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Magazin Mitbestimmung

: Das große Schweigen

Ausgabe 01+02/2009

BANKEN Als Vertreterin der Arbeitnehmer sitzt Alexandra Krieger seit 2008 im Aufsichtsrat der Commerzbank. Warum, fragt sie sich, ist über viele wichtige Fragen nie gesprochen worden?

Irgendwann müsste mal jemand diese Frage stellen. "Was würde eigentlich mit den Banken passieren, wenn überall das Worst-Case-Szenario einträte?" Alexandra Krieger benötigt keinen Einblick in die geheimen Zahlenspiele der Vorstände - sie kennt die Antwort auch so. "Dann bricht bei fast allen Banken das Geschäftsmodell zusammen", urteilt sie ohne zu zögern. "Wenn flächendeckend der Katastrophenfall einträte, müsste das Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht solchen Banken die Lizenz entziehen."

Alexandra Krieger ist Arbeitnehmervertreterin im Aufsichtsrat der Commerzbank, als Referatsleiterin in der Hans-Böckler-Stiftung analysiert die gelernte Bankkauffrau und Betriebswirtin den Finanzsektor. Dem Commerzbank-Aufsichtsrat gehört sie seit April 2008 an. Hinter ihr liegen spannende, aufwühlende, schlimme Monate. Erst die Fusion der Commerzbank mit der Dresdner Bank zum zweitgrößten Kreditinstitut Deutschlands. Und dann die Finanzkrise.

Nach der Lehman-Brothers-Pleite, dem Desaster um die Hypo Real Estate und Islands Beinahe-Staatsbankrott jagten sich kurzfristig anberaumte Aufsichtsrats-Telefonkonferenzen in immer schnellerer Folge. "Da wurden Entwicklungen besprochen, die in ihren Dimensionen noch gar nicht fassbar waren", erinnert sie sich. Es war vor allem die eine Frage, die wohl allen auf der Zunge brannte: Geht es hier jetzt eigentlich ums Überleben? In der Teilverstaatlichung der Commerzbank mag man durchaus eine Antwort auf diese Frage sehen. Und zwar nicht die schlechteste, findet Alexandra Krieger: "Durch seine Sperrminorität von 25,1 Prozent kann der Bund als Großaktionär praktisch ausschließen, dass ein Investor die Bank inklusive 18,2 Milliarden staatliche Kapitalhilfe zum Schleuderpreis von vier Milliarden Euro übernimmt und anschließend filetiert."

Sind die Banken-Kontrolleure für eine Krise solchen Ausmaßes überhaupt gerüstet? Stellen sie die richtigen Fragen? Alexandra Krieger überlegt kurz, schüttelt den Kopf. "Die Aufsichtsräte setzen sich allzu oft hin und warten ab, was der Vorstand ihnen erzählt", sagt sie. "Stattdessen müssten sie fragen: Wie viel Risikopuffer haben wir? Welcher Schaden darf eintreten? Erst dann weiß man, wie dicht man am Abgrund steht."

Alexandra Krieger ist immer wieder erstaunt, "wie zufällig Aufsichtsratsarbeit mitunter stattfindet und wie personenabhängig die Professionalität ist". Eine freundliche Umschreibung dafür, dass der eine oder andere Vorstandskontrolleur - sowohl von der Arbeitnehmer- als auch von der Anteilseignerseite - im operativen Geschäft einer Großbank nicht wirklich zu Hause ist. Wenn der Aufsichtsrat dann über das Investmentbanking diskutiert, über Risikomanagement oder die Auswirkungen von Wechselkursschwankungen auf die Eigenkapitalbasis, sitzen etliche da und schweigen.

Über wichtige Themen, etwa die in jüngster Zeit umstrittenen Bonuszahlungen für Manager, wurde bisher nur in Ausschüssen von Aufsichtsräten gesprochen, oft ohne Arbeitnehmerbeteiligung, bemängelt Krieger. Das will der Gesetzgeber künftig ändern. Außerdem verlangt die Bundesregierung von jenen Banken, die - wie die Commerzbank - jetzt staatliche Kapitalhilfen in Anspruch nehmen, ausdrücklich ein "nachhaltiges Vergütungssystem". An Diskussionsstoff besteht kein Mangel. Sollten junge Investmentbanker mehr verdienen als Vorstände? Sind zwei Millionen Euro Jahressalär nicht wirklich genug? Und was ist von jemand zu halten, der sich nur anstrengt, wenn er am Ende des Jahres noch ein paar Millionen obendrauf bekommt? Sollte die Commerzbank solche Mitarbeiter in ihren Reihen haben?

Viele Banken haben die Lehren aus der Finanzkrise noch nicht gezogen, ist die Kapitalmarkt-Expertin überzeugt. Die gesamte Branche - mit Ausnahme der Sparkassen und der Volks- und Raiffeisenbanken - hat massiv an Ansehen und Sympathie verloren. "Wir haben es hier nicht mit einem Betriebsunfall zu tun, sondern mit einer schweren Vertrauenskrise", sagt Alexandra Krieger, "das müssten jetzt auch die Verantwortlichen langsam mal begreifen."


COMMERZBANK AG
"Die neue Bundesbank" titelte der SPIEGEL, als im Januar bekannt wurde, dass die Bundesregierung einen Anteil von 25 Prozent plus einer Aktie an der Commerzbank übernimmt. 18,2 Milliarden Euro und damit ein Mehrfaches des Börsenwertes hat der Staat in die Bank gesteckt, um die Kreditversorgung sicherzustellen, aber auch, um die Fusion mit der Dresdner Bank nicht scheitern zu lassen. Der größte Teil der Staatsmittel floss in Form stiller Einlagen. Die Commerzbank ist das zweitgrößte private Kreditinstitut in Deutschland. Sie beschäftigte zuletzt (ohne die Dresdner Bank) rund 42 000 Mitarbeiter, davon 14 000 im Ausland, und hatte rund 8,5 Millionen Privat- und Geschäftskunden sowie 535 000 Firmenkunden. Die Konzern-Bilanzsumme erreichte 615,2 Milliarden Euro.

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