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Plattencover_Buffy-Sainte-Marie Magazin Mitbestimmung

Politisches Lied: Ein schmutziges Geschäft

Ausgabe 01/2023

Die Sängerin Buffy Sainte-Marie fragt sich, wer die Verantwortung für den Krieg hat, und sieht sie selbstkritisch bei uns allen. Von Martin Kaluza

Buffy Sainte-Marie: The War Racket (2017) 

And war is never, ever holy. It‘s just the greedy man‘s dream 
And you two-faced crusaders: Both sides are obscene 

War's not made by God: War's made by men  
Who misdirect our attention while you thieves do your thing 

 

Ein schmutziges Geschäft 

Buffy Sainte-Marie wartet auf dem Flughafen von San Francisco auf ihren Anschlussflug. Sie ist auf dem Weg von Mexiko zurück nach Toronto, und mitten in der Nacht beobachtet sie, wie Verletzte aus einem Flugzeug getragen werden. Sie fragt einen Arzt, der mit ihnen aus dem Flugzeug stieg, was es mit ihnen auf sich habe. Das seien, erklärt er, Soldaten, die in Vietnam verwundet wurden. 

In der US-amerikanischen Öffentlichkeit wird kaum über Verwundete und Gefallene gesprochen. Die junge Sängerin ist erschüttert und schreibt einen Song. Sie fragt sich, wer die Verantwortung für den Krieg hat, und sieht sie selbstkritisch bei uns allen. Über den „Universal Soldier“, der für alle Länder und auf allen Seiten kämpft, singt sie: „Er weiß, er sollte nicht töten, und er weiß, er wird es immer tun – dich für mich, mein Freund, und mich für dich.“ Zum weltweiten Hit wird der Song ein Jahr, nachdem Sainte-Marie ihn veröffentlicht hat, in der Interpretation des britischen Folksängers Donovan. 

Sainte-Marie wird in einem Reservat in der kanadischen Provinz Saskatchewan geboren. Unter Umständen, die nicht bekannt sind, wird sie von ihren Eltern, die dem Volk der Cree angehören, getrennt und von einer Familie in den USA adoptiert. Sie gehört zu den ersten Stimmen, die darüber singen, wie der Staat die Kultur der indigenen Bevölkerung bekämpft. Das Engagement bringt ihr auch Ärger ein, vor allem in den USA: Unter den Präsidenten Nixon und Johnson werden ihre Lieder aus dem Radio verbannt – darin teilt sie das Schicksal ihres Freunds Pete Seeger. Als Songwriterin macht sie sich dennoch einen Namen. Sie ist mit Bob Dylan befreundet, Janis Joplin singt Sainte-Maries Song „Codine“, ihre Ballade „Until It‘s Time For You To Go“ wird von Elvis Presley, Barbra Streisand und Nancy Sinatra gecovert. Für ihre Beteiligung am Filmsong „Up Where We Belong“, gesungen von Joe Cocker und Jennifer Warnes, gewinnt sie einen Oscar. 

Von 1975 bis 1981 gehört Sainte-Marie sogar dem Ensemble der Sesamstraße an. Sie will zeigen, dass in ihrem Land indigene Menschen leben, und bringt nebenbei ein feministisches Anliegen an: Im Gespräch mit dem großen, gelben Vogel Bibo stillt sie vor der Kamera ihr Baby – in der US-Öffentlichkeit bis heute ein Tabu. 50 Jahre nach Beginn ihrer Karriere lebt Sainte-Marie auf Hawaii, züchtet Ziegen und beschäftigt sich noch immer mit der Frage nach Krieg und Verantwortung. 2017 veröffentlicht sie den Song „The War Racket“, der wie die Fortsetzung des „Universal Soldier“ wirkt. Der Titel geht zurück auf den Essay „War Is A Racket“ (Krieg ist ein schmutziges Geschäft), den der ehemalige Generalmajor der Marines Smedley D. Butler 1935 veröffentlichte. Butler rechnete mit den Kriegen ab, die die USA in der Karibik führten, kritisierte den Kriegseintritt im Ersten Weltkrieg und warnte vor einer Auseinandersetzung mit Japan. 

Die Kapitelüberschriften lesen sich wie die Gliederung des Songs: „Krieg ist ein schmutziges Geschäft“, „Wer verdient daran?“, „Wer bezahlt die Rechnung?“. Sainte-Marie antwortet in präzisem Sprechgesang: Krieg wird nicht von den Menschen gemacht, auch nicht von Gott. Sondern von den Politikern und Profiteuren. Die Mächtigsten der Welt, sie machen gemeinsame Sache mit den Verbrechern, und die Armen bezahlen dafür. „When all sides are dying in the patriot game / It‘s the war racket.“ Wenn alle Seiten in dem patriotischen Spiel sterben, das ist das schmutzige Geschäft des Kriegs.    

 


Das Lied hören/ansehen:  
https://youtu.be/GzG_4e8yGew 

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