Quelle: Lando Hass
Magazin MitbestimmungTransformation: „Das muss raus in die Welt“
Mit einer speziell zugeschnittenen Förderlinie will die Hans-Böckler-Stiftung den sozialökologischen Strukturwandel in Betrieben und Regionen voranbringen. Zwei Jahre nach dem Start liegen jetzt die ersten Ergebnisse vor. Sie sind vielversprechend. Von Joachim F. Tornau
Wie überlebensnotwendig es auch für kleine und mittlere Unternehmen ist, sich auf die klimagerechte Transformation der Wirtschaft einzustellen, lässt sich im Ulmer Industriegebiet Donautal aus erster Hand erfahren. Hier hat die Brehm Präzisionstechnik ihren Sitz, ein mittelständisches Familienunternehmen mit 230 Beschäftigten, das seit Jahrzehnten einen hervorragenden Ruf als Produzent von Drehteilen für die Automobilindustrie genießt. Der Haken: Das Gros dieser Präzisionsteile landet in Automatikgetrieben, die es in Elektroautos nicht gibt. Jan Gottke von der IG Metall in Ulm bringt es auf den Punkt: „Wir haben bei Brehm bis zu 90 Prozent Verbrennerabhängigkeit – und damit künftig ein großes Problem.“
Im vergangenen Jahr ergriffen Gewerkschaft und Betriebsrat deshalb die Initiative und gewannen die Geschäftsleitung für ein gemeinsames Projekt: Gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung und mit wissenschaftlicher Begleitung, begaben sie sich auf eine sozialpartnerschaftliche Lernreise, um mögliche neue Geschäftsfelder für das Unternehmen zu erkunden. Zusammen besuchte man nicht nur das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg (ZSW), das als Projektpartner die technische Expertise lieferte, sondern auch mehrere Unternehmen der Wasserstoff- und Elektromobilität. Marktforschung ganz praktisch.
„Innerbetrieblich hatten wir noch nicht den richtigen Ansatz gefunden für die Transformation“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Thomas Brehm. „Da hat uns das Projekt wertvolle Impulse gegeben.“ Auch dank der Belegschaft: Betriebsrat und IG Metall betrieben großen Aufwand, um die Beschäftigten zu beteiligen. Natürlich stand am Ende des sechsmonatigen Projekts noch kein Masterplan für den Weg in die Zukunft. Und natürlich lösten sich nicht sämtliche Sorgen der Belegschaft in Luft auf. Doch es gibt jetzt Ideen – im Marketing, im Vertrieb, bei der Akquise neuer Kunden und Produkte. So wird analysiert, welche Kundenanfragen in der Vergangenheit abgelehnt werden – und warum. Die Website soll aufgefrischt werden. Und es wird intensiv daran gearbeitet, auch im Bereich neuer Technologien ein Netzwerk aufzubauen. „Die Reise geht weiter“, sagt Brehm. Betriebsrat Wolfgang Reck spricht von Aufbruchstimmung.
Innerbetrieblich hatten wir noch nicht den richtigen Ansatz gefunden für die Transformation. Da hat uns das Projekt wertvolle Impulse gegeben.“
Ermöglicht wurde das durch die 2022 aufgelegte Förderlinie Transformation, mit der die Hans-Böckler-Stiftung Akteure der Mitbestimmung bei Transformationsprozessen unterstützen will. Gefördert werden Projekte, die, wie bei Brehm in Ulm, einen Bedarf aus der Praxis mit wissenschaftlichem Know-how zusammenbringen, um kurzfristig zu Lösungen zu kommen.
Manuela Maschke koordiniert das Programm bei der Hans-Böckler-Stiftung. „Anders als sonst ist immer das konkrete betriebliche oder regionale Anliegen der Ausgangspunkt“, erklärt sie. Weil der Transformationsdruck so groß ist, soll von der Idee bis zur Bewilligung möglichst wenig Zeit vergehen. Die Stiftung übernimmt deshalb oft auch große Teile der Projektentwicklung. Dass sich nicht alle Probleme mit 50.000 Euro, der Höchstfördersumme für betriebliche Projekte, und binnen weniger Monate lösen lassen, darüber macht sich Maschke keine Illusionen. „Das ist gar nicht der Anspruch“, sagt sie. „Die Projekte sind immer nur ein Impuls.“ Der allerdings, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort, durchaus über den Einzelfall hinauswirken könne.
Alexander Ziegler vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München hat das Projekt in Ulm geleitet. Das Vorgehen, meint der Soziologe, lasse sich auf andere Unternehmen des industriellen Mittelstands übertragen, die wie Brehm kein Geld für eine eigene Innovationsabteilung oder eine groß angelegte Investitionsoffensive haben. „Man muss Analyse und Umsetzung hier viel stärker verschränken“, sagt er. Nicht abstrakt diskutieren, sondern sich mit ganz konkreten Zukunftsfeldern beschäftigen – und bereit sein, gemeinsam schlauer zu werden. Im Projektteam, aber auch durch Beteiligung der Beschäftigten. „Vertrauen ist ganz wichtig“, unterstreicht Ziegler. „Transformation kann nicht von oben angeordnet werden.“
Im Projekt ging es dann darum, die Worthülsen von der ‚lebenslangen Qualifikation‘ mit Leben zu füllen“.
Ein anderes gefördertes Projekt beim Automobilzulieferer Magna verbindet sich sogar ausdrücklich mit der Aufforderung zum Nachmachen. Oder, wie Georg Rainer Hofmann, Direktor des Information-Management-Instituts an der Technischen Hochschule Aschaffenburg, sagt: „Das muss raus in die Welt.“ Es geht um Weiterbildung – und um das Problem, dass die Notwendigkeit lebenslangen Lernens zwar allenthalben betont wird, Qualifizierungsangebote aber nicht auf eine entsprechende Nachfrage treffen. Der Projektleiter sieht darin ein rational-ökonomisches Marktversagen ähnlich wie beim Arbeitsschutz.
Vor gut einem Jahr wollte der kanadisch-österreichische Automobilzulieferer Magna sein Autospiegel-Werk im unterfränkischen Dorfprozelten schließen. 480 Menschen drohte der Jobverlust. In intensiven Verhandlungen gelang es
IG Metall, Betriebsrat und Arbeitgeber jedoch, gemeinsam den Standort zu erhalten, wenigstens bis 2028 und mit mindestens noch 200 Arbeitsplätzen. Ein zentrales Element des Fortführungskonzepts: Magna stellt 500.000 Euro bereit, um die verbleibende Belegschaft für künftige Anforderungen zu qualifizieren.
Für Percy Scheidler, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Aschaffenburg, war es wichtig, über die Zukunft zu sprechen, nicht nur über Abfindungssummen. „Im Projekt ging es dann darum, die Worthülsen von der ‚lebenslangen Qualifikation‘ mit Leben zu füllen“, sagt Scheidler. Vereinbart wurde, dass alle verbleibenden Beschäftigten Anspruch auf ein Karriereberatungsgespräch bei einer externen Beratungsfirma haben, freiwillig und auf Wunsch vertraulich. Der Weiterbildungsetat wird von einem Beirat verwaltet, in dem Betriebsrat, Arbeitgeber und Gewerkschaft vertreten sind. „Wir entscheiden gemeinsam, für welche Qualifizierungsmaßnahmen die bereitgestellten Gelder investiert werden“, sagt der Personalleiter des Standorts, Christian Salomon.
Vor allem aber werden Strukturen geschaffen, die der Weiterbildung die nötige Aufmerksamkeit verschaffen sollen: einerseits „top down“ durch die Benennung eines Chief Qualification Officer im Management, der regelmäßig Rechenschaft ablegen soll über den Stand der Qualifikation, und andererseits „bottom up“ durch Weiterbildungsmentoren in der Belegschaft. Neben den Hauptprojektpartnern Magna Mirrors und IG Metall waren in die Entwicklung des Modells auch Verdi und die IGBCE mit jeweils einem Unternehmen aus der Region einbezogen, dazu die örtliche Arbeitsagentur. Die Förderlinie Transformation geht die sozialökologische Transformation bewusst als überbetriebliche Aufgabe an. „Das ist um einiges aufwendiger“, weiß Koordinatorin Maschke. „Es müssen viele verschiedene Akteurinnen und Akteure zusammenkommen, die sonst nicht unbedingt mit im Boot sind.“
Mitmachort und Experimentierlabor
Zum Beispiel im mitteldeutschen Chemie- und Braunkohlerevier bei Leipzig. Am Industriestandort Böhlen-Lippendorf, wo heute noch Kohle gefördert und verstromt wird, künftig aber Wasserstofftechnologien den Ton angeben sollen, macht sich eine Arbeitsgruppe Gedanken über die Zukunft der beruflichen Bildung und der Fachkräftesicherung in der Region. Die großen Unternehmen LEAG und Dow Chemical und ihre Betriebsräte gehören dazu, Gewerkschaften, das Berufsschulzentrum, die Hochschule in Merseburg, auch IHK und Landrat sind eingebunden.
In dieser Runde entstand die Idee, ein „Technikum für Energie- und Stoffkreislauf“ zu schaffen als Mitmachort und Experimentierlabor. Das Ziel formuliert Daniel Menning vom Projekt „Revierwende“ des DGB als Dreiklang: „Es geht um Berufsorientierung für Schülerinnen und Schüler, damit sie vor Ort bleiben und hier ihre Ausbildung im Bereich der Zukunftstechnologien machen, um Aus- und Weiterbildung – und um den Abbau von Ängsten in der Bevölkerung.“ Mithilfe der Förderlinie Transformation wird an der Hochschule Merseburg nun ein erster Experimentierzirkel entwickelt, der erfahrbar macht, wie Solarstrom erzeugt, dann als Wasserstoff gespeichert und schließlich in einer Brennstoffzelle wieder zu Energie werden kann.
Markus Krabbes, Rektor der Hochschule Merseburg, ist besonders wichtig, dass „den Teilnehmenden ein Selbstwirksamkeitserlebnis ermöglicht wird“. Ein erster prototypischer Durchlauf sei in Reichweite. „Das gibt unserem
Vorhaben hoffentlich auch politischen Schwung“, hofft der Professor. Noch ist die Arbeitsgruppe nämlich auf der Suche nach einem Träger für das geplante Technikum.
Die Förderlinie Transformation war ursprünglich bis zum Sommer befristet. Mittlerweile wurde sie bis 2027 verlängert.
Ausführlichere Informationen über die Förderlinie Transformation und alle bislang geförderten Projekte unter: www.boeckler.de/de/foerderlinie-transformation
Die Projekte bei Magna Mirrors und im mitteldeutschen Chemie- und Braunkohlerevier werden auch im Mitbestimmungsportal der Hans-Böckler-Stiftung vorgestellt.
Hofmann, Georg Rainer; Scheidler, Percy (2024): Chief Qualification Officers (CQOs) und betriebliche Weiterbildungsbeauftragte, Forschungsförderung Working Paper 335. Kostenloser pdf-Download