Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Das Versorgungs-Netzwerk
Egal, wer regiert - die Energieversorger bringen seit jeher ihre Interessen in der Bundes- und Landespolitik unter. Legitim ist das aber nur, wenn für ausreichend Transparenz gesorgt wird.
Von Cerstin Gammelin
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
Gerade erst, am 28. Juni, hat das Bundeskabinett beschlossen, wie viele Berechtigungsscheine zum Ausstoß von Klimagasen hiesige Produktionsanlagen von Industrie und Energiewirtschaft in den Jahren 2008 bis 2012 erhalten werden - und zwar kostenfrei. Immer wieder drängte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) seine Kollegen Sigmar Gabriel (SPD) und Michael Glos (CSU), die Berechtigungsscheine für Stahlwerker, Aluminiumhütten- und Kraftwerksbetreiber mindestens teilweise versteigern zu lassen.
Des Schatzmeisters Begründung: Würden nur zehn Prozent der 500 Millionen hierzulande zu verteilenden Berechtigungsscheine zu einem durchschnittlichen Marktpreis von 20 Euro versteigert, könnte das eine Milliarde Euro in die leere Staatskasse spülen. Auf den ersten Blick spricht alles für Steinbrücks Idee: Der Emissionshandel soll als Instrument des Marktes über den Preis dafür sorgen, dass Unternehmen Emissionen dort reduzieren, wo es am billigsten ist. Die EU-Richtlinie erlaubt ausdrücklich, bis zu zehn Prozent der Zertifikate, die der Staat verteilt, zu versteigern.
Bisher profitierten vor allem die Kraftwerksbetreiber vom Emissionshandel. E.on, RWE, EnBW und Vattenfall Europe schlugen den Wert der bisher kostenfrei zugeteilten Zertifikate - die mittlerweile an der Leipziger Börse mit bis zu 30 Euro je Stück gehandelt wurden - auf den Strompreis und strichen ganz legal fünf Milliarden Euro Zusatzgewinne ein. Auch die Industrie, so ergab eine nicht vollständig veröffentlichte EU-Umfrage, folgte der Logik des Marktes und ließ den Börsenwert in ihre Preiskalkulationen einfließen. Freilich ohne dies öffentlich zu machen.
Auf solch profitable Geschenke verzichtet niemand gern. Und so überzeugten die politischen Vorarbeiter aus Industrie und den Energiekonzernen gemeinschaftlich (neben dem federführenden Umweltminister Sigmar Gabriel) vor allem Michael Glos davon, auch künftig auf jegliches Versteigern zu verzichten. In diesem Sinne antwortete Glos am 16. Mai auf das Ansinnen seines Kabinettskollegen Steinbrück mit einem Kniefall vor dem fehlenden Wettbewerb.
Eine Auktion, erklärte er, "wäre mit derart großen Risiken insbesondere in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen energieintensiven Industrie verbunden, dass sie wirtschaftspolitisch nicht verantwortbar wäre". Die "hohe Volatilität des Zertifikatepreises" sowie "falsche Preissignale" des Marktes würden "erhebliche Unsicherheit und damit Investitionsrisiken" schaffen, erläuterte Glos schriftlich.
Im Übrigen bezweifle er, dass Steinbrück über eine Auktion überhaupt die unverdienten Profite der Unternehmen abschöpfen könne: "Denkbar - wenn nicht sogar wahrscheinlich - wäre ein strategisches Verhalten bestimmter Emissionshandelsteilnehmer mit dem Ziel, einen möglichst hohen Auktionspreis zu erzielen." Denn mit den teuer ersteigerten Zertifikaten, argumentierte Glos, könnten die Zusatzgewinne für die restlichen 90 Prozent kostenlos zugeteilter Berechtigungsscheine schnell über heutiges Niveau ansteigen.
"Wer Kernenergie nicht will, muss sich um Kohle kümmern"
Im Streit der Minister konnte Steinbrück sein Ansinnen nicht durchsetzen. Die Zertifikate für die zweite Handelsperiode werden, wie schon unter dem grünen Umweltminister Jürgen Trittin, kostenlos ausgegeben. Damit nicht genug: Doppelt gewonnen bei der Verteilung der Zertifikate haben ausgerechnet die Betreiber von neuen Braunkohlekraftwerken, denen Gabriel über 14 Jahre so viele Zertifikate zubilligt wie benötigt werden - obwohl Braunkohle der klimaschädlichste Brennstoff ist und dreimal so viel Kohlendioxid je Kilowattstunde in die Umwelt abgibt wie etwa Erdgas.
"Die Braunkohlenlobby hat Umweltminister Sigmar Gabriel in die Knie gezwungen", sagt Regine Günther, Leiterin des Klimaschutzreferates beim WWF, enttäuscht. Gabriel selbst begründet die Förderung der klimaschädlichen Kohle statt moderner Gaskraftwerke mit dem Ausstieg aus der Kernenergie: "Wer Kernenergie nicht will, muss sich um effiziente Kohletechnologien kümmern."
Die SPD pflegt traditionell enge Beziehungen zur Kohlelobby. Wer erinnert sich nicht an das kohlegeschwärzte Gesicht des ehemaligen SPD-Chefs Franz Müntefering auf Wahlkampftouren? Da ist der energiepolitische Sprecher der SPD-Fraktion in Berlin, Rolf Hempelmann, der sich in seinem Wahlkreis als Präsident des Fußballclubs Rot-Weiß-Essen engagiert - im gleichen Verein ist auch der RWE-Cheflobbyist Volker Heck aktiv.
Da ist das 7. Berliner Hoffest der SPD-Fraktion in Berlin, das von Vattenfall Europe gesponsert wird. Und der federführende Staatssekretär in der Energiegesetzgebung der vergangenen Jahre, Georg Wilhelm Adamowitsch, war unter anderem in dem von RWE übernommenen Versorger VEW tätig. Allerdings bedienen auch andere Parteien eigene Klientel: So lieb den Genossen die Kohle ist, so sehr mag der Koalitionspartner die Kernkraft.
Das Miteinander von Energiewirtschaft und Politik hat Tradition. Auch acht Jahre nach der Öffnung des Strom- und Gasmarktes gleicht die deutsche Energiewirtschaft noch immer einem mächtigen Familienclan. Der Clan ist klar strukturiert und traditionell engmaschig in die Politik vernetzt. Mehr als ein halbes Dutzend Verbände vom Netzbetreiber bis zum Regionalversorger, etwa einhundert Fachgruppen und 1500 offizielle Mandatsträger tragen die Interessen der Branche in die Bundes- und Landespolitik und nach Brüssel. Energieversorger sind mehr als andere Wirtschaftszweige von politischen Entscheidungen abhängig.
Die Energiekonzerne und Stadtwerke beliefern überwiegend heimische Kundschaft. Erwirtschaften Autokonzerne wie DaimlerChrysler oder Rüstungsgurus wie Rheinmetall ihre Gewinne zunehmend im Ausland, so sind die meisten Erzeuger und Verkäufer von Energie auf den Heimatmarkt angewiesen - und damit besonders auf die hiesige Gesetzgebung in Bund und Ländern. Um darauf gezielt und permanent Einfluss auszuüben, organisieren sich die kleinen Versorger in Verbänden, beschäftigen die großen Konzerne zusätzlich eigene Stäbe in prachtvoll eingerichteten Dependancen. In Berlin liegen die Büros der vier größten Energiekonzerne beinahe wie Perlen an einer Schnur aufgereiht im Bereich der Friedrichstraße.
Der Düsseldorfer Marktführer E.on sitzt ganz vorn, in der Prachtstraße Unter den Linden. Etwa 300 Meter Luftlinie entfernt residiert in luftiger Höhe der Konkurrent RWE aus Essen. Weitere 300 Meter stadtauswärts hat EnBW, mit Hauptsitz in Karlsruhe, Quartier bezogen. Schließlich trifft man dort, wo die Mitte Berlins in den Stadtbezirk Wedding übergeht, den ostdeutschen Braunkohlenverstromer Vattenfall Europe. Zusammen kontrollieren die vier direkt und indirekt neunzig Prozent der Kraftwerke in Deutschland, davon entfallen zwei Drittel auf E.on und RWE.
Dazu kommen 100 Prozent des Ferntransportnetzes für Strom. Schließlich kontrollieren die Unternehmen auch die Kuppelstellen, über die der grenzüberschreitende Stromaustausch stattfinden soll - und die nach dem Willen von EU-Energiekommissar Andris Piebalgs endlich ausgebaut gehören, um neue Anbieter in den deutschen Markt zu locken. Stattdessen kaufen die Platzhirsche beinahe in ganz Europa, etwa in Großbritannien, Spanien und quer durch Osteuropa, nationale Strom- und Gasunternehmen auf - und tauschen sogar Beteiligungen untereinander aus, wie jüngst E.on und RWE in Tschechien und Ungarn.
Ein Hausausweis sichert den Zutritt zum Wirtschaftsministerium
Das Wirtschaftsministerium ist der wichtigste Ansprechpartner. Das Haus in der Scharnhorststraße von allen Verbands- und Konzernrepräsentanzen in der Hauptstadt fußläufig zu erreichen. Mittels Bundestags-Hausausweis ist der Eintritt ohne Hindernis möglich. Allein 5000 dieser Hausausweise wurden in der vergangenen Legislatur an Lobbyisten aller Branchen ausgegeben. In ihrem Visier steht neben der Ministerialbürokratie auch eine zweite politische Gruppe: die Abgeordneten. Mit einigen von ihnen sind sie eng verwoben, etwa über Nebentätigkeiten, über die einst der ehemalige CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer bei RWE stolperte.
Geschadet hat es Meyer offensichtlich nicht. Er ist heute wirtschaftspolitischer Sprecher der Union im Bundestag. Über Ministerialbeamte und Abgeordnete sichern die Lobbyisten ihren immensen Einfluss auf Gesetzesvorhaben. Wie beispielsweise auf den Emissionshandel. Oder auf das in vier Jahren mühevoller Arbeit novellierte Energiewirtschaftsgesetz, dessen Paragrafen zum Teil komplett von RWE und Co. geschrieben wurden.
Die Konzerne schreiben am liebsten an den Gesetzen mit
Um sich den politischen Einfluss langfristig zu sichern, betreiben alle Konzerne vorausschauende Personalpolitik. Karrieren zwischen Staatsapparat und Privatwirtschaft gehören längst zum Alltag in Deutschland. Unternehmen und Verbände verweben sich mit politischer Macht, indem sie systematische Wechsel auf die jeweils andere Seite des Schreibtisches einfädeln und fördern.
Zwar werden ehemalige Staatssekretäre oder Minister für ihre politischen Entscheidungen von der Wirtschaft nicht direkt entlohnt. Das Perfide steckt vielmehr im System: Gewogene (Ex-)Politiker wechseln in die Chefsessel der Wirtschaft, sie bleiben politische Schwergewichte und übernehmen gleichzeitig die Denkstrukturen eines Konzernlenkers.
So gelangen die Interessen ihrer Aktionäre viel eleganter durch die politischen und parlamentarischen Gremien bis in die Gesetzestexte. Sie schwächen damit die Demokratie, weil sie in Absprachen mit Beamten und Ministern - oft langjährigen Weggefährten - sowie in engem Kontakt mit den von ihnen gepflegten Fachexperten den Gesetzgebungsprozess auf das Engste begleiten - und sogar mitlenken, obwohl sie kein politisches Mandat mehr haben.
Regeln, die diese Wechsel auf höchster Ebene verhindern könnten, gibt es nicht. Bis jetzt jedenfalls. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat sogar durchgesetzt, dass die Abgeordneten des 17. Bundestags bis heute keine Nebentätigkeiten veröffentlichen mussten - im Gegensatz zur Regierung Gerhard Schröder.
Die deutsche Lobbyszene wurde jahrzehntelang vom deutschen Verbandswesen dominiert, allen voran vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Heute findet immer häufiger die gezielte Kommunikation von einzelnen Unternehmen mit der Politik statt - Kanzlerrunden mit Konzernlenkern sind beinahe legendär. Auch Manager wollen in dringenden Fragen direkt mit einem Ausschussvorsitzenden im Bundestag sprechen und nicht mehr den Umweg über den Vorsitzenden des eigenen Branchenverbands gehen.
Deshalb haben traditionelle Lobby-Gruppen, von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) bis zum Bundesverband der Deutschen Zementindustrie, ein Stück ihrer früheren Bedeutung verloren. Andere Berufsgruppen sind dagegen erst entstanden: die Public-Affairs-Berater. Wenn ein Manager beispielsweise dringend den Kontakt zu einem bestimmten Minister sucht, seine Mitarbeiter diesen aber nicht ohne Weiteres herstellen können, dann kann nicht selten ein Public-Affairs-Berater mit seinen exzellenten Verbindungen helfen.
So geschehen, als der britische Ölkonzern BP vor einigen Jahren den Berater und Ex-Bild-Journalisten Hans-Erich Bilges anwarb, um die Tankstellenkette Aral zu übernehmen. Auch der schwedische Staatskonzern Vattenfall setzte auf Bilges, um Zutritt in politische Gremien Berlins zu erhalten. Auch kleinere Unternehmen, die sich kein eigenes Personal in Berlin leisten können, engagieren von Fall zu Fall Lobbyisten auf Honorarbasis.
Der Einfluss von Interessenvertretern auf die Entscheidungen im politischen Berlin hat unter der rotgrünen Regierung immens zugenommen. Daran hat sich in der Großen Koalition nicht geändert. Das zeigt das Beispiel des Emissionshandels. Umso wichtiger ist es, dass die Interessenvertretung transparent gemacht wird: Wer hat an welchem Gesetz in wessen Auftrag mitgeschrieben? Ein längst überfälliger Schritt ist die Veröffentlichung der Nebentätigkeiten. Und die Verabschiedung eines Ehrenkodexes für Kanzler und Minister.