Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungSchuldenkrise: Das System gerät ins Wanken
Griechenlands Schuldenkrise und Auflagen der EU bedrohen die Existenz der griechischen Beschäftigten und der beiden großen Gewerkschaftsbünde. Sie brechen aber auch das alte System der Privilegien auf. Von Dimitri Deliolanes
DIMITRI DELIOLANES ist Korrespondent des öffentlichen griechischen Fernsehsenders ERT/Foto: Petros Giannakouris/AP
Das Durchschnittsgehalt eines Griechen, der im öffentlichen Dienst arbeitet, liegt künftig bei etwa 1000 Euro brutto. Eine neu eingeführte Immobiliensteuer soll direkt mit der Stromrechnung abgebucht werden. Wer nicht bezahlt, bekommt das Licht abgedreht. Dies sind nur zwei der drastischen Folgen, die die Schuldenkrise des Staates und das von der EU geforderte Sparprogramm für die griechischen Beschäftigten haben. Sie haben aber ebenso drastische Konsequenzen für die Gewerkschaften. Denn das politische System, dessen Teil sie sind, steckt in einer schweren Krise.
In Griechenland gibt es zwei Gewerkschaftsbünde, die gesetzlich befugt sind, Tarifverträge zu unterschreiben: die GSEE, Dachorganisation der Beschäftigten in Privatunternehmen, und die ADEDY, Dachorganisation der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die GSEE war als linke Gewerkschaft gegründet worden, wurde aber schon in den 30er Jahren in das klientelistische System verschiedener Regierungen eingebunden, das aus der Gewerkschaft eine Art Warteschleife für künftige Parlamentsmitglieder machte. Die sozialistische Regierung von Andreas Papandreou reformierte dieses System 1982. Die Reform stärkte den Vertretungsanspruch der Organisation. Sie wurde zugleich an der Verwaltung ehemaliger Privatunternehmen beteiligt, die die damalige Regierung verstaatlichte.
VIELE SEELEN IN DER BRUST_ Die GSEE hat heute nach eigenen Angaben knapp 500 000 Mitglieder, die meist auch Mitglied einer der beiden großen Parteien sind – vor allem der sozialistischen PASOK, aber auch der konservativen Nea Dimokratia. Der Gewerkschaftsbund besteht aus rund 253 Branchenverbänden und Regionalgliederungen sowie bis zu 5000 Betriebsgewerkschaften. Im Privatsektor ist der Organisationsgrad traditionell niedrig. Nach Berichten der Inspektoren des Arbeitministeriums dominieren unkontrollierte und oft auf Erpressung basierende Arbeitsverhältnisse. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten zwei Jahren auf 18 Prozent gestiegen. Nach den jüngsten Sparplänen sollen alle gültigen Tarifverträge faktisch annuliert werden, was eine Senkung der Minimalbruttolöhne von 750 auf 650 Euro zur Folge hätte. Die große Mehrheit der Jugendlichen, die auf der Basis von befristeten Verträgen arbeiten, verdient bereits jetzt nur 500 Euro im Monat.
Der zunehmende Druck auf die Beschäftigten führt zu einer weiteren Fragmentierung der Gewerkschaftsbewegung. Die der KP nahestehende Gewerkschaft PAME ist dabei, sich von der GSEE abzusetzen. Zu Beginn des Jahres sind ihre Mitglieder aus dem Exekutivausschuss zurückgetreten. Aufgrund ihrer verschiedenen politischen Seelen bezieht die GSEE derzeit keine Position mit Blick auf die vorgezogenen Parlamentswahlen, die im kommenden Februar stattfinden sollen. Zudem distanzieren sich immer mehr ihrer Führungsmitglieder von der Regierungspartei PASOK. Gewerkschaftschef Ioannis Panagopoulos ist zwar nicht aus der Partei ausgetreten, äußert aber heftige Kritik an Parteichef Giorgos Papandreou. „Seine Regierung hat jeden sozialen Dialog unmöglich gemacht. Sie traf Entscheidungen ohne jegliche Beratung. Sie forderte Opfer von der Bevölkerung ohne jegliche Wachstumspolitik.“ Noch härter fällt die Kritik seines Vorgängers Christos Polyzogopoulos aus, der jetzt PASOK-Abgeordneter im Parlament ist. „Die Politik der Regierung ist ein Desaster. Das Land hätte sich mit der Krise konfrontieren können, aber dafür wären ein politisches Konzept, eine entscheidungsfähige Führung, gesellschaftliche Verantwortung und vor allem eine Politik der politischen und sozialen Bündnisse nötig gewesen“, so der ehemalige Gewerkschaftsführer, der zugleich auch einen Wechsel an der Parteispitze fordert.
MASSIVE KRITIK UND PROTESTE_ Ähnlich kritisch ist die Position von ADEDY, dem Dachverband der Gewerkschaften der Staatsbediensteten, die rund 200 000 Mitglieder hat. Ihr Generalsekretär Ilias Iliopoulos, Mitglied der konservativen Nea Dimokratia, ist heute einer der schärfsten Kritiker der Finanztroika der EU. Die öffentliche Verwaltung war von Anfang an Objekt der drastischen Sparmaßnahmen. Die Gehälter wurden sofort um zehn Prozent gekürzt und 13. und 14. Monatsgehalt sowie Leistungsprämien gestrichen. Weil Kündigungen im öffentlichen Dienst von der Verfassung verboten sind, werden jetzt rund 30 000 Beschäftigte in eine sogenannte Lohnersatzkasse überführt. Das bedeutet, dass sie ein Jahr lang 60 Prozent ihres letzten Einkommens erhalten und dann faktisch arbeitslos sind. Die öffentliche Unterstützung für die zahlreichen Streiks und Demonstrationen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes hält sich gleichwohl in Grenzen. Insbesondere ist kein Schulterschluss mit den neuen Protestbewegungen gelungen. Staatsunternehmen wie die Bahn, die seit Jahren nur Schulden und schlechten Service produzierten, zugleich aber einem Teil ihrer Beschäftigten Rekordgehälter zahlten, stehen schon seit Langem in der Kritik.
Derzeit bereitet die Regierung ein neues Tarifsystem für den öffentlichen Dienst vor, das die Obergrenze der Gehälter auf 2000 Euro brutto senkt. Die Mehrheit der Beschäftigten wird künftig aber nicht mehr als 1000 Euro brutto verdienen. Die Dachverbände GSEE und ADEDY verklagen jetzt den Staat aufgrund dieser drastischen Kürzungen wegen Verfassungswidrigkeit und haben gute Chancen auf Erfolg. Die verzögerte Umsetzung der EU-Rotstiftpolitik, ist auch Folge dieser Situation. Der neue Premier Lukas Papademos muss – wie sein Vorgänger Papandreou – nicht nur mit den Straßenprotesten, sondern auch mit diesen rechtlichen Problemen fertig werden.
Zu Protesten haben auch die geplanten Steuererhöhungen geführt, mit denen der Staat seine Verluste durch Steuerhinterziehung, die auf rund 35 Prozent geschätzt werden, ausgleichen will. Dazu gehört die erwähnte Immobiliensteuer, die der Staat direkt über die monatlichen Stromrechnung des staatlichen Stromkonzerns DEI einziehen möchte. GENOP DEI, die Gewerkschaft des Unternehmens, hat ihre Mitglieder daraufhin zu einer Aktion des zivilen Ungehorsams aufgerufen: Sie sollen die Stromablesung boykottieren. Ein Zivilgericht der Stadt Kalamata hat diese Aktion bereits als rechtens erklärt.
Das griechische System mit seinen engen Verflechtungen zwischen Regierung und Gewerkschaften ist durch die Krise ins Wanken geraten. Unklar ist im Moment, ob es die Gewerkschaften schaffen, diese Krise in einen Erneuerungsprozess umzuwandeln.