Quelle: Glühlichter
Magazin MitbestimmungRätselhaftes Fundstück: Der Bierboykott
Berlin ist in der Kaiserzeit die deutsche Biermetropole. Unzählige Eckkneipen laden zum Feierabendvergnügen. Im Jahr 1894 entscheiden sich die Brauereiarbeiter zu einem riskanten Arbeitskampf. Sie wollen die Arbeitgeber austrocknen – und rufen zum Boykott auf. Von Guntram Doelfs
Der Streit ums politisch korrekte Bier, der in der deutschen Reichshauptstadt tobt, beschäftigt auch den Karikaturisten des Wiener Satireblattes „Glühlichter“. Dass der fette Kapitalist, der die kleinen Leute mit der
Gabel verspeist, dem mächtigen Berliner Brauereibesitzer Richard Roesicke ähnlich sieht, ist kein Zufall. Das Wiener Satireblatt, dass den Sozialdemokraten nahesteht, schaut häufiger nach Deutschland – und kommentiert einen der längsten Arbeitskämpfe der Berliner Geschichte gewohnt bissig. Die Polizei und die bürgerliche Presse zeigen die „Glühlichter“ als Gehilfen der Kapitals. Aber was hat es mit dem „Ringbier“ auf sich, das man nicht trinken soll?
Im „Ring“ haben sich die 33 größten Berliner Brauereien, darunter die Schultheiss-Brauerei, die Roesicke gehört, zusammengeschlossen. Schon seit vier Jahren wehrt die Vereinigung jeden Versuch der Arbeiterschaft ab, grundlegende tarifliche Verbesserungen durchzusetzen. Auch den Wunsch nach der Einführung des 1. Mai als Feiertag lehnen sie ab. Es bleibt bei kleineren Zugeständnissen wie sechs Litern Freibier pro Tag. Bier ist ein Grundnahrungsmittel in den Familien und oft unbelasteter als das Trinkwasser.
Am 1. Mai 1894 schreiten 300 Böttcher zur Tat. Die Arbeiter, die für die Herstellung der Bierfässer zuständig sind, kommen nicht zur Arbeit, sondern feiern stattdessen den Tag der Arbeit. Die Arbeitgeber reagieren sofort und sperren die Böttcher aus. Nun eskaliert der Konflikt. Die Böttcher rufen zum Generalstreik auf, fordern den 1. Mai als Feiertag und den Neunstundentag. Die Brauereihilfsarbeiter schließen sich dem Streik an. Schließlich rufen der sozialdemokratische „Vorwärts“ und Gewerkschaften am 17. Mai zum „Bierboykott“ gegen sieben große Ring-Brauereien auf.
Viele Eckkneipen und Biergärten machen mit, sie werben mit „ringfreiem“ Bier. Als Ende Juni die Verhandlungen endgültig scheitern, wird der Boykott auf alle Ring-Brauereien ausgeweitet – und führt zu enormen Umsatzeinbußen. Doch auch die Arbeitnehmerseite gerät immer stärker unter Druck: Die Presse
wird zunehmend feindselig, die öffentliche Meinung beginnt zu kippen. Auch die Streikkasse leert sich bedenklich.
Der Bierboykott endet mit einem klassischen Kompromiss, der auf beiden Seiten für tiefes Grollen sorgt, gerade auch bei den Belegschaften. Dennoch beendet er den Konflikt. Er sieht vor, dass die Brauereien die Gewerkschaften als Vertretung der Arbeiter anerkennen, dass ein Arbeitsnachweis eingeführt wird und dass ausgesperrte Arbeiter möglichst wieder eingestellt werden sollen. Aber der 1. Mai als Feiertag scheitert. Er wird ausgerechnet unter den Nazis zum Feiertag, die mit dieser Geste über die Zerschlagung der freien Gewerkschaften hinwegtäuschen wollen.
Rätselfragen
- Welche Zutaten darf Bier enthalten, das nach dem Reinheitsgebot gebraut ist?
- Der Karikaturist hat sein Werk unten rechts signiert. Er wurde 1863 in Prag geboren und starb 1938 in Berlin an den Folgen der Inhaftierung durch die Nazis. Wen suchen wir?
- Die Schultheiss-Brauerei hatte ihr Hauptgelände am Prenzlauer Berg in Berlin. Es ist heute ein bekannter kultureller Treffpunkt. Wie heißt es heute?
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