Quelle: Karsten Schöne
Magazin MitbestimmungAltstipendiat: Der Afrika-Deutsche
Theodor Michael ist Sohn eines Kameruners und einer Deutschen. Als Kind musste er in Völkerschauen auftreten, wurde von den Nazis interniert. In der Bundesrepublik machte er Karriere. Von Ingo Zander
Theodor Wonja Michael ist ein Mensch aus einer anderen Welt: geboren 1925 in Berlin, ein begehrter Zeitzeuge. Was er erlebt hat, passt nicht in einen kurzen Artikel. Er hat es vor wenigen Jahren in einem wunderbaren Buch aufgeschrieben. Jetzt sitzt er auf einem Stuhl in einem Reihenhaus im Kölner Norden, das er seit Jahrzehnten bewohnt, neben sich eine Holzfigur, die er in den 60er Jahren von einer Afrikareise mitbrachte: der Kalao oder Nashornvogel, eine Totemfigur der Senufo und eines der fünf Tiere, die nach ihrem Glauben am Anfang der Schöpfung stehen.
Michaels eigenes Leben fängt damit an, dass sein Vater, ein Kolonialmigrant, sich aufmacht in das Land der Kolonisierer. Es ist ein schwieriges Leben, aber eines mit einem guten Ende. Gebrochen haben ihn die Schwierigkeiten nicht. „Alle Leben haben Höhen und Tiefen“, sagt Michael. Er spricht bedächtig, aber druckreif: „Es kommt darauf an, was man selber daraus macht.“ Wie schafft ein Mensch es, so freundlich, so gelassen auf sein Leben und die Menschen zu schauen?
Michaels Vater, Theophilius Wonja Michael, soll in England ausgebildet werden, doch er flieht, schlägt sich nach Deutschland durch. Er hilft beim Bau der U-Bahn, wird Komparse beim Stummfilm. Er lernt Martha kennen, eine Deutsche. Sie heiraten, bekommen vier Kinder, die ebenfalls Filmrollen bekommen. Doch es gibt düstere Wolken im Leben. Nachdem die Mutter bereits 1926 verstorben ist, wächst Michael bei Pflegeeltern auf, die ihn auf Völkerschauen zeigen. Er hasst es, begafft zu werden. Als 1934 auch sein Vater stirbt, gerät er in die rassistische Bürokratie des NS-Regimes. Sie trennt ihn von den Geschwistern, die er erst 30 Jahre später wiederfindet.
„Obwohl ich ein guter Schüler war, durfte ich wegen der Nürnberger Gesetze keine Ausbildung und keinen höheren Abschluss machen“, erinnert er sich. Er arbeitet als Portier im Berliner Hotel Excelsior nahe dem Anhalter Bahnhof, wird aber aufgrund einer Beschwerde eines Gastes über seine Hautfarbe entlassen. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich beim Zirkus und als Komparse in Kolonialfilmen der UFA, erhält eine kleine Rolle im legendären „Münchhausen“-Film, in dem Hans Albers die Hauptrolle spielt.
1943, mit 18 Jahren, wird er in einem Zwangsarbeiterlager interniert. „Ich habe mehrfach auf einer Brücke gestanden und überlegt, ob ich herunterspringen soll.“ Nach der Befreiung arbeitet er als Zivilangestellter bei den US-Besatzungstruppen, übernimmt wieder Rollen als Schauspieler. Anfang der 50er Jahre erlebt er mit seiner Ehefrau und zwei kleinen Kindern Jahre großer Armut. Dann bekommt er unerwartet eine Chance.
1953 ist er der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger beigetreten, die damals mit der Gewerkschaft Kunst Mitglied des DGB war. „In der Zeitschrift der Genossenschaft las ich im Frühjahr 1958 eine Anzeige, die für die Aufnahme eines Studiums mit Unterstützung der Stiftung Mitbestimmung an der Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg warb. Ein Abiturzeugnis wurde nicht verlangt.“ Voraussetzung für die Förderung durch die Stiftung Mitbestimmung, eine Vorgängerorganisation der Hans-Böckler-Stiftung, war eine mehrtätige Eignungsprüfung.
Michael besteht die Prüfung mit der Hälfte der ursprünglichen Bewerber und nimmt im Oktober 1958 das Studium mit vier Fächern auf: Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Soziologie und Rechtswissenschaft. Ein Hoffnungszeichen, dass Dinge sich zum Besseren wenden können. „Am fruchtbarsten war für mich die Soziologie, die von Ralf Dahrendorf vertreten wurde“, erinnert sich Michael. „Nie habe ich eine Aussage aus seiner ersten Vorlesung vergessen: ‚Jede Gesellschaft befindet sich zu jedem Zeitpunkt in jeder möglichen Wandlung.‘“
Nach Abschluss seines Studiums im Jahre 1960 beantragt Michael bei der Stiftung ein einjähriges Ergänzungsstudium an der Universität Paris, wo Verwaltungsbeamte für die höhere Laufbahn in den französischen Kolonialgebieten ausgebildet werden. Jetzt geht es beruflich bergauf. Zunächst arbeitet er als Journalist und wird Chefredakteur der Zeitschrift „Afrika Bulletin“. „Afrika war in der deutschen Publizistik eine Terra incognita.“ 1971 wird er von Egon Bahr als Regierungsrat auf Probe im Bundesnachrichtendienst eingestellt.
Er sagt: „In Pullach bestaunten oder bewunderten die einen mein Gefieder, andere dagegen knurrten: ‚Der kann ja nicht mal richtig singen wie wir, der krächzt ja nur.‘“ Hass auf Deutschland hat er nie verspürt – „nur Wut auf mich selbst, als ich in den 50er Jahren meine Familie nicht ernähren konnte.“
MEHR INFORMATIONEN
Theodor Michael: Deutsch sein und schwarz dazu. Erinnerungen eines Afro-Deutschen. München, dtv 2015. 224 Seiten, 14,90 Euro