Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Der Kostenvorteil muss weg
REFORM "Das Deutsche Modell der Leiharbeit funktioniert nicht", kritisiert Leiharbeitsexperte Peter Schüren die Politik, die wegschaut, statt ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen. Von Stefan Scheytt
Von Stefan Scheytt ist Journalist in Rottenburg bei Tübingen.
Das war ein guter Tag für Leiharbeitnehmer - und ein schlechter für jene Zeitarbeitsfirmen, die noch billiger sein wollten als die Verleiher, die ihre Mitarbeiter nach den ohnehin schon für sie vorteilhaften DGB-Tarifverträgen bezahlen." So kommentiert Peter Schüren, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsforschung an der Universität Münster und renommierter Leiharbeitsexperte, das viel beachtete Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember. Die Bundesrichter hatten die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) wegen fehlender "sozialer Mächtigkeit" für nicht tariffähig erklärt. In Zukunft darf die Pseudogewerkschaft keine Tarifverträge mehr abschließen; und für die in der Vergangenheit von der CGZP ausgehandelten Dumpinglöhne können annähernd 300 000 betroffene Leiharbeiter bei ihrem Entleiher auf Nachzahlung der Differenz zum Equal-Pay-Lohn klagen. "Ich bin außerordentlich erfreut über das Urteil", meint Schüren, "denn es stellt nach sieben Jahren endlich klar, dass hier ein grober Missbrauch mit den Leiharbeitnehmern getrieben wurde."
So weit, so erfreulich. Doch das Gerichtsurteil ist kaum mehr als ein Etappensieg auf dem Weg zur fairen Behandlung der Entliehenen. Gefälligkeitstarifverträge von Scheingewerkschaften, teilweise sehr schlechte Arbeitsbedingungen, "christliche" Stundenlöhne von weniger als fünf Euro, Skandale um "Hausverleiher" wie beim Drogerie-Multi Schlecker, der Festangestellte entließ, um sie zu niedrigeren Löhnen von der konzerneigenen Leiharbeitsfirma wieder einzustellen - derlei Praktiken haben der gesamten Zeitarbeitsbranche einen desaströsen Ruf eingetragen. "Das deutsche Modell der Leiharbeit hat seit seiner Einführung 1972 überwiegend nicht funktioniert", fällt Peter Schüren ein hartes Urteil.
Doch in die Zeit vor 1972, als Leiharbeit gar nicht erlaubt war, möchte Schüren nicht zurück - vor allem wegen der "unbestreitbaren Beschäftigungseffekte gerade in den unteren Gehaltsgruppen". Stattdessen plädiert der Arbeitsrechtler zunächst für einen schärferen Blick auf die Pseudogewerkschaften durch die Arbeitsministerien der Länder und des Bundes. "Sie nehmen ihre Aufsichtspflicht kaum wahr", kritisiert Schüren. Generell habe die Politik die Reformdiskussion zur Leiharbeit in der Fachwelt jahrlang komplett ignoriert und sei erst aufmerksam geworden, als die Medien über spektakuläre Missbrauchsfälle wie bei Schlecker berichteten. "Das ist einfach keine gute Regierung. Man hat das Gesetz ohne gestaltungsbereite Beobachtung einfach laufen lassen und sich ansonsten über die steigenden Beschäftigungszahlen gefreut." Beispielhaft nennt Schüren den Fall Schlecker: "Es gab ein lautes öffentliches Geschimpfe, aber keine Folgen. Schlecker hat sich aus der Schusslinie genommen, während andere Firmen, die ebenfalls mit Hausverleihern operieren, daraus keine großen Konsequenzen zogen."
REFORMVORSCHLÄGE FÜR DAS AÜG_ Damit Leiharbeit in Deutschland endlich zum Vorteil von Arbeitnehmern und Unternehmen funktioniert, schwebt Peter Schüren eine Gesetzesreform vor, die auf klare, einfache Regeln baut. An der Stellschraube der Überlassungs-Höchstdauer zu drehen, hält Schüren für wenig zielführend. In der Vergangenheit hätten Firmen immer wieder Wege gefunden, solche Bestimmungen zu umgehen. Die beste Steuerungswirkung verspricht sich der Wissenschaftler davon, den Kostenvorteil der Leiharbeit einzuhegen. Heute spart selbst ein Entleiher, dessen Leiharbeiter denselben Bruttostundenlohn bekommen wie die Festangestellten, deutlich: Sozialplankosten und Abfindungen im Fall von Personalabbau, Kosten für die Mitarbeiterakquise, für den Ausfall durch Krankheit, Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder Mutterschutz.
Zwar geht ein Teil der Einsparungen als Überlassungsvergütung an den Verleiher, doch insgesamt, schätzt Schüren, habe der Entleiher einen Kostenvorteil von bis zu 30 Prozent und mehr, insbesondere wenn billige Leiharbeitstarife angewandt werden. "Dieser Verlockung, Stammbelegschaften dauerhaft durch billigere Leihkräfte zu ersetzen, kann sich ein Unternehmen in bestimmten Bereichen nur schwer entziehen."
In dem von Schüren und dem Bochumer Arbeitsrechtler Rolf Wank entworfenen Vorschlag für eine Reform des Arbeitsüberlassungsgesetzes (AÜG) würden Verleiher, die ihre Mitarbeiter dauerhaft nur einem einzigen Entleiher überlassen, dazu verpflichtet, diese Mitarbeiter nicht nur beim Bruttostundenlohn mit der Stammbelegschaft gleichzustellen, sondern auch bei allen anderen wesentlichen Konditionen wie Jahresprämien, Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Jahresurlaub; so würde der Kostenvorteil schwinden und damit auch die Leiharbeitnehmerquote in den Betrieben. Einen dauerhaften Leihkräfteanteil von 25 Prozent und mehr, wie etwa beim Flugzeugbauer Airbus, hält Schüren jedenfalls für "außerordentlich bedenklich".
Dies zu verändern entspreche im Übrigen auch der EU-Richtlinie, die nicht von einer unbegrenzten Überlassung an einen einzigen Entleiher ausgehe. Auf diese Weise erledige sich auch das Thema Hausverleih durch Strohmannmodelle wie im Fall Schlecker - denn dann könnte der neue alte Dauer-Arbeitgeber ja keine so starken Einsparungen mehr erzielen. Ein mögliches Vorbild wäre Schweden. Dort darf ein entlassener Arbeitnehmer mindestens sechs Monate nicht wieder als Leiharbeiter in dieselbe Firma als Leiharbeiter zurückkehren.
Ein eigenes Vergütungsniveau für Leihkräfte sollte es nur dort geben, wo sie auch tatsächlich bei verschiedenen Kunden eingesetzt werden. "Wenn ein Leiharbeiter in einem Jahr in fünf Firmen arbeitet, ist es sinnvoll, nicht fünfmal den Lohn, den Urlaubsanspruch und viele andere Arbeitsbedingungen zu verändern", begründet Schüren. Dann brauche es einen konstanten, vernünftigen Lohn. "Ich bin kein Ökonom, aber es werden schon Stundenlöhne oberhalb von sieben Euro sein müssen." Zudem würde Schüren den Verleihern verwehren, die Arbeitsverhältnisse mit ihren Mitarbeitern ohne sachlichen Grund zu befristen. Das führe nämlich dazu, dass Leiharbeitnehmer viele Schutzregelungen wie den Mutterschutz oder die Gründung eines Betriebsrats nicht in Anspruch zu nehmen wagen.
Auch die DGB-Gewerkschaften lässt der meinungsstarke Wissenschaftler nicht ungeschoren. Sie hätten es versäumt, Pseudogewerkschaften wie die CGZP von Anfang an scharf zu beobachten und die Verfahren zur Feststellung ihrer Tarifunfähigkeit zügig voranzutreiben. "Mein Eindruck", sagt Schüren: "Sie haben auch nicht früh und intensiv genug versucht, Leiharbeitnehmer für sich zu gewinnen und zu organisieren. Dafür wird es höchste Zeit."