Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungGewerkschaften: Das Arbeitsrecht gehört zur Compliance
Gesetzeskonformität muss die Arbeitnehmerrechte beinhalten.Denn Falschberechnung von Urlaubsgeld, Bruch der Tarifverträge und Behinderung von Betriebsratswahlen sind keine Kavaliersdelikte. Von Peter Donath, der die 60-köpfige Abteilung Betriebs- und Branchenpolitik beim IG-Metall-Vorstand leitet.
Bestechung und Korrumpierbarkeit galten lange Zeit allenfalls als Probleme exotischer Länder. Gleichzeitig war bis 1999 in Deutschland Bestechung als „nützliche Aufwendung“ steuerlich absetzbar war, was dazu führte, dass ein deutscher Industriekonzern ein Konto für „Putz- und Schmiermittel“ unterhielt. Dagegen erleben wir heute geradezu einen Compliance-Hype. Über die Verpflichtung, nach Recht und Gesetz zu handeln, hinaus definieren die Unternehmen umfassende Verhaltensmaßregeln bis hin zur Verpflichtung auf eine Geschäftsphilosophie oder auch ethische Handlungsmaßstäbe. Diese Verhaltensregeln – neudeutsch Codes of Conduct – unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrates und gehen über das Weisungsrecht des Arbeitgebers hinaus.
Doch im Namen von Compliance und Codes of Conduct geraten nicht selten Persönlichkeitsrechte und Arbeitnehmerdatenschutz in den Hintergrund. Sogenannte Rasterfahndungen gehen bis in den privaten Bereich der Beschäftigten hinein. Und während Vorstände und Geschäftsleitungen zunehmend über das Ziel hinausschießen, drängen Betriebsräte auf den Abschluss von Betriebsvereinbarungen – wobei sich die Konflikte häufen.
Compliance-Management berührt eine Vielzahl von Mitbestimmungsrechten der Betriebsräte. Das betrifft nicht nur Fragen der Ordnung des Betriebes, sondern auch technische Einrichtungen, Personalfragebögen und die Durchführung von Compliance-Schulungen. Betriebsräte müssen darauf achten, dass Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der Arbeitnehmer/-innen gewahrt werden. Und dass die Regelungen klar sind: Das ist nicht der Fall bei einer Compliance-Bestimmung, die besagt, man dürfe Kunden nur Zuwendungen „in landesüblicher Form und Höhe“ zukommen lassen. Solche vagen Vorgaben wälzen die Verantwortung letztendlich auf Beschäftigte ab.
Ein weiteres Feld von Unsicherheit und Zwiespältigkeiten ist das Whistleblowing. Hier muss eine Betriebsvereinbarung eindeutig regeln, wer was in welchem Fall melden muss, ob das anonym geschehen kann und wie in diesen Fällen die Vertraulichkeit sichergestellt wird. Da all diese Verhaltensregeln auch schon mal mehrere Dutzend Seiten umfassen, reicht es nicht, sie im Firmen-Intranet zu vergraben. Es ist unerlässlich, dass alle Beschäftigten gründlich informiert und geschult werden.
ALLTÄGLICHE RECHTSVERSTÖSSE
Vor allem aber muss ein Code of Conduct auch gelebt werden. Das fängt mit einem vollständig regelkonformen Verhalten von Geschäftsführungen an, das dann aber nicht nur im Verhältnis zu Kunden, Lieferanten, Finanzämtern gelten muss, sondern selbstverständlich auch gegenüber den Beschäftigten. Diese arbeitsrechtliche Compliance ist in der Praxis vielfach unterbelichtet. Wenn Telefongespräche von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat abgehört, wenn Betriebsratssitzungen heimlich gefilmt, wenn E-Mails von Betriebsräten gescannt werden, ist das vorsätzlich rechtswidrig.
Auch wenn ein Konzern anstehende Betriebsrentenanpassungen nicht vornimmt in der Annahme, es werden wohl nicht alle Betroffenen klagen, widerspricht das gelebter Compliance. Gesetzeskonformität muss Arbeitnehmerschutzrechte beinhalten und die Mitbestimmungsrechte respektieren. Das fängt damit an, dass bei der Arbeitsvertragsgestaltung Gesetze und Tarifverträge berücksichtigt, dass Höchstarbeitszeiten nicht überschritten werden. Und dass bei der Anwendung von Tarifverträgen nicht getrickst wird, wie es zuletzt bei den Branchenzuschlägen für Leiharbeitnehmer zu beobachten war oder jetzt bei der Berechnung des Urlaubsgeldes für die Beschäftigten der Leiharbeitsfirma Randstad (siehe Seite 8).
Die Behinderung von Betriebsratsarbeit, Maßnahmen gegen unliebsame Betriebsratsmitglieder oder gar Unternehmensaktivitäten gegen die Gründung von Betriebsräten sind alltägliche Rechtsverstöße, die sich nicht mit einer versprochenen Rechtstreue vertragen. Und wer sein Führungspersonal auf Seminare unter dem Titel „Wie kündige ich Unkündbare“ schickt, dürfte der arbeitsrechtlichen Compliance keinen hohen Stellenwert zugestehen. Während die Strafverfolgungsbehörden in anderen Compliance-Fragen mittlerweile hochsensibel sind, versanden Strafanträge aufgrund von Behinderungen der Betriebsratsarbeit regelmäßig bei den Staatsanwaltschaften.
Wenn man von Beschäftigten erwartet, dass sie Unternehmensrichtlinien und gesetzliche Vorschriften unter allen Umständen beachten, dürften auch diese Vorkommnisse nicht passieren. Eine Compliance kann nur als gelebt betrachtet werden, wenn sie in der Praxis in der Außen- und Innenwirkung des Unternehmens, das heißt auch und gerade gegenüber den Beschäftigten und ihren Mitbestimmungs-Vertretungen praktiziert wird. Zum Punkt „gelebte Compliance“ gehört auch, dass sie nicht nur der Entlastung der Führungsebenen dienen darf. Hohe Umsatzvorgaben, starker Druck auf Ergebnisse, Hinweise auf erfolgreichere Wettbewerber haben in der Vergangenheit illegale Verkaufsförderung begünstigt, wenn nicht sogar verursacht. Oft genug liefen solche Praktiken unter der Geschäftsführungs-Maxime „Don’t ask, don’t tell“. Wer rechtmäßiges oder sogar gutes Verhalten seiner Vertriebsbeschäftigten erwartet, muss das mit den Arbeitsvorgaben in Einklang bringen. Ansonsten werden die Kleinen gehängt, während die Großen ihre Hände in Unschuld waschen.
Zunehmende Konflikte gibt es auch im Verhältnis der Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes und der Rechte von Betriebs- und Aufsichtsräten. Das Compliance-Management unterstellt gerne, die Mitbestimmung würde in der Rechtshierarchie hinter den Börsenvorschriften stehen. Unter diesem Vorwand werden Aufsichtsräte, Wirtschaftsausschüsse und Betriebsräte dann nicht im Stadium der Planung von Maßnahmen unterrichtet, um Ad-hoc-Mitteilungen zu vermeiden. Leider geht die europäische Rechtsprechung hier auf die Besonderheiten unseres dualistischen Systems der Unternehmensführung wenig ein (siehe hierzu auch Roland Köstler zum EuGH-Urteil: www.boeckler.de/40891_40900.htm).
Immer wieder kommt es zu Problemen, wenn unter der Überschrift Compliance die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder betont wird. Aufsichtsräte, von den Arbeitnehmern gewählt und somit nach demokratischen Gepflogenheiten ihnen Rechenschaft schuldig, sind in ihrer Kommunikation selbst gegenüber Betriebsräten, die ihrerseits auch einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen, sehr eingeschränkt und können so in erhebliche Konflikte geraten.
Die IG Metall erwartet eine rechtmäßige und verantwortliche Geschäftsführung gegenüber allen: den Beschäftigten, ihren Betriebsräten, den Aufsichtsräten, aber auch gegenüber Kunden, Lieferanten, Behörden und dem Gemeinwesen. Selbstverständlich müssen sich auch die Beschäftigten regelkonform verhalten. Abgesehen von der rechtlichen Verpflichtung tun Unternehmen gut daran, Betriebsräte bei der Schaffung von Compliance-Regelungen früh zu beteiligen, um Verständnis und Akzeptanz zu erhöhen.
Betriebsräte und Arbeitnehmer in Aufsichtsräten sind gleichzeitig Angesprochene. Mit ihren „Leitlinien für gute Betriebsratsarbeit“, die der IG Metall Vorstand im Vorfeld der Betriebsratswahlen 2010 beschlossen hat, verpflichtet die IG Metall ihre Mitglieder in den Mitbestimmungsgremien, auf jede Form von Sonderrechten und Sonderzuwendungen zu verzichten. Dazu gehört zum Beispiel, „dass betriebliche Vergütungsrichtlinien für freigestellte Betriebsräte den Beschäftigten bekannt gegeben werden und für sie nachvollziehbar sein sollten“. Ebenso sind unsere rund 1500 Aufsichtsratsmitglieder angehalten, ihre Tantiemen gemäß den DGB-Beschlüssen an die Hans-Böckler-Stiftung abzuführen – und die Abführung wird kontrolliert.
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Leitlinien für gute Betriebsratsarbeit der IG Metall
Zur Abführung der Aufsichtsratstantiemen an die Hans-Böckler-Stiftung