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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Der Mindestlohn wirkt

Ausgabe 02/2016

„Der Mindestlohn stützt die Tarifpolitik und wirkt gegen Niedriglöhne“, sagt Reinhard Bispinck. Er zeigt anhand von Daten, wie stark der Niedriglohnsektor zurückgegangen ist. 

Seit Anfang 2015 gilt in Deutschland erstmals ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Bereits vor seiner Einführung bemühten sich die Gewerkschaften, die Niedriglöhne, die es auch in zahlreichen Lohn- und Gehaltstarifverträgen gab, durch entsprechende Tariferhöhungen abzuschaffen. Das war ein mühsames, aber durchaus erfolgreiches Geschäft. Die Zahl der Vergütungsgruppen, in denen Stundenlöhne unter 8,50 Euro gezahlt werden, ist deutlich zurückgegangen.

Seit 2010 stellt das WSI-Tarifarchiv in einem regelmäßigen Niedriglohn-Monitoring 40 Branchen und Wirtschaftszweige auf den Prüfstand. Die jüngsten Daten stammen von Anfang dieses Jahres und basieren auf der Auswertung von rund 4500 Vergütungsgruppen. Danach sahen nur noch drei Prozent davon Stundenlöhne von weniger als 8,50 Euro vor. Anfang 2015 waren es sechs Prozent. Ende 2013 lag der Anteil noch bei zehn Prozent, Anfang 2010 bei 16 Prozent. In einigen Branchen ist der Anteil der Niedriglohngruppen seit 2010 besonders stark zurückgegangen. Dies gilt für das Bewachungsgewerbe, die Hotels und Gaststätten, das Fleischerhandwerk und den Erwerbsgartenbau. In der Floristik und in der Gebäudereinigung gibt es inzwischen keine Vergütungsgruppe unterhalb von 8,50 Euro Stundenlohn mehr.

Die positive Entwicklung der vergangenen Jahre hat sich also im letzten Jahr fortgesetzt. Der tarifliche Niedriglohnsektor wird immer kleiner. Der gesetzliche Mindestlohn hat sich so als wirkungsvolle Untergrenze und als Stütze der Tarifpolitik erwiesen.

Nur noch in vier Branchen bestehen allgemeinverbindliche Branchenmindestlöhne, die überwiegend in den ostdeutschen Tarifgebieten zurzeit noch unterhalb des gesetzlichen Mindestlohnes liegen. Das gilt für Landwirtschaft und Gartenbau, die Textil- und Bekleidungsindustrie, die Leiharbeit und die Wäschereidienstleistungen. Diese Branchenmindestlöhne nutzen die im Mindestlohngesetz vorgesehene zweijährige Übergangsfrist, die bis Ende 2016 eine Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns durch allgemeinverbindliche Tarifverträge repräsentativer Tarifparteien zulässt.

Tarifliche Vergütungsgruppen unter 8,50 Euro, die in Branchen ohne solche Tarifverträge festgelegt sind, werden durch den gesetzlichen Mindestlohn verdrängt. Sie kommen vor allem in älteren Tarifverträgen vor, die zum Teil schon seit Jahren nicht mehr neu verhandelt wurden.

Die WSI-Untersuchung analysiert nicht nur die unteren Lohn- und Gehaltsgruppen, sondern gibt ein Bild der gesamten Vergütungsstruktur in den 40 Branchen. Dabei zeigt sich: Die große Mehrheit, 97 Prozent der Vergütungsgruppen aus Tarifverträgen, die DGB-Gewerkschaften abgeschlossen haben, sieht Stundenlöhne von 8,50 Euro und mehr vor. Insgesamt 86 Prozent der Vergütungsgruppen beginnen mit einem Stundensatz von mindestens zehn Euro. Letzteres gilt für alle Tarifgruppen in wichtigen Branchen wie der Metall- und der Chemieindustrie, dem Bankgewerbe, dem Bauhauptgewerbe, der Süßwarenindustrie und der privaten Abfallwirtschaft. 15 Prozent der Tarifgruppen liegen sogar bei 20 Euro und mehr. Das Tarifsystem setzt so Untergrenzen oberhalb der Niedriglohnschwelle.

Im Juni 2016 legt die Mindestlohnkommission einen Vorschlag zur Anpassung des gesetzlichen Mindestlohnes vor, der Anfang 2017 in Kraft treten soll. Die Gewerkschaften werden prüfen müssen, ob und in welchen Branchen dann tarifliche Vergütungsgruppen unter dem neuen Grenzwert liegen. Die Begrenzung des Niedriglohnsektors bleibt also auf der tarifpolitischen Agenda.

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