Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Das böse Kapital
UNIVERSITÄTEN In St. Gallen, mitten in der Schweiz, die als Anlegerparadies gilt, residiert der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann und freut sich, dass Geld vernichtet wird.
Auf die Frage nach den Lehren aus der Finanzkrise wartet Ulrich Thielemann mit einer brachialen, geradezu ketzerischen Forderung auf: "Es kommt darauf an, Kapital zu vernichten", sagt der Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen. Natürlich nicht, indem man Fabriken vernichtet oder Vermögen enteignet. Aber durch Besteuerung beispielsweise, damit das grandios angewachsene Kapital der hemmungslosen Spekulation entzogen und dem Konsum zugeführt werden kann.
Ein neuer, unverzerrter Blick auf die Rolle des Kapitals in Wirtschaft und Gesellschaft - das ist das Credo und auch die Hoffnung des Wirtschaftsethikers, dessen Ansichten derzeit gefragt sind wie nie. "Die Zeiten der Vergötzung des Kapitals sind definitiv vorbei", befindet er. Bis dato haftete dem Kapital das Mantra des allein Seligmachenden an: Kapital schafft Arbeit. Je mehr Kapital, desto besser. Jede Volkswirtschaft muss dafür sorgen, dass so viel Kapital wie möglich ins Land kommt.
"Das Kapital schafft aber keine Arbeitsplätze", entgegnet Thielemann, "sobald es zusätzliche Einkommensmöglichkeiten erschließt, bedeutet das automatisch Druck auf andere. Der zusätzliche Einkommensstrom muss von woanders abgezogen werden. Das Kapital verschärft den Wettbewerb - zwischen Arbeitnehmern, Unternehmensstandorten, Regionen." Die unter Druck Geratenen, argumentiert Thielemann, müssten sich dann neue Einkommensquellen erschließen. Erst dann entstehe Wachstum. All dies sei "weder generell gut noch schlecht, aber eben auch nicht unproblematisch. Schöpferische Zerstörung und zerstörerische Schöpfung, das sind zwei Seiten einer Medaille."
Die Finanzkrise, so Thielemann, habe diese Ambivalenz des Kapitals ins Bewusstsein gerückt - und Paradigmen ins Wanken gebracht, die lange Zeit unwidersprochen geblieben waren. Etwa den Glaubenssatz, dass allein das Kapital im Unternehmen legitime Ansprüche reklamieren kann. Dadurch seien die Unternehmen zu reinen Instrumenten der Kapitalverwertung geworden, alles andere habe sich unterzuordnen. "Das Kapital hat die Unternehmen gekapert", formuliert Thielemann. Kein Wunder, dass man den Managern Millionen hinterherwerfe - müssen sie doch alles tun, um den Profit des Kapitals zu mehren. Und ihr eigenes Salär natürlich auch.
Jetzt, sagt er, erkenne man, wie verhängnisvoll es war, "Systeme der Gier", wie etwa die millionenschweren Bonuszahlungen, zu installieren. "Die Manager haben sich völlig opportunistisch verhalten und nur getan, was ihren Bonus steigert." So verkauften die Banken sich gegenseitig "finanziellen Giftmüll" - und die Manager beider Seiten strichen dafür auch noch Millionen ein. "Indem sie nur noch durch immer größere finanzielle Anreize zu motivieren waren, haben sie sich zu Pawlowschen Hunden degradiert", sagt Thielemann, "und sich damit selbst desavouiert." Schließlich seien sie nicht Opfer des Systems, sondern hätten es selbst zu ihrem Vorteil in die Welt gesetzt. "Es geht um diese Logik, um dieses ganze System der Verantwortungslosigkeit", urteilt Thielemann, "nicht nur um die Verfehlungen Einzelner. Das darf nicht vergessen werden."
Damit Auswüchse wie diese der Vergangenheit angehören, sei eine tiefgreifende Reform der Ausbildung der Wirtschaftselite und der Spin Doctors aus der Politikberatung unverzichtbar. "Die Wirtschaftswissenschaft an den Universitäten und Business Schools hat die herrschenden Verhältnisse kritiklos befürwortet. Wer die Marktgläubigkeit infrage stellte, konnte doch kaum Karriere machen."
"Marktgläubigkeit" ist ein zentraler Begriff in Thielemanns Gedankenkonstrukt. Die Finanzkrise, glaubt er, habe das Vertrauen der Bevölkerung in die Selbstheilungskräfte des Marktes, in die Regie der "unsichtbaren Hand" vermutlich dauerhaft erschüttert. "Die Menschen sind fassungslos, welch ungeheuerliche Dinge da passiert sind. Und jetzt nehmen die Akteure des Kapitalmarktes, die das alles eingebrockt haben, uns auch noch in Geiselhaft und rufen nach milliardenschweren Rettungspaketen. Schon wieder kapern sie den Staat für ihre Interessen." Den Bürgern zumindest sei nach alledem zumindest eines klar: "Der Glaube, mehr Markt sei gut für alle, ist gescheitert." Darum komme es darauf an, ihn wieder in die Gesellschaft einzubetten: "Eine solche soziale Marktwirtschaft ist ohne Begrenzung der Macht des Kapitals nicht zu haben."
zur Person
Ulrich Thielemann, 47, arbeitet seit 1989 am Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, wo erst zwei Jahre zuvor der erste Lehrstuhl für Wirtschaftsethik im deutschsprachigen Raum eingerichtet worden war. Seit 2001 ist er dessen Vizedirektor. Vor wenigen Tagen erschien sein jüngstes Buch, das er gemeinsam mit Institutsdirektor Peter Ulrich verfasst hat: Standards guter Unternehmensführung: Zwölf internationale Initiativen und ihr normativer Gehalt. St. Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik, Bd. 43
Weitere Informationen über die Homepage des Instituts:
http://www.iwe.unisg.ch/