Quelle: Wolfgang Roloff
Magazin MitbestimmungDas Interview führten CORNELIA GIRNDT und CARMEN MOLITOR.: Der neue BASF-Betriebsrat setzt auf Kontinuität
Interview Mit Sinischa Horvat übernimmt eine jüngere Generation alle wichtigen Mitbestimmungsfunktionen bei der BASF. Der weltgrößte Chemiekonzern verändert sich gerade stark – die Kultur der Beteiligung aber bleibt.
Das Interview führten CORNELIA GIRNDT und CARMEN MOLITOR.
Es scheint, als ob bald, wie bei Ihrem Vorgänger Robert Oswald, die vier wichtigsten Mandate in Sachen Mitbestimmung wieder in einer Hand liegen. Sie sind Vorsitzender des Betriebsrats der BASF SE, des Konzernbetriebsrats und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats. Die Chancen stehen gut, dass Sie im Juni auch den Vorsitz im Europäischen Betriebsrat übernehmen. Wie sind Sie zum Kandidaten für die Nachfolge geworden?
Ich war nahezu neun Jahre freigestellter Betriebsrat und habe in dieser Zeit im Personal- und im Entgeltausschuss, im Wirtschafts- und im Betriebsausschuss mitgearbeitet. Und das nicht nur als einfaches Mitglied, sondern auch als jemand, der immer maßgeblich dabei war, wenn Verhandlungen geführt wurden. Das hat die älteren Kollegen wohl überzeugt, dass man mir auch darüber hinaus etwas zutrauen kann. Sie haben mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, das Amt des Betriebsratsvorsitzenden mit allem Drum und Dran zu übernehmen.
Wann war das?
Das Gespräch hat vor etwa vier Jahren stattgefunden. Das hieß natürlich noch nicht, dass ich tatsächlich auch Betriebsratsvorsitzender werden würde. Es ging darum, den Übergang sukzessive bis zum Ausscheiden von Robert Oswald von langer Hand zu gestalten. Das ist uns sehr gut gelungen.
Wer hat sich das Konzept für diesen Übergangsprozess in Etappen über ein Jahr ausgedacht?
Was mich betrifft, haben da insbesondere die Kollegen aus dem Aufsichtsrat Ralf Bastian, Wolfgang Daniel und Robert Oswald auf diese langfristige Personalplanung hingewirkt. Aber es ging ja nicht nur um die Positionen, die ich in der Nachfolge von Oswald besetzt habe. Wir haben auch einen Generationswechsel auf wichtigen Positionen in allen führenden Ausschüssen erlebt. Für sie alle hatten wir Übergangsszenarien von ein bis drei Jahren gemacht.
Worin sehen Sie die Vorteile, wenn alle Spitzenmandate in einer Hand liegen?
In der Gewichtung, die ich als Betriebsratsvorsitzender des größten BASF-Standorts Ludwigshafen mitbringe. So lassen sich in den verschiedenen Gremien die Themen besser aussteuern und im Interesse der Arbeitnehmer auf allen Ebenen Einfluss nehmen.
Sie sind 20 Jahre jünger als Ihr Vorgänger und gehören zu einer anderen Generation. Werden Sie manche Dinge grundsätzlich anders machen?
Das ist überhaupt nicht mein Thema. Der Betriebsrat der BASF ist immer ein Gemeinschaftsprojekt gewesen. Genauso wie die Standortvereinbarungen, die wir immer wieder auf den Weg gebracht haben. So wird es auch in der Zukunft sein. Ich leiste meinen Beitrag dazu, indem ich das steuere. Vielleicht ist ein Grund, warum ich das Amt jetzt innehabe, dass ich keine Verantwortung scheue. Für mich ist maßgeblich gewesen: Ich will Verantwortung übernehmen. Das sage ich meinen Kolleginnen und Kollegen, das sage ich den 36 000 Mitarbeitern der BASF in Ludwigshafen, das sage ich auch bei unbequemen Vereinbarungen, die wir treffen mussten. Ich will mit den Mitteln der Mitbestimmung Rahmenbedingungen auf den Weg bringen, die die Arbeitsbedingungen verbessern oder mindestens erhalten.
Vor kurzem hat die BASF erstmals 170 kaufmännische Azubis nicht übernommen. Ein Novum. Wie übernimmt man da Verantwortung?
Indem man mit dem Unternehmen regelt: Die jungen Menschen werden erstmal befristet übernommen. Und wir werden im Hintergrund alles dafür tun, damit eine Entfristung stattfindet.
In welcher Situation übernehmen Sie die Spitzenpositionen der BASF? Der Konzern scheint nach einem vergleichsweise schwierigen Jahr 2016 inzwischen wieder gut dazustehen.
Ja, die Geschäftszahlen sind gut. Aber die Lage ist insgesamt geprägt durch massive Veränderungen in der Chemie. Gerade bei uns am Standort. Die BASF verändert ständig ihr Portfolio. Das hat eine hohe Dynamik angenommen. Menschen beklagen, dass ihnen das zu schnell geht und sie sich mehr Stabilität und Perspektiven wünschen. Als Betriebsrat haben wir diese Veränderungen in den letzten zwei, drei Jahre massiv mitbegleitet und eine diesmal hart erkämpfte Standortvereinbarung ausgehandelt.
Diese brachte Ihnen 2016 den Deutschen Betriebsrätepreis in Gold ein und legt fest, dass es am Standort Ludwigshafen bis 2020 keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Außerdem sichert sie Investitionen von zehn Milliarden Euro – inklusive der Gelder für die Forschung.
Das ist eine wertvolle Vereinbarung, wie man jetzt sieht, denn dadurch herrscht wieder ein bisschen mehr Zuverlässigkeit hier am Standort. Wenn es Umstrukturierungen gibt, wissen die Beschäftigten: Ich falle nicht ins Bodenlose, für mich geht es morgen an einer anderen Arbeitsstelle innerhalb der BASF weiter.
Welchen Anteil hat die Digitalisierung an dem Veränderungsdruck? Kann sie zu einer Gefahr für Jobs bei der BASF werden?
Nur da, wo wir standardisierte Prozesse haben. Im kaufmännischen Bereich haben wir es massiv erlebt. Da hat die Digitalisierung in den letzten zwei Jahren ganz rasant Arbeitsplätze gekostet. Es fielen 170 Stellen weg, aber die betroffenen Mitarbeiter werden innerhalb der BASF SE auf anderen Arbeitsplätzen weiterbeschäftigt. Im Produktionsbereich, also in unseren klassischen Einheiten vor Ort, in den Anlagen und in den technischen Bereichen erleben wir das im Moment aber noch nicht. Auch nicht in der Forschung. Deswegen bin ich – im Gegensatz zu den Kollegen in der Automobilindustrie – nicht so besorgt, was das Thema Roboter angeht. Die haben wir an den Anlagen überhaupt nicht. Allerdings werden wir, wenn Tablets und Smartphones stärker Einzug halten, auch in der Produktion riesige Veränderungen bekommen.
Das klingt nach einem großen Fortbildungsbedarf.
In unsere Ausbildung halten gerade Themen wie Augmented Reality und Smart Grid Einzug. Aber wir haben in Ludwigshafen ein Durchschnittsalter von 47 Jahren. Es gibt also einen erheblichen Anteil von älteren Mitarbeitern, die wir bei diesen Themen auch mitnehmen müssen – mit Change-Management-Methoden, Weiterbildungen und Qualifizierungen. Dazu müssen wir neue Betriebsvereinbarungen machen. Vor drei Jahren hätten wir nicht gedacht, dass unsere Systeme sich so schnell wandeln. Dass auf einmal für Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich die Arbeitsgrundlage weg ist. Sie sind alle abgesichert. Aber sie müssen alle komplett etwas Neues beginnen. Das wird wahrscheinlich eine schwierige Kiste für die Älteren.
Was kann ein Betriebsrat, was kann die Mitbestimmung tun, um diesen digitalen Wandel gut zu gestalten?
Ich rate, alles direkt vor Ort eng zu begleiten und in jedem einzelnen Betrieb und Bereich eigene Vereinbarungen zu treffen. Eine Elfenbeinturmvereinbarung, die für alle irgendwo eine Gültigkeit hat, bringt uns nicht weiter. Wir haben in unserer Standortvereinbarung festgehalten, dass wir uns das ansehen. Digitalisierung ist ein Bestandteil des Projekts „Zukunftsbild Werk Ludwigshafen“, das unser Werksleiter auf den Weg gebracht hat. Dort haben wir vereinbart, dass jegliche Neuerung mit uns, den Arbeitnehmervertretern, besprochen wird. Wir reden mit. Beispielsweise über Weiterbildung und über Entgeltbestandteile, falls sich die Aufgaben und Rollen der Mitarbeiter verändern. Oder, wenn Arbeitsplätze wegfallen.
Ihre Hoffnung ist, dass durch die Digitalisierung bei BASF nur vergleichsweise wenige Jobs wegfallen?
Bei uns gehen dadurch vermutlich nicht viele Arbeitsplätze verloren. Aber ich möchte vom Unternehmen, dass es das Geld aus diesen Einspareffekten wieder in die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen investiert. Das muss das Selbstverständnis werden. Ich werbe dafür, dass man sich mehr Gedanken darüber macht, wie man in Zeiten der Digitalisierung neue Jobs schafft.
Im Oktober 2016 geschah auf dem Werksgelände in Ludwigshafen der schwerste Chemie-Unfall seit 20 Jahren, bei dem vier Menschen, drei Werksfeuerwehrleute und ein Matrose einer Reederei, starben. Es wurden Stimmen laut, dass manche Anlagen schon längst hätten erneuert werden müssen. Aus Sicht des Betriebsrats eine berechtigte Kritik?
Nein. Wir hatten keinen massiven Investitionsstau. Wahrscheinlich ist der Unfall auf menschliches Versagen zurückzuführen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch, aber mit alledem, was jetzt auf dem Tisch liegt, könnte das der Fall sein. Jedenfalls haben wir bei allen unseren Standortvereinbarungen seit Ende der 90er Jahre immer auch Investitionen vereinbart und lagen damit immer weit über den Abschreibungen. Das ist ein Indiz dafür, dass ein Unternehmen gesund aufgestellt ist, was seinen eigenen Wiederherstellungswert angeht. Trotzdem haben wir nach dem Unfall einen Prozess angeschoben, mit dem wir die Sicherheitsarbeit mit unseren Kontraktoren und Fremdfirmenarbeitern verbessern wollen.
Ein umfassendes Veränderungsprojekt, 2016 angeschoben vom Werksleiter, heißt „Zukunftsbild Werk Ludwigshafen“. Dabei sollen 14 „Hebel“ – von Arbeitssicherheit über Digitalisierung bis hin zu Gebäudemanagementstrategien – bewegt werden, um den Standort zukunftsfähig zu machen, unterlegt von Behauptungen, der Standort Ludwigshafen bringe nicht mehr das, was man von ihm erwarte. Inwiefern ist der Betriebsrat dabei mit im Boot?
Bevor das Unternehmen mit dem Modernisierungsprojekt begonnen hat, hat der Betriebsrat eine Grundsatzprozessvereinbarung auf den Weg gebracht, wie die Beteiligungsaspekte zu gewährleisten sind. Dafür wollten wir den Rahmen abstecken bei diesem so umfangreichen Projekt. Und damit haben wir ganz tolle Erfahrungen gemacht, denn so haben wir von Anfang an eine Riesentransparenz über das Projekt bekommen. Wir sind bei allem eingebunden.
Robert Oswald hat in einem Interview für das Magazin Mitbestimmung mit Blick auf sein Ausscheiden gesagt: Mein Wunsch ist, „dass das Bestand hat, was wir getan haben, um den Laden zusammen und erfolgreich zu halten“. Wird das zu schaffen sein?
Das wird und muss zu schaffen sein. Weil es das ist, was uns stark gemacht hat, um von Ludwigshafen aus in den inzwischen 152 Jahren BASF zu agieren. Das gibt uns Stabilität und Zukunftsperspektive. So können wir Dinge auf den Weg bringen und mit dem Management immer wieder neu darüber streiten.
Aber auch die BASF arbeitet mit Outsourcing, nicht so rigide wie andere in der Branche, aber eben doch. Ausgegliedert wurde die Logistik und die BASF-Gastronomie, immer mit einem IG-BCE-Tarif, aber eben unter dem alten Niveau. Ging das nicht auch anders?
Wir haben das immerhin nicht komplett an Dritte vergeben: Sowohl die Logistik als auch die Gastronomie sind immer noch Töchter der BASF. Alle ehemaligen BASF-Mitarbeiter, die in der Gastronomie oder in der Logistik arbeiten, bleiben Mitarbeiter in der BASF SE.
Die sozialen Standards der altgedienten BASF-Mitarbeiter sind aber bessere, als die der neu hinzukommenden Mitarbeiter in diesen Töchtern?
Genau. Das macht es schon wieder schwierig. Aber wir haben immerhin unsere eigenen Mitarbeiter gesichert. Das war auch so ein Stück weit ein Kompromiss.
Wieviel ist Konflikt, wieviel ist Dialog im Umgang mit dem Arbeitgeber? Es gibt ja jetzt mit Michael Heinz einen neuen Arbeitsdirektor.
Die Personaler sind alle sehr zugänglich im Moment. Als wir die jüngste Standortvereinbarung verhandelt haben, waren auf der Arbeitgeberseite viele Akteure frisch im Amt. Ihnen haben wir unser Vorgehen und unsere Kultur der Mitbestimmung erklären müssen. Für mich ist genau das das Wichtige, dass man sich zusammensetzt und sich gegenseitig die jeweiligen Perspektiven und Beweggründe erklärt. Robert Oswald hat immer gesagt: „Gute Kompromisse zeichnet aus, dass man einen Konsens findet, und jeder am Ende mit erhobenem Haupt aus der Tür gehen kann – das gilt für beide Seiten.“ Das werden wir auch in der Zukunft hinbekommen, da bin ich zuversichtlich.
SPITZENMANN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND
Schon als Jugendlicher war Sinischa Horvat, Jahrgang 1976, der Typ „Klassensprecher“: einer, an den man sich vertrauensvoll wendet, wenn man Probleme hat und von dem man weiß, dass er sich kümmern und Verantwortung übernehmen wird. „Das ist mir wohl in die Wiege gelegt“, sagt er lächelnd. Der Vater war mit 18 Jahren als Gastarbeiter aus Kroatien nach Pirmasens gekommen und hatte hier Horvats spätere Mutter kennengelernt. Außer den jährlichen Urlauben in Jugoslawien verband den jungen Sinischa nur wenig mit der Heimat des Vaters. Er wuchs behütet in dem verschlafenen Dorf Ludwigswinkel auf und zog, als er mit 17 die Ausbildung als Prozessleitelektroniker bei BASF begann, sofort nach Ludwigshafen. Horvat blieb der BASF seit seinem Ausbildungsbeginn 1993 treu. Er trat zeitgleich in die IG BCE ein und engagierte sich in der Jugend- und Auszubildendenvertretung, deren Vorsitzender er schon bald wurde. Er entschloss sich, berufsbegleitend ein BWL-Studium an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Mannheim zu absolvieren. Eine besonders fordernde Zeit: Da hat er seine Belastbarkeit mehr als unter Beweis gestellt. Parallel dazu engagierte er sich auch ehrenamtlich im Hauptvorstand der IG BCE. Seit 2007 ist Horvat freigestelltes Betriebsratsmitglied. Der Fan des 1. FC Köln entspannt sich gerne beim Fußballgucken oder im Fitnessstudio. Auch die Familie biete ihm den nötigen Ausgleich zur stressigen Betriebsratsarbeit, sagt Horvat. Er ist verheiratet und hat einen 13-jährigen Sohn.
Fotos: Wolfgang Roloff, BASF SE, dpa picture alliance/Frank Rumpenhorst
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