Altstipendiat: Der Altbürgermeister
Mit 90 Jahren engagiert sich Kurt Roth immer noch in seiner Heimatgemeinde Rheinstetten – und blickt mit wachen Augen auf das Weltgeschehen. Von Dirk Manten
Wenn Kurt Roth im Rheinstettener Stadtteil Forchheim mit seiner Frau Heide einen Spaziergang macht, muss er sich Zeit nehmen. Obwohl er bereits seit 25 Jahren pensioniert ist, kennen die Menschen hier den Altbürgermeister, wollen einen kleinen Plausch halten oder fragen um Rat.
Von 1987 bis 2000 war Kurt Roth Bürgermeister des im Landkreis Karlsruhe gelegenen 20 000-Einwohner-Städtchens Rheinstetten. „Die Zeit als Bürgermeister war die wichtigste Zeit in meinem Arbeitsleben. Hier habe ich am meisten gelernt und konnte auch einiges erreichen für die Menschen“, sagt Roth bis heute. Während seiner Amtszeit wurde die Straßenbahn von Karlsruhe nach Rheinstetten gebaut, ein Seniorenzentrum errichtet und die Ansiedlung der Karlsruher Messe auf dem Gebiet seiner Gemeinde beschlossen.
Schon in seiner Jugend, zu Beginn der 1950er Jahre, beginnt Roth, sich für Politik zu interessieren. Mit der evangelischen Jugend demonstriert er gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und wird schließlich Mitglied jener Partei, die sich am vehementesten gegen die Aufrüstungspläne der Adenauer-Regierung stemmt, der SPD. Bald schon engagiert sich der junge Sozialdemokrat bei der Sozialistischen Jugend Deutschlands, den „Falken“, er wird Mitglied der Gewerkschaft ÖTV, der Naturfreunde und der Arbeiterwohlfahrt. „Ich komme selbst aus einer Arbeiterfamilie“, erklärt er sein politisches Engagement. „Mein Vater starb, als ich zehn Jahre alt war. Ich wusste aus eigener Anschauung, wie es ist, wenn das Geld immer knapp ist. Mein Ziel war es deshalb stets, dass es meinesgleichen besser gehen soll.“
Dieses Ziel verfolgt er bald auch beruflich: Nach einer Ausbildung zum Drogisten, zu der ihm das Arbeitsamt geraten hat, studiert er Sozialarbeit in Mannheim und Düsseldorf und erhält dafür ein Stipendium der Stiftung Mitbestimmung, einer Vorläuferin der Hans-Böckler-Stiftung. „Ich bekam damals 300 Mark im Monat“, sagt er, und dann fügt er hinzu: „Ich weiß nicht, ob ich mir das Studium ohne die Stiftung hätte leisten können.“
Nach dem Studium beginnt Kurt Roth eine langjährige Tätigkeit als Sozialarbeiter in seiner Geburtsstadt Karlsruhe, zuletzt als Leiter der Sozial- und Jugendbehörde. Als Amtsleiter ist es ihm wichtig, wie er formuliert, „die Sicht der unmittelbar Betroffenen in unser Handeln einzubeziehen“. Seine Zeit bei den Falken hat sein Selbstverständnis geprägt.
Nach vielen Jahrzehnten als Kümmerer um öffentliche Belange nimmt sich Roth heute mehr Zeit für sich. Aus der Mitgliederbetreuung der örtlichen SPD hat sich der Träger der Willy-Brandt-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Partei, zurückgezogen, aber im Heimatverein Rheinstetten ist er nach wie vor aktiv. „Ich kann mich jetzt ein wenig mehr um unseren Garten kümmern, und meine Frau hat mehr von mir“, sagt Roth mit einem verschmitzten Lächeln. „Heide hat mir über viele Jahrzehnte den Rücken freigehalten für meine politische Arbeit.“ Das Paar hat zwei Töchter und eine Enkeltochter.
Aufmerksam verfolgt Roth weiterhin das Weltgeschehen. Er ist besorgt über das brachiale Vorgehen der Trump-Administration in den USA und das Erstarken der AfD hierzulande. Mit den großen politischen Linien seiner SPD ist er bis heute einverstanden. Sogar das Sondervermögen für die Rüstung trägt er mit. „Die Bedrohung ist ja durchaus real“, sagt er dazu. Da hat der ehemalige Antimilitarist einen weiten Weg zurückgelegt.