Quelle: Wolfram Scheible
Magazin MitbestimmungHome Office: Das gesunde Maß finden
Krisen haben wenig positive Seiten. Eine davon ist die Möglichkeit, bislang unumstößliche Wahrheiten infrage zu stellen. Von Dorothea Voss, Leiterin Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung
Noch vor wenigen Monaten war Arbeiten von zu Hause ein Privileg, das meist Hochqualifizierten vorbehalten blieb. Nicht die technischen Voraussetzungen limitierten den Zugang, sondern häufig die Unternehmenskultur, die in vielen Fällen eine Misstrauenskultur war. Unter Pandemiebedingungen wurde Misstrauen zu einem Luxus, den sich Unternehmen kaum noch leisten konnten. So wurde möglich, was keine 24 Stunden zuvor noch als unmöglich galt: Unternehmen schickten alle Beschäftigten ins Homeoffice, die über die technischen Voraussetzungen verfügten, oder statteten sie umgehend damit aus. So schnellte der Anteil der Menschen, die zu Hause arbeiteten, laut Erwerbstätigenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung im April auf etwas mehr als ein Viertel nach oben. Mitte Juni ging er zwar auf 16 Prozent zurück, vor der Krise lag er aber gerade einmal bei vier Prozent.
Es gibt gute Gründe, auch nach der Krise allen Beschäftigten mehr Homeoffice zu ermöglichen: Lange Pendelzeiten entfallen, und individuelle Zeitbedürfnisse können besser erfüllt werden. Viele können zu Hause effektiver und konzentrierter arbeiten. Die Erfahrung zeigt, dass virtuelle Besprechungen kürzer und effektiver sind. Das Vertrauen zwischen Beschäftigten und Vorgesetzten, aber auch untereinander ist gewachsen, dass Sachen auch im Homeoffice erledigt werden. Die bekannte Forderung, „Arbeitszeiten, die zum Leben passen“, kann ergänzt werden um: „Arbeitsorte, die zum Leben passen“.
Aber auch die Schattenseiten des Homeoffice zeigten sich: Drei Viertel der Befragten sagen, dass E-Mail, Telefon- oder Videokonferenzen den direkten Kontakt nicht ersetzen. Es fehlt der persönliche Austausch, die Gestik, Mimik, Spontaneität – eben das, was den Betrieb zum sozialen Ort macht. Auch die Trennung von Arbeit und Freizeit fällt leichter, wenn die beiden Sphären räumlich getrennt sind.
Das Ziel ist daher: das Beste aus beiden Welten in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen. Damit das gelingt, müssen Rahmenbedingungen ausgehandelt und klar sein. Insofern ist es nicht nur ein Thema für Beschäftigte und Teams, sondern auch für die Mitbestimmung. Denn auch das zeigt die Erwerbstätigenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung: Wo Homeoffice geregelt ist, empfinden es Beschäftigte weniger belastend.
Schwierige Zeit für Familien
"Eigentlich hatte ich endlich Zeit für meine Forschung, aber dann ging der Lockdown los. Die Kita war dicht, und meine dreijährige Tochter hat überhaupt nicht akzeptiert, dass sie nicht ins Arbeitszimmer gehen sollte. Wenn ich eine Onlinebesprechung hatte, kam sie rein, heulte und schrie. Mein Mann arbeitet auch an der Uni. Wir haben dann abwechselnd gearbeitet, ich vormittags und er nachmittags. Die Universität war als Arbeitgeber sehr kulant und mein Mann sehr unterstützend. Aber es war trotzdem anstrengend und die Situation für Familien schwierig.
Ich hatte einen Dienst-Laptop, Bücher und zwei Bildschirme zu Hause – aber sonst nichts für Onlinelehre. Meine Kollegen und ich haben dann überteuerte Headsets und anderes Equipment gekauft. Das E-Teaching-Servicecenter der Uni hat schnell reagiert und eine Webseite erstellt. Mit konkreten Fragen war ich aber alleine.
Für uns als Personalrat war und ist die Situation schwierig, die ganze Mitbestimmung droht den Bach runterzugehen. Normalerweise treffen wir uns einmal wöchentlich, jetzt hat es lange gedauert, bis wir endlich die erste Telefonkonferenz hatten. Da sind ja auch Kollegen aus der Werkstatt dabei, die gar nicht die Infrastruktur haben.“
Tanja Dannwolf forscht und lehrt im Bereich empirische Sozialforschung an der TU Kaiserslautern und ist Mitglied im örtlichen Personalrat und Hauptpersonalrat.
Das Beste ist eine Kombination aus beidem
"Wider Erwarten geht das Homeoffice sehr gut, vor allem jetzt, wo ich mal am Wohnzimmertisch und mal im Büro arbeite. Unsere IT-Abteilung hat sofort den Zugang ins Intranet für alle Notebooks eingerichtet, und ein paar Tage später funktionierten auch Videokonferenzen. Das ist okay, wenn wir uns gegenseitig auf Stand bringen. Aber bei schwierigen Themen funktioniert das nicht. Man kann sich ja nicht in die Augen sehen und spürt nicht, ob jemandem etwas auf den Nägeln brennt. Und online jemanden trösten – wie soll das gehen?
Unsere Läden waren sieben Wochen lang geschlossen. Erst war total wenig zu tun, vor dem Wiederhochfahren sehr viel, da waren wir häufiger in den Shops als sonst. Für die Zukunft finde ich eine Kombination am besten. Zu Hause kann ich konzentriert an etwas arbeiten, finde aber auch die Abgrenzung zum Feierabend schwierig. Im Büro sollte alles stattfinden, wofür es intensive Kommunikation braucht. Bisher ist aber nichts offiziell geregelt.“
Uli Anders gehört zu dem Team, das die Oxfam-Shops organisiert, in denen Ehrenamtliche gespendete Waren verkaufen.
"Unsere Aufgabe ist es, Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung zu schützen. Nach einer Polizeimeldung gehen wir vor Ort, bieten Kindern und Eltern Hilfen und Beratung an, haben Kontakt mit Schulen und Kitas, müssen bei Sorgerechtsverfahren unsere Fachmeinung abgeben und vieles mehr. Durch Corona ist vieles erst einmal in eine Art Dornröschenschlaf gefallen. Auch wir sind abwechselnd immer zwei Wochen lang im Homeoffice und im Büro. In Notfällen gehen wir mit Masken und Handschuhen in die Wohnungen.
Ich habe mein Homeoffice in einem Sechs-Quadratmeter-Zimmer eingerichtet. Alles ist mühsam. Bei meiner Arbeit ist der Austausch über schwierige Fälle extrem wichtig. Das geht auch telefonisch, aber sonst passiert das oft spontan mit zwei oder drei Leuten, die gerade in der Nähe sind. Wir haben viel mit heftigen Sachen zu tun. Für die Psychohygiene ist es nicht gut, wenn man das alles in den privaten Räumen hat.
Unsere Ausstattung mit Laptops ist sehr gut. In den letzten drei Jahre hieß es immer, es sei technisch nicht möglich, dass wir von außen auf unsere Software zugreifen. Und jetzt – klick – ging das plötzlich in zwei Tagen. Zum Telefonieren müssen wir unsere privaten Handys nutzen, die wir auf anonym gestellt haben. Das finde ich nicht korrekt.“
Verena de Wyl arbeitet im Jugendamt Hamburg-Mitte und ist stellvertretende Leiterin einer Abteilung des Allgemeinen Sozialen Dienstes.
Mit vielen heftigen Sachen allein zu Hause
Mobilarbeit schon vor dem Lockdown eingependelt
"Wir haben Mobilarbeit 2013 geregelt: Jede Tätigkeit für BMW, egal ob online oder offline, mit dem Stift, Laptop oder Telefon, muss als Arbeitszeit erfasst werden. Außerdem legt jedes Team gemeinsame Arbeitszeiten fest – und jenseits davon hat jeder das Recht, abzuschalten. Das war schon ganz gut eingependelt, als der Corona-Lockdown kam. Die Mitarbeiter waren mit Geräten ausgestattet, es gab Server, Zugänge und Sicherheitsschranken. In den ersten Tagen waren die technischen Systeme zwar noch nicht dafür ausgelegt, dass so viele gleichzeitig von außen in das BMW-Netz reinwollten. Aber nach kurzer Zeit gab es kaum noch Einschränkungen.
Der Kulturwandel hat sich durch Corona beschleunigt. Vorher gab es Führungskräfte, die wollten, dass die Mitarbeiter immer präsent waren. Die haben jetzt gesehen, dass die Leute zu Hause nicht nur Blumen gießen. Wir wünschen uns als Regel zwei Tage Mobilarbeit, drei Tage im Büro. Der Wert der Anwesenheit im Büro liegt im Austausch, soziale Kontakte, Inspiration und das Feedback von Kollegen. Im Homeoffice kann konzentriertes Arbeiten ohne Unterbrechung stattfinden.
Videokonferenzen sind effizient für Informationsaustausch. Das wird auch viele Reisen überflüssig machen. Wo intensive Diskussionen notwendig sind oder Emotionen vermittelt werden sollen, eignen sich Videoformate dagegen nicht.“
Alexander Farrenkopf, BMW-Betriebsrat und Leiter vom Vertrauensleute-Team der IG Metall am Standort München
Alle Statements aufgezeichnet von Annette Jensen