gilt für ihn nicht nur, wenn er Menschen helfen kann. Sondern auch, wenn die Gesetze das nicht zulassen.

„Natürlich ist es meine primäre Aufgabe, Rechtsstreitigkeiten zu erledigen“, sagt Heinschke. „Aber ich will auch dafür sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger gehört fühlen. Dass sie die Entscheidung, die ich treffe, verstehen. Und dass sie nach der Verhandlung das Gefühl haben: Der Rechtsstaat war für mich da.“ Einen besseren Ort als das Sozialgericht, wo es oft um existenzielle Fragen geht, die Hälfte der Klägerinnen und Kläger jedoch nicht anwaltlich vertreten ist, hätte er sich dafür kaum aussuchen können.

Heinschke, Sohn eines zur libyschen Exilopposition gehörenden Volkswirts und einer Dolmetscherin, nennt sich einen „Hamburger Jung“. In der Hansestadt an der Elbe ist er geboren und aufgewachsen. Hier hat er Jura studiert, mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung, hier ist er Richter geworden. Er möge die große Unabhängigkeit des Richterberufs, sagt er. Dass er, anders als in anderen Juristenjobs, weder an Mandanteninteressen noch an Wirtschaftlichkeit gebunden sei. „Ich verhandle auch über 30 Euro, wenn es erforderlich ist.“

Seine Zuständigkeit für Rechtsstreits um das Bürgergeld – für die Grundsicherung, wie es offiziell heißt – hat Heinschke mittlerweile zwar vorübergehend abgegeben: Zwei Jahre lang ist er abgeordnet worden, ein bundesweites Projekt zur Digitalisierung der Justiz fachlich zu begleiten, es geht um die elektronische Akte. Doch ihm war wichtig, trotzdem noch weiter Recht zu sprechen. Und zu erklären. Er tut das jetzt sozusagen in Teilzeit in einer Kammer, die sich um Fragen der Pflegeversicherung kümmert. Um Pflegegrade zum Beispiel.

In Heinschkes Büro hängen Fotos an der Wand, die er in den USA gemacht hat. Fast zehn Jahre sind sie alt, der junge Jurastudent absolvierte damals ein Auslandssemester an der Georgetown University in Washington, D. C. „Das war, kurz nachdem Donald Trump seine erste Präsidentschaftskandidatur angekündigt hatte“, erinnert sich der Richter. „Und es war in Washington für uns alle undenkbar, dass er gewählt werden könnte.“

Auch der Aufenthalt in den USA ist Heinschke von der Hans-Böckler-Stiftung ermöglicht worden. „Ich bin der Stiftung zutiefst dankbar für die vier Jahre, die sie mich gefördert hat“, sagt er. Um etwas zurückzugeben, nimmt er regelmäßig an Treffen heutiger Stipendiaten teil, gibt ihnen Tipps für Examensphase und Prüfungen. Als er selbst Referendar war, engagierte er sich als Vorsitzender des Personalrats der Rechtsreferendare – eine Besonderheit der Hamburger Justiz – und bemühte sich darum, die Ausbildung unter den schwierigen Bedingungen der Coronapandemie aufrechtzuerhalten. „Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit sind mir wichtig“, sagt er.

Als Richter urteilt er nach Recht und Gesetz, auch wenn er manche gesetzgeberische Entscheidung vielleicht hart finden mag. Doch das bedeutet nicht, dass er seine Werte und seine Haltung an der Gerichtspforte abgibt. „Jeder Richter und jede Richterin hat einen Erfahrungsschatz, der die Entscheidungen prägt“, erklärt er. „Sich das bewusst zu machen, ist das, was ich unter Richterethik verstehe.“

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