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Europa-Experte Sven Vollrath vor dem Bundestag in Berlin: Das Bewusstsein stärken, wie wichtig Europa auch für die Innenpolitik ist. Magazin Mitbestimmung

Altstipendiat: Der EU-Sensor

Ausgabe 03/2015

Für den Deutschen Bundestag sichtet Sven Vollrath alles, was aus Brüssel nach Berlin kommt.

Von Susanne Kailitz

Richtlinien, Verordnungen, Unterrichtungen und Berichte – Sven Vollraths Job bringt jede Menge Lesestoff mit sich. Fast 20 000 Dokumente passieren jährlich die Unterabteilung Europa im Deutschen Bundestag, die er leitet. Gemeinsam mit 64 Mitarbeitern scannt der 44-Jährige alles, was in einem nicht enden wollenden Strom aus Brüssel nach Berlin kommt und für das nationale Parlament wichtig ist oder auch nur sein könnte. Fast jedes Thema, mit dem der Bundestag sich befasse, habe inzwischen einen Bezug zu Europa, sagt Vollrath. „Das geht vom Datenschutz über Vorgaben zur Klimapolitik bis zur Sicherheitspolitik.“ Welche Bedeutung seinem Posten innerhalb des Hohen Hauses zugemessen wird, sieht man Vollrath nicht an. Entspannt und jungenhaft wirkt der studierte Historiker, wenn er in seinem ganz und gar nicht glamourösen Büro am Schiffbauerdamm erzählt, wie seine Abteilung sich darum bemüht, Europapolitik für die 631 Parlamentarier so aufzubereiten, dass sie zwar alle nötigen Informationen bekommen, aber gleichzeitig nicht mit Material zugeschüttet werden. „Wir versuchen, so schnell wie möglich festzustellen, welche Themen wichtig sein können und geben dann alles an die Fraktionen und Ausschüsse weiter.“ Bei Tausenden Texten sei das „durchaus eine Herausforderung“. Dabei hilft die Datenbank EuDoX, die Vollrath maßgeblich ins Leben gerufen hat – und auf die er sichtlich stolz ist. Die sei inzwischen schon ein ganzes Informationssystem, erzählt er, sogar „das modernste in Europa“. Vollrath stellt seinen Posten als den eines normalen Dienstleisters dar – tatsächlich sehen viele Beobachter in seiner Unterabteilung den Europa-Sensor des Bundestages, auf den die Fraktionen längst nicht mehr verzichten können. Seine Arbeitsbelastung jedenfalls hat Vollrath sich selbst eingebrockt. Denn seit er 2006 in das Europa-Referat kam, kämpft er darum, das Bewusstsein dafür, wie wichtig Europa inzwischen auch für innenpolitische Fragen ist, in der Verwaltung und den Abgeordnetenbüros zu stärken. Dass der Bundestag dann vor zwei Jahren beschloss, alle europapolitischen Kompetenzen zu bündeln und das Referat zu einer Unterabteilung aufzuwerten, sei nicht zuletzt deshalb geschehen, weil Vollrath, beharrlich dafür gekämpft habe, erzählen Kollegen aus dem Bundestag. 

Nicht bei allen sorgt sein Erfolg für Begeisterung. Dafür sei es zu untypisch, so jung schon so weit im Haus gekommen zu sein, heißt es. Beharrlich an seiner Sache dranzubleiben, das hat Vollrath schon vor seiner Zeit im Europa-Referat gelernt. 1999 kam er als Referent des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse in den Bundestag, zuvor hatte er für den „Wahlkampf Ost“ der SPD-Wahlkampfzentrale gearbeitet. Die Vermutung, in der Verwaltung könne es geruhsamer zugehen als in der „Kampa“, weist er allerdings zurück. „In Sachen Arbeitsbelastung und Schnelligkeit nimmt sich das nichts.“ 

Man merkt Vollrath, der aus dem Harz stammt, die Lust an Politik an; die Freude daran, in einer Materie zu arbeiten, die wirklich wichtig ist. Vielleicht hat er dieses Sichhineinstürzen in die Themen schon vor 25 Jahren gelernt. Für ihn war das Studium an der Berliner Humboldt-Universität viel mehr, als nur in Seminaren und Vorlesungen zu sitzen. Er kam ausgerechnet 1988 an die HU, genau rechtzeitig zum größten Umbruch in der Geschichte seiner Alma Mater. Wie geht man damit um, wenn sich in wenigen Monaten fast alles ändert?

Vollrath ist kein Mensch, der gern Persönliches preisgibt. Aber wenn er sich an die Zeit erinnert, in der in der ostdeutschen Universitätslandschaft kein Stein auf dem anderen blieb, ist ihm noch anzumerken, in welcher Euphorie er sich damals befunden haben muss. Und wie ernüchternd viele Entwicklungen dann für die gewesen sein müssen, die sich so nach Freiheit gesehnt hatten. Er sagt: „Als die Strukturen der bundesdeutschen Demokratie immer mehr Raum griffen, merkten wir, dass wir zwar alles sagen, aber immer weniger konkret bewegen konnten.“ 

Innerhalb weniger Jahre wurden fast 80 Prozent des Uni-Personals ausgewechselt. Auch Vollrath trägt aus dieser Zeit die Erinnerung an viele Ungerechtigkeiten und Frustrationen in sich. Vielleicht macht das vorsichtig. Eine der positivsten Erinnerungen an diese Zeit des Umbruchs ist für ihn aber der Kontakt zur Hans-Böckler-Stiftung. „Dabei waren wir am Anfang sehr misstrauisch gegenüber uns so unbekannten Institutionen wie politischen Stiftungen. Auch weil wir Angst hatten, vereinnahmt zu werden.“ Doch dann hat er sich erfolgreich um ein Promotionsstipendium beworben. Damit hat er den Beständen der Bundestagsbibliothek einen weiteren Band hinzugefügt. In deren Regalen steht seit 2013 auch Vollraths Dissertation über den Umbau der Humboldt-Universität zwischen 1989 und 1996. Die schrieb er quasi nebenbei zum Job, „eine ziemliche Schinderei“, wie er im Rückblick bekennt. Die Arbeit ist wohl der beste Beweis dafür, dass Sven Vollrath durchzieht, was er sich einmal vorgenommen hat.

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