Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungVon JOACHIM F. TORNAU: Das Arbeitsrecht braucht ein Update
Thema Beim 11. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht in Berlin diskutierten 650 Teilnehmer über aktuelle juristische Herausforderungen für die Gewerkschaften. Im Mittelpunkt standen die Auswirkungen von Digitalisierung und Internationalisierung.
Von JOACHIM F. TORNAU
Schon das Programm des 11. Hans-Böckler-Forums zum Arbeits- und Sozialrecht machte deutlich, dass an offenen Baustellen in der Welt der Arbeit derzeit kein Mangel herrscht. Themen waren Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung. Arbeitszeitschutz und Tarifrecht. Pflegerecht und berufliche Teilhabe. Beschäftigtendatenschutz und Arbeiten 4.0.
Rund 650 Fachleute aus Justiz, Gewerkschaften und Betrieben waren am 2. und 3. März 2017 der Einladung von Hans-Böckler-Stiftung und Hugo-Sinzheimer-Institut nach Berlin gefolgt, um über aktuelle arbeits- und sozialrechtliche Herausforderungen zu diskutieren.
Doch so vielfältig und verschieden die Themen im Einzelnen auch waren, kehrten die Debatten doch immer wieder zu zwei sogenannten Megatrends zurück: Digitalisierung und Internationalisierung. Ein doppelter roter Faden sozusagen. „Wir sind nicht am Ende der Überlegungen, sondern stehen am Beginn“, erklärte Anette Kramme, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium, die als Vertreterin ihrer verhinderten Ressortchefin Andrea Nahles (SPD) eine kurze Zusammenfassung des im Herbst vorgestellten Weißbuchs „Arbeiten 4.0“ präsentierte.
Zu den konkreten Vorschlägen, die das Ministerium darin macht, gehört neben einem „Recht auf Weiterbildung“ insbesondere die Aufnahme von Selbstständigen in die Rentenversicherung – eine Idee, die auf der Tagung Beifall von den unterschiedlichsten Seiten bekam.
Zukunftsfähiges Arbeitsrecht
Die wachsende Zahl vor allem Solo-Selbstständiger ohne jede Altersvorsorge erfordere ein Eingreifen der Politik: Darüber waren sich, wiewohl ansonsten keineswegs immer einer Meinung, DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann und der Geschäftsführer des Zentralverbands des deutschen Handwerks (ZDH), Karl-Sebastian Schulte, einig. Und auch der Präsident des Bundessozialgerichts, Prof. Rainer Schlegel, sah gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Schlegel plädierte in seinem Grußwort für ein „Sozialrecht 4.0“, das nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen einer veränderten Arbeitswelt finden müsse. An der Zukunftsfähigkeit des Arbeitsrechts hatte seine Kollegin Ingrid Schmidt, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, dagegen keine Zweifel. Auch wenn sich im Zuge der Digitalisierung Konflikte um Datenschutz, um Arbeitszeiten oder um die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit verschärfen könnten: „Das Arbeitsrecht steht diesen Konflikten nicht hilflos gegenüber“, betonte Schmidt. „Wer glaubt, das Recht und die Justiz verstünden das Internet nicht, der täuscht sich.“
Nicht die Abschaffung des Arbeitsrechts drohe, doch es brauche ein „Update“, befand Prof. Ulrich Preis, Arbeitsrechtler an der Universität Köln. Denn starre Abgrenzungen, was ein Arbeitnehmer oder was ein Betrieb sei, würden in der digitalen Arbeitswelt nicht mehr funktionieren. Dennoch sah auch er keinen Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten: „Die digitale Arbeitswelt unterscheidet sich in ihren wesentlichen Streitpunkten nicht von der analogen.“ Schließlich bestehe der Gegensatz von Kapital und Arbeit unverändert fort.
Zeit reif für ein Datenschutzgesetz für Beschäftigte
Wie sich die Megatrends der Digitalisierung und der Internationalisierung überlagern, zeigte der Konstanzer Arbeitsrechtler Prof. Franz Josef Düwell am Beschäftigtendatenschutz. Die europäische Datenschutzgrundverordnung, die am 25. Mai 2018 in Kraft tritt, hebele nationale Vorschriften aus. Um die Rechte der Arbeitnehmer in diesem Bereich zu schützen, sollten, anders als von der Bundesregierung geplant, nun jedoch nicht nur schnell einige ergänzende Regelungen verabschiedet werden, sagte Düwell: „Die Zeit ist reif für ein Beschäftigtendatenschutzgesetz.“
Internationalisierung und Europäisierung machen das Recht nicht übersichtlicher. Die Rolle, die völkerrechtliche Übereinkommen wie die Europäische Menschenrechtskonvention oder Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) dabei spielen, erläuterte Prof. Monika Schlachter, Arbeitsrechtlerin an der Universität Trier. Es sei leider nur eine untergeordnete: „Das Arbeitsvölkerrecht kann Ihnen nicht sagen, welche unzweifelhaften Rechte Ihr Mandant hat“, sagte die Expertin. „Aber es kann zusätzliche Argumente liefern.“
Anders sieht es mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg aus, die von EuGH-Richter Francois Biltgen anhand einiger jüngerer arbeits- und sozialrechtlicher Entscheidungen vorgestellt wurde – etwa zum Arbeitnehmerbegriff, der im Europarecht weiter gefasst sei als im deutschen Kündigungsschutz.
In diesem Jahr wird der EuGH sein Urteil zur deutschen Unternehmensmitbestimmung verkünden. Entschieden werden muss, ob es gegen Europarecht verstößt, dass die Beschäftigten ausländischer Tochterfirmen deutscher Konzerne kein Wahlrecht für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben. Beim Hans-Böckler-Forum wurde diese Frage nicht nur durch die deutsche Brille betrachtet.
Mitbestimmung nicht europarechtswidrig
Auch Bernard Johann Mulder, aus Schweden stammend und an der Universität Oslo in Norwegen lehrend – beides Länder, deren Systeme der Arbeitnehmerbeteiligung deutlich anders organisiert sind als in Deutschland –, konnte keinerlei Europarechtswidrigkeit erkennen: „Wenn das Gesetz eines Mitgliedsstaats in einem anderen Mitgliedsstaat gelten soll, würde das die Souveränität dieses Staates verletzen“, erklärte der Jurist. „Kündigungsschutz oder Streikrecht gilt ebenfalls nur national.“
Robert van het Kaar von der Universität Amsterdam sagte, man solle für die Zukunft nicht auf eine Richtlinie der EU zu Minimalstandards der Mitbestimmung hoffen. „Das wird nicht passieren.“ Die deutschen Gewerkschaften sollten sich vielmehr darauf konzentrieren, ihr System zu verteidigen und rechtliche Schlupflöcher zu stopfen. „Fortwährend Reparaturarbeiten zu leisten ist nicht der attraktivste Job“, sagte van het Kaar. „Aber zumindest werden die Dinge dadurch besser.“
Fotos: Stephan Pramme
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