Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Das Haus als Faust
Der Neubau des Gewerkschaftshauses in Bochum ist zum Politikum geworden. Sollen Gewerkschaften zurückhaltend auftreten, oder ist es ihre Aufgabe, markante Zeichen im Stadtbild zu setzen?
Von Christiane Mattiesson
Dr. Mattiesson promovierte mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung und arbeitet als freie Journalistin in Bochum.
"Bescheiden geht man nicht zu Werke bei der IG Metall", schrieb die WAZ in ihrer Lokalausgabe, als die IG Metall im Februar das Richtfest ihres neuen Gewerkschaftshauses feierte. Den Namen "Jahrhunderthaus" fand die Zeitung "zu monströs", hiermit habe "sich die IG Metall übernommen". Vermessenheit, Selbstüberschätzung - solche Assoziationen schwingen in derartigen Kommentaren mit. Tatsächlich dient das Gebäude auch repräsentativen Zwecken: "Der Neubau ist ein Zeichen der Zukunft - ein Zeichen für die Stärke der Gewerkschaft" - so verteidigt Ludger Hinse, erster Bevollmächtigter der IG Metall in Bochum, das Haus in zentrumsnaher Lage.
Es ist für rund 200 Büroarbeitsplätze ausgelegt - neben der IG Metall selbst zieht auch der DGB Region Ruhr-Mark hier ein, außerdem die DGB-Rechtsschutz GmbH, die IG BAU sowie die BAQ, eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft für ehemalige Opel-Mitarbeiter. Der Umzug ist für Mitte Oktober geplant, der genaue Termin der Einweihung steht noch nicht fest.
Wenn man den Bauherren kennt, dann überrascht es nicht, dass in Bochum kein schlichter Zweckbau, sondern ein Haus mit künstlerischem Anspruch hochgezogen wird. Denn in der Person des Bergarbeitersohnes vereinen sich langjährige Gewerkschaftsarbeit und eigenes künstlerisches Schaffen. Seit 1988 stellt Hinse seine eigenen Arbeiten aus - Malerei sowie Stahlskulpturen. Grenzen überwinden, kreativ sein - dies prägt sein Denken in der Kunst sowie sein politisches Engagement. Dem Bau war im Jahr 2000 ein Wettbewerb der IG Metall vorausgegangen. Vier Architekturbüros hatten ihre Entwürfe eingereicht. Den Zuschlag erhielt das Büro Professor Krenz Architekten, ein in Berlin, Bonn und Bochum ansässiges Architekturbüro mit Aufträgen aus der Wirtschaft, der Finanz- und Versicherungsbranche sowie von Städten und Gemeinden. Beim Neubau der Gewerkschaftszentrale inspirierten sich der Metaller und der ausführende Architekt, Wolfgang Krenz, beide Alt-68er, gegenseitig.
Der Neubau ist eine seltene Gelegenheit
Aus Berlin und auch aus Frankfurt kennt man die modernen Hochhäuser, in denen sich die Gewerkschaften eingerichtet haben - Gebäude, die es im Kampf um Höhe mit den Bürotürmen der großen Verwaltungsgebäude der Industrie aufnehmen. Auf dem platten Land herrscht dagegen meist die Tristesse vergangener Jahrzehnte. Neue Gewerkschaftshäuser werden heute nur noch selten gebaut - der Normalfall sind wenig spektakuläre Sanierungen und Umbauten, wie Peter Zienow, Geschäftsführer der IGEMET GmbH, der seit 1948 bestehenden Baugesellschaft der IG Metall, bestätigt: "Es geht uns eher um die Bewirtschaftung der vorhandenen Gebäude, die meist aus den 50er, 60er und 70er Jahren stammen."
Doch in Einzelfällen, erklärt er, sei ein Neubau wirtschaftlicher als die Revitalisierung - und dann sei, wie in Bochum, Auffallen erlaubt: "Wir sind nicht unglücklich darüber, dass keine graue Immobilienmaus herausgekommen ist, sondern ein sehr bemerkenswertes und schönes Gebäude." Dessen Entwurf erinnert mit den Materialien - Ziegel, Stahl und Glas - an die typische, funktionale Industriearchitektur des Ruhrgebietes - er sieht zwei gegenüberliegende, neun- und viergeschossige Gebäuderiegel in Nord-Süd-Richtung vor, die durch eine gläserne Eingangshalle miteinander verbunden sind. Ein Gastronomiebetrieb und ein großer Saal bieten Platz für Tagungen und soziale und kulturelle Begegnungen.
Das Haus knüpft damit an alte Traditionen an. Schon die ersten, kurz nach der Jahrhundertwende im Kaiserreich errichteten Gewerkschaftshäuser waren repräsentative, zentral gelegene und selbst finanzierte Mehrzweckbauten - Zentren des politisch-kulturellen Lebens. Sie beherbergten Restaurants, Arbeitsvermittlungen, Versammlungssäle, Bibliotheken, sogar Schlafstätten und Kegelbahnen. Während sich die ersten Bauten stilistisch noch an der bürgerlichen Architektur orientierten, entstanden in den 20er und 30er Jahren eigenständige Entwürfe im Stil des Neuen Bauens - so wie 1929/30 das "Haus des Deutschen Metallarbeiterverbandes" in Berlin. Zu dem von Erich Mendelsohn entworfenen und für seine Zeit fast einmaligen Gebäude hat auch Ludger Hinse einen besonderen Bezug: "In dem Gebäude habe ich schon gearbeitet, dagegen ist vieles heute mittelmäßig."
Das Architekturbüro Krenz knüpft formal an diese klassische Moderne an. Ganz in der Tradition der Postmoderne vertreten sie, wie Wolfgang Krenz erläutert, bei der Gebäudeform "die Idee eines poetischen Rationalismus, bei welchem der einfache kubische Körper eine bildhafte Geste erzeugt" - eine geöffnete Faust, die man auch als Symbol für Entschlossenheit im Arbeitskampf lesen kann. Dem Architekten zufolge ermöglicht das viele Deutungen: "Die erhobene Hand, die werktätige Hand, die schützende Hand - außen hart und innen weich." Keine Frage, Krenz hat sich auch mit den politischen Vorstellungen der Gewerkschaftsbewegung auseinander gesetzt.
Auf dem Baugründstück befand sich vor mehr als 100 Jahren der Bochumer Verein, ein Traditionsunternehmen der Gussstahlfabrikation, das seit den 60er Jahren stückweise in den Krupp-Konzern eingegliedert wurde. Der Ort verbindet die Generationen, er führt zurück zu den Wurzeln des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes, der wichtigsten Vorläuferorganisation der IG Metall. In direkter Nachbarschaft steht auch die "Jahrhunderthalle", die der Bochumer Verein 1902 für die Düsseldorfer Gewerbeausstellung baute und anschließend als Gebläsehalle für seine Hochöfen nutzte.
In diesem Gesamtzusammenhang wird das neue Gebäude von der IG Metall "Jahrhunderthaus" genannt. Viele Mitglieder seien stolz auf das Haus, erklärt Ulrike Kleinebrahm, die Geschäftsführerin der IG-Metall-Verwaltungsstelle, und beobachteten den Fortgang der Arbeiten sehr genau. "Keine Woche vergeht, in der nicht ein Kollege aus der Stadt anruft und sagt: ,Du, ich bin spazieren gegangen und habe auf der Baustelle was beobachtet
" Die Baustelle hält sie für die am besten bewachte in der Stadt.
Die Kritik an den Kosten trägt nicht
Genau 9.735.000 Euro kostet der Neubau in Bochum die IG Metall schlüsselfertig. Parallel errichtet die British Petroleum AG (BP) ihre neue, 90 Millionen Euro teure Deutschland-Zentrale für rund 1500 Mitarbeiter, das Bochumer Nahverkehrsunternehmen Bogestra einen neuen Betriebshof für 70 Millionen Euro und die Bochumer Stadtwerke ein neues Verwaltungsgebäude für 35 Millionen Euro. Trotzdem - können rund 10 Millionen schon zu viel sein? Architekt Wolfgang Krenz bestreitet dies - er spricht sogar von einem "Low-Budget-Konzept". So verzögerten sich die Bauarbeiten, weil die Kosten noch einmal neu kalkuliert wurden - rund 750.000 Euro konnten gespart werden. Als sich deswegen der Termin für die Fertigstellung verschob, vermutete die Bochumer Lokalausgabe der WAZ hinter dem "Abspecken" Geldmangel oder Uneinigkeiten mit der Frankfurter Zentrale der IG Metall.
Ludger Hinse nimmt das gelassen - eine "kritische Öffentlichkeit", sagt er, sei notwendig, und seine Gewerkschaft habe zur Lokalpresse ein "offenes und gutes Verhältnis". Noch souveräner geht Hinse mit Kommentaren von anderen Seite um: von den Arbeitgebern. Denn auch bei den Bochumer Arbeitgeberverbänden hat das selbstbewusste Baukonzept Aufmerksamkeit erregt. Die Gewerkschafter bekamen das am Rande von Tarifverhandlungen zu spüren, wie Hinse sich erinnert. Die Arbeitgeber fragten, wie den Ansprüchen von Arbeitnehmern begegnet werden solle, "bei so einem Bau im Rücken", erinnert sich Hinse. Vielleicht ist das ja der beste Beweis, dass der Bau Eindruck macht. "Bescheiden", sagt die Metallerin Ulrike Kleinebrahm, "waren wir hier in Bochum noch nie."