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Arbeiter mit Schutzmontur beim Schleifen beim Maschinenbauer SMS Group Magazin Mitbestimmung

Gesundheit: Das scharfe Schwert der Mitbestimmung

Ausgabe 05/2024

Beim Arbeits- und Gesundheitsschutz haben Betriebsräte und Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte erreicht. Doch Arbeit verändert sich und Arbeitgeber wollen manchen Rückschritt als neue Freiheit verkaufen. Von Fabienne Melzer

Früher schliff Sascha Hammecke, Industriemechaniker beim Maschinenbauer SMS Group, die Kanten eines Stahlteils mitten in der Halle. Die Funken stoben durch die Luft, der Staub verteilte sich in der ganzen Halle, und der Lärm dröhnte allen in den Ohren, die in der Nähe arbeiteten. Diese Zeiten sind vorbei, auch weil Betriebsräte wie Stephan Klenzmann sich seit Jahren um den Arbeits- und Gesundheitsschutz kümmern. Klenzmann ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei der SMS Group in Hilchenbach nahe Siegen. Arbeits- und Gesundheitsschutz sind das schärfste Schwert, das Betriebsräte haben, findet Klenzmann. „Im Betriebsrat wird er dennoch gerne an den Rand geschoben. Oft heißt es: Das kann der Neue machen“, sagt der 49-Jährige. Auch Klenzmann übernahm 2006 das Thema, als er neu in den Betriebsrat kam. Seit 2010 leitet er den zuständigen Arbeitskreis bei der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, er engagiert sich im Arbeitsstättenausschuss und seit 2013 im Präventionsausschuss der Berufsgenossenschaft.

Seither hat er einiges bewegt. Sascha Hammecke schleift heute unter einem Atemschutz in einer Schleifkabine, wo Entlüfter den Staub absaugen. Der Betriebsrat hatte messen lassen, was sich beim Schleifen in der Luft verteilt, und festgestellt: Es entstehen hochgiftige Nickelstäube. Die Schleifkabine ist ein Musterbeispiel für TOP, was für „technisch“, „organisatorisch“ und „persönlich“ steht, die drei Elemente des Arbeitsschutzes. Organisatorisch schirmt die Kabine die Schleifarbeit von anderen Arbeitsplätzen ab, technisch
sorgt das Absaugen der Stäube für Schutz, und persönlich wird der Beschäftigte durch die Schutzkleidung geschützt.

„Beim Arbeitsschutz sind wir inzwischen sehr gut“, sagt Klenzmann. Mehr Kopfzerbrechen bereiten ihm andere Entwicklungen. Der Zusammenhang zwischen Beschwerden und Arbeitsbedingungen werde abstrakter. Rückenschmerzen treten oft erst Jahre, nachdem Beschäftigte auf einem Küchenstuhl gearbeitet haben, auf. Trends wie Homeoffice machen es schwer, bereits erreichte Standards zu halten. „Arbeitgeber sprechen da gerne von Selbstbestimmtheit der Beschäftigten“, sagt Klenzmann.

Regelungslücke schließen

Die Argumente der Arbeitgeber kennt auch Moriz Boje Tiedemann. Er sitzt für die IG Metall im Arbeitsstättenausschuss. Hier verhandelt er als stellvertretender Vorsitzender mit Arbeitgebern, Wissenschaft, Berufsgenossenschaften und Ländern über technische Regeln, die Schutzziele der Arbeitsstättenverordnung in Mindeststandards und Grenzwerte übersetzen. Für mobile Arbeit gelten die Arbeitsstättenregeln jedoch nicht. Gewerkschafter wie Tiedemann versuchen, diese Regelungslücke zu schließen. „Arbeit ohne Schutz darf keinen Platz in der modernen Arbeitswelt haben – weder in der Werkhalle, noch im Büro oder im Homeoffice.  Hierfür braucht es klare Regeln, die für alle gelten“

Bei SMS hat es der Betriebsrat geregelt. Beim Homeoffice – mindestens ein Tag pro Woche zu Hause – gilt der Arbeitsschutz wie im Betrieb. „Das Schwierigste war, den Arbeitsplatz zu Hause zu bewerten“, sagt Klenzmann. Eine Begehung durch den Arbeitgeber wollte auch der Betriebsrat nicht. Daher müssen Beschäftigte, die Homeoffice beantragen, Größe und Lage ihres Arbeitsplatzes aufzeichnen, eine Checkliste ausfüllen und Fotos beilegen. Anhand dieser Unterlagen entscheidet der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber, ob und in welchem Umfang Homeoffice möglich ist. Büromöbel und Technik stellt das Unternehmen. Auf einen Punkt ist Betriebsrat Klenzmann besonders stolz: „Pro Arbeitstag im Homeoffice erhalten die Beschäftigten eine Energiepauschale.“

Standards im Homeoffice hält Metaller Tiedemann für wichtig: „Wenn der Arbeitsschutz zu Hause bröckelt, Standards im Büro sinken.“ Aus seiner Arbeit im Ausschuss weiß er: Was erkämpft wurde, muss ständig verteidigt werden. Arbeitgeber versuchen, Regeln neu zu verhandeln. „Da werden Rückschritte als neue Freiheiten der Beschäftigten verkauft“, sagt Tiedemann. droht die Gefahr, dass auch Standards im Büro sinken.“ Aus seiner Arbeit im Ausschuss weiß er: Was erkämpft wurde, muss ständig verteidigt werden. Arbeitgeber versuchen, Regeln neu zu verhandeln. „Da werden Rückschritte als neue Freiheiten der Beschäftigten verkauft“, sagt Tiedemann.

Mehr psychische Erkrankungen

Für Beleuchtung, Raumgröße, Gefahrstoffe und vieles mehr gibt es inzwischen Vorgaben, und vor allem in großen Betrieben werden sie auch eingehalten. Anders sieht es bei psychischen Belastungen aus. Seit den 1990er Jahren beobachtet Arbeitsmedizinerin Marianne Engelhardt-Schagen eine Zunahme psychischer Erkrankungen. Die ehemalige Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung arbeitete in verschiedenen Betrieben, in den 1990ern unter anderem beim Energieversorger Bewag. Damals erlebte sie, wie die Wende die Menschen am Arbeitsplatz belastete. „Vor mir saßen 50-jährige Ostdeutsche, die die Welt nicht mehr verstanden, weil sie plötzlich einen weniger qualifizierten Westdeutschen als Vorgesetzten hatten“, erinnert sie sich.

Als Arbeitsmedizinerin wollte sie immer präventiv arbeiten. Sie wehrte sich dagegen, Stress als individuelles Problem zu betrachten. Sie schaute auf die Umstände, unter denen die Menschen arbeiteten. „Eine psychosomatische Reha bringt nichts, wenn die Person nach sechs Wochen an den gleichen Arbeitsplatz zurückkommt“, sagt Engelhardt-Schagen. Sie schulte Betriebsräte zum Gesundheitsschutz im Betrieb, insbesondere zur Gefährdungsbeurteilung nach Arbeitsschutzgesetz und vertrat die Gewerkschaften im Ausschuss für Arbeitsmedizin. Wenn es um psychische Belastungen gehe, sei die Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern bis heute schwierig. Das Thema werde in vielen Betrieben noch immer vernachlässigt.

Diesen Trend beobachtet auch Rolf Schmucker, der das Institut DGB-Index Gute Arbeit in Berlin leitet. Seit 2007 erhebt der DGB-Index jährlich, wie es um die Arbeitsbelastung der Beschäftigten steht. Der Stress habe unter anderem durch indirekte Steuerung, durch Zukunftsängste aufgrund der Transformation und Personalmangel mit der Folge hoher Arbeitsintensität zugenommen. Zwar schreibt der Gesetzgeber Gefährdungsbeurteilungen der psychischen Belastungen vor, doch nur ein Teil der Betriebe kümmert sich darum. So gaben 2023 beim DGB-Index lediglich 18 Prozent der Befragten an, dass für ihren Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung der psychischen Arbeitsbelastung durchgeführt wurde. In der
Betriebs- und Personalrätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung erklärten nur 30 Prozent, dass aus erfolgten Gefährdungsbeurteilungen auch Konsequenzen für bessere Arbeitsbedingungen gezogen wurden.

Elke Ahlers vom Referat Qualität der Arbeit am WSI findet dieses Ergebnis besonders bitter: „Wenn aus den Befragungen nichts folgt, verlieren Beschäftigte das Vertrauen und beteiligen sich zukünftig nicht mehr an den Befragungen.“ Sie sieht bei vielen Geschäftsführungen zwar ein größeres Bewusstsein für die Gesundheit der Beschäftigten, sie setzen aber mit den oftmals angebotenen Gesundheitskursen selten bei den eigentlichen
Ursachen der Arbeitsbelastungen an.

Die Belastung ist trotzdem recht hoch, aber die Leute sind zufriedener, weil der Betriebsrat immer nach einer Lösung sucht.“

JULIA KÜLLMER, Stationsleitung Pflege, Helios Klinik, Wuppertal

  • Team BR Heliosklinikum in Wuppertal gemeinsam am Schreibtisch
    Carsten Hedtstück mit seiner Stellvertreterin Sabine Stiefeling (Mitte) und Julia Küllmer, Stationsleitung Pflege.

Durch die Hintertür

Psychische Belastungen hängen nicht selten mit Personalmangel zusammen und da geht es ans Tafelsilber der Arbeitgeber. Zwar haben Betriebsräte bei der Personalbemessung keine Mitspracherechte, aber gerade der Arbeits- und Gesundheitsschutz öffnet ihnen eine Hintertür. Diese nutzt beispielsweise der Betriebsrat der Helios Klinik in Wuppertal. Wenn Schichten nicht ausreichend besetzt sind, sodass beispielsweise Pausen nicht eingehalten werden können, lehnt der Betriebsrat den Dienstplan ab. Julia Küllmer ist Stationsleiterin in der Pflege und schätzt den kritischen Blick: „Die Belastung ist trotzdem recht hoch, aber die Leute sind zufriedener, weil der Betriebsrat immer nach einer Lösung sucht.“ Seit fast 20 Jahren arbeitet Julia Küllmer in der Wuppertaler Klinik. Sie möchte keinen anderen Beruf machen, auch wenn die Belastungen zugenommen haben. Zur eigentlichen Pflege kamen immer mehr Aufgaben dazu, wie etwa Essen und Wäsche bestellen. „Das haben früher externe Dienstleister gemacht“, sagt Küllmer.

In der Pflege arbeiten viele Beschäftigte unter Stress. In den WSI-Mitteilungen 3/2024 schreiben die Wissenschaftler Alfons Hollederer und Dennis Mayer über die gesundheitlichen Risiken von Pflegekräften. Mehr als zwei Drittel arbeiteten häufig unter hohem Termindruck. Sie klagten häufiger über körperliche und emotionale Erschöpfung als andere Berufsgruppen.

Gemessen statt gefühlt

Auch bei der Helios Klinik in Wuppertal gab es immer wieder Berichte über hohe Krankenstände, doch der Arbeitgeber wiegelte im Aufsichtsrat ab. Die Zahl der Patienten sei seit der Pandemie gesunken und in der Pflege mehr Personal eingestellt worden. Betriebsratsvorsitzender Carsten Hedtstück wollte es genau wissen. Der Betriebsrat besorgte sich unter anderem die betrieblichen Gesundheitsberichte der Krankenkassen, bei denen mindestens 50 Beschäftigte der Klinik versichert sind. Gemeinsam mit Jana-Lisa Blankenagel vom Betriebsrat wertete er die Daten innerhalb von drei Monaten aus und konnte nachweisen: „Unser Krankenstand liegt über dem Durchschnitt vergleichbarer Beschäftigungsgruppen.“

Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen, einem 360-Grad-Konzept, geht der Betriebsrat das Thema an. Aufsichtsrat und Geschäftsleitung unterstützen das Konzept. Gegen die häufig dünne Personaldecke hat die Klinik einen Springerpool. Im Flexipool können die Beschäftigten ihre Wunscharbeitszeiten angeben. Sie können beispielsweise wählen, nur von 8 bis 16 Uhr zu arbeiten oder keine Nachtdienste zu übernehmen. Sie müssen allerdings im Gegenzug flexibel beim Einsatzort sein. Vom kommenden Jahr an soll jeder seine Arbeitszeit in vier Tagen ableisten können und so einen freien Tag mehr pro Woche gewinnen. „Freiwillig, unabhängig medizinisch und wissenschaftlich begleitet und ausgewertet von der Bergischen Universität Wuppertal“, betont Hedtstück. Stationsleiterin Julia Küllmer hat sich bereits entschieden: „Ich werde das auf jeden Fall machen.“ Überhaupt fänden auf ihrer Station alle die Viertagewoche gut. „Im Moment kommt hier niemand pünktlich raus. Wenn ich 9,25 Stunden am Tag arbeite, sind die Überstunden geplant, und ich habe einen freien Tag mehr für mich in der Woche“, sagt Küllmer.

Wir müssen Arbeit so gestalten, dass sie gar nicht erst krank macht, und nicht die Beschäftigten darin schulen, wie sie die schlechten Bedingungen überleben.“

ROLF SCHMUCKER, Leiter des Instituts DGB-Index Gute Arbeit

Was nicht hilft

Die Arbeitsmedizinerin Engelhardt-Schagen weiß aus Erfahrung: „Es gibt immer eine Lösung.“ Manchmal helfen Kleinigkeiten, etwa ein Ruheraum im Callcenter, damit sich die Beschäftigten nach einem schwierigen Gespräch kurz zurückziehen können. In einem Jugendamt hatten die Beschäftigten per Arbeitsvertrag das Recht auf Supervision, und eine Strafvollzugsanstalt bildete psychologische Ersthelfer aus, um im Krisenfall schnell helfen zu können. Die Arbeitsmedizinerin weiß aber auch, was nicht hilft: „Ein Sofa ins Büro stellen oder Rückenkurse bezahlen.“

Grundsätzlich hat Rolf Schmucker nichts gegen solche Angebote einzuwenden, wenn sie das Sahnehäubchen obendrauf sind. Doch die Verhältnisprävention sollte im Arbeitsschutz Vorrang haben. „Wir müssen Arbeit so gestalten, dass sie gar nicht erst krank macht“, sagt Schmucker, „und nicht die Beschäftigten darin schulen, wie sie die schlechten Bedingungen überleben.“ Rückenkurse könnte auch Lehrerin Viktoria Brück besuchen. Die 36-Jährige unterrichtet jahrgangsübergreifend Zweit- und Drittklässler an einer Förderschule. Mit ihrem Rücken hat sie keine Probleme. „Der Personalmangel, gepaart mit unserer Schülerschaft, macht die Arbeit nicht nur enorm anstrengend, es ist auch gefährlich“, sagt Brück. 13 Kinder hat sie pro Klasse. Viele sind verhaltensauffällig,  verbale, aber auch körperliche Gewalt gehören zu ihrem Alltag. 45 Prozent der Lehrkräfte an ihrer Schule fehlen derzeit. Die Lücken werden mit Lehrkräften aus anderen Schulen gestopft, sodass das Team zumindest zu 80 Prozent steht.

Neben dem Mangel lastet viel Bürokratie auf den Schultern der jungen Lehrerin. Mehr als die Hälfte ihrer Zeit verbringt sie mit Gutachten schreiben, Akten pflegen oder Anträge stellen. Für ihren Lehrplan hat sie wenig Zeit, und überhaupt kommt sie immer weniger dazu, mit den Kindern daran zu arbeiten. „Man kann oft nur betreuen, Streithähne auseinanderbringen und verhindern, dass etwas passiert“, sagt Viktoria Brück. Nur an einem Tag in der Woche läuft es so, wie es sich die Lehrerin immer wünschen würde: „An einem Tag sind wir zu dritt in der Klasse“, erzählt sie. „Dann können wir in kleinen Gruppen auf die unterschiedlichen  Förderbedarfe und Leistungsstände der Kinder eingehen.“

Ihr Kollege Uwe Schledorn, Personalrat und Mitglied im Leitungsteam Arbeits- und Gesundheitsschutz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Nordrhein-Westfalen, erinnert sich noch an seine Anfangszeiten als Förderlehrer in den 1990er Jahren mit Klassen à acht Kindern. „Würden wir diese Klassengrößen zugrunde legen, wäre der Mangel noch größer“, sagt Schledorn. Von den etwa 4600 Stellen an Förderschulen im Regierungsbezirk Düsseldorf seien 539 nicht besetzt. Unter diesen Bedingungen kündigen viele nach kurzer Zeit wieder oder gehen in Teilzeit. „Allein im vergangenen Jahr haben 980 Lehrkräfte an allen Schulformen in Nordrhein-Westfalen gekündigt“, sagt Schledorn.

Natürlich könne das Land keine Lehrkräfte herbeizaubern, aber Uwe Schledorn fallen gleich ein Dutzend Dinge ein, die den Lehrenden das Leben erleichtern könnten: „Wir fordern seit Langem, Lehrpläne auszumisten, Vergleichsarbeiten auszusetzen und Bürokratie abzubauen.“ Ein IT-Support könnte den Lehrkräften Arbeiten abnehmen, die nicht zu ihrer eigentlichen Aufgabe gehören. Mehr pädagogisches Personal außerhalb des Lehrberufs könnte ebenfalls helfen. Aber man müsse diese Kräfte auch besser ausbilden und bezahlen und dürfe sie nicht verheizen.

Der Personalmangel, gepaart mit unserer Schülerschaft, macht die Arbeit nicht nur enorm anstrengend, es ist auch gefährlich.“

VIKTORIA BRÜCK, Lehrerin an einer Förderschule

  • Förderlehrkräfte Uwe Schledorn (li.) und Viktoria Brück vor Tafel
    Förderlehrer Uwe Schledorn und Viktoria Brück (v.l.n.r.): Lücken in der Personaldecke werden nur notdürftig gestopft.

Chronisch unterbesetzt

Denn anderen Beschäftigten an Schulen geht es oft nicht besser. Dieter Endesfelder ist stellvertretender Vorsitzender des Gesamtpersonalrats der allgemeinbildenden Schulen in Berlin und für das weitere pädagogische Personal zuständig. Was er von pädagogischen Kräften im Ganztag erzählt, klingt ähnlich: chronisch unterbesetzt, Zahl der Krankentage und Langzeiterkrankten geht steil nach oben, viele wechseln in Teilzeit.

Statt ihre pädagogische Arbeit vorzubereiten, springen pädagogische Kräfte ein, wenn Lehrer ausfallen. Für Dinge wie gemeinsam kochen, nähen oder den Schulgarten verschönern, bleibe oft genauso wenig Zeit wie für Ausflüge. Dabei gibt es in Berlin sogar eine Dienstvereinbarung, die den Beschäftigten im Ganztag vier Stunden pro Woche zugesteht, die sie nicht direkt am Kind arbeiten und für Vorbereitung nutzen können. „Diese Zeit müsste aber fest in den Dienstplänen stehen“, sagt Endesfelder, „sonst werden die Stunden für anderes aufgezehrt.“

Der Personalrat würde diese Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit gerne auf neun pro Woche erhöhen und die Gruppengröße auf 15 Kinder senken. Das führe zwar zunächst zu mehr Personalmangel, räumt Endesfelder ein, aber es könnte sich auch etwas verbessern: „Wo Zeit für Vorbereitung bleibt, wo Beschäftigte Kinder auch einfach  mal beobachten und pädagogisch arbeiten können, sind die Kolleginnen viel zufriedener und der Krankenstand deutlich niedriger.“ 

Wo Zeit für Vorbereitung bleibt, wo Beschäftigte Kinder auch einfach mal beobachten und pädagogisch arbeiten können, sind die Kolleginnen viel zufriedener und der Krankenstand deutlich niedriger.“

DIETER ENDESFELDER, stellvertretender Vorsitzender des Gesamtpersonalrats der allgemeinbildenden Schulen in Berlin

  • Dieter Endesfelder, stellvertretender Vorsitzender des Gesamtpersonalrat der allgemeinbildenden Schulen in Berlin im Garderobenbereich
    Dieter Endesfelder ist als Personalrat für das pädagogische Personal außerhalb des Lehrerberufs zuständig. Auch hier herrscht chronischer Mangel.

Gesunde Führung

Nicht nur unter Personalmangel leiden Beschäftigte. Häufig ist auch die Führung ein Problem. Zum 360-Grad-Konzept des Helios-Klinik-Betriebsrats gehört deshalb auch die Schulung der Führungskräfte. Dabei geht es um Wertschätzung, aber auch darum, Vorgesetzte zu sensibilisieren, auf Alarmsignale zu achten, wenn Beschäftigte Hilfe brauchen. „Es macht einen Unterschied, wenn mein Chef sich für mich interessiert“, sagt Betriebsratsvorsitzender Hedtstück.

Arbeits- und Gesundheitsschutz ist aber auch immer eine Geldfrage. Deshalb lässt der Betriebsrat der Helios Klinik das 360-Grad-Konzept von der Bergischen Universität wissenschaftlich begleiten. Ermittelt werden sollen Schlüsselindikatoren. „Damit wollen wir messen, welche Maßnahmen wie wirken“, sagt Hedtstück.

Am Ball bleiben

Genauso wie sich Arbeit verändert, müssen auch Arbeitsschützer immer am Ball bleiben. Betriebsrat Stephan Klenzmann sieht das vor allem in modernen Büros. Zwar sind die einzelnen Arbeitsplätze bei der SMS Group  mit höhenverstellbaren Schreibtischen, ausreichend großen Bildschirmen oder Beleuchtung gut ausgestattet, doch in der schönen neuen Arbeitswelt gibt es nicht mehr für jeden einen Schreibtisch, da meist ein Teil der  Belegschaft mobil oder zu Hause arbeitet, dafür gibt es kleine Besprechungszellen im Großraum, Sofaecken, Ringe an der Decke und einen Boxsack an der Wand.

Nach den Standards der Raumabmessungen sind die Besprechungszellen eigentlich zu klein. Der Betriebsrat akzeptiert zwar die engen Zellen, begrenzt aber Tätigkeiten und Zeit, die die Beschäftigten darin verbringen dürfen. Ähnliches gilt auch für die Sofaecken. Sie sehen zwar gemütlich aus, sind aber keine Arbeitsplätze. Wer sich dennoch dort mit seinem Laptop niederlässt, soll nicht länger als zwei Stunden daran arbeiten. So legt der Betriebsrat selbst Grenzen fest. Auch bei psychischen Belastungen gibt es bislang vom Gesetzgeber keine klaren Regeln für die Prävention. Stephan Klenzmann würde sie sich für seine Arbeit aber dringend wünschen: „Da brauchen wir verbindliche Mindeststandards so wie bei Lärm.“

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