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EVG-Vorsitzender Martin Burkert (links) und Gesamtbertriebsratvorsitzender von DB InfraGO Thomas Brandt beim Interview in Fulda Magazin Mitbestimmung

Bahn: „Da gibt es nichts zu feiern, das ist Tagesgeschäft“

Ausgabe 04/2024

EVG-Vorsitzender Martin Burkert und Thomas Brandt, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von DB InfraGO, über das Denken in Wahlperioden, unglückliche Umstände und liegen gebliebene Fans. Das Gespräch führte Fabienne Melzer

Dank Heim-EM kennt auch das Ausland die Verspätungen der Deutschen Bahn. Ist das peinlich?

MARTIN BURKERT: Natürlich wurde in diesen vier EM-Wochen viel mehr auf die Bahn geschaut. Da wird die Geschichte eines Vaters, der mit seinem Sohn zum ersten Mal zu einem Länderspiel fährt und in Passau liegen bleibt, natürlich von den Medien aufgegriffen. Wir haben dann auch im Aufsichtsrat gefragt, was da passiert ist. Ein Gleisstopfzug, der auf der Strecke an den Hochwasserschäden arbeitete, war liegen geblieben und verhinderte, dass die österreichischen Fans pünktlich zum Spiel kamen. So etwas passiert alle 50 Jahre einmal – und jetzt ausgerechnet an diesem Tag. In diesem Fall waren es unglückliche Umstände, aber vieles ist natürlich hausgemacht.

THOMAS BRANDT: Meine Hoffnung ist, dass durch die Außenwirkung während der EM jetzt mehr Menschen bewusst wird, wie dringend wir den jahrzehntelangen Investitionstau bei der Schiene aufholen müssen. In diesem Fall ist es wirklich blöd gelaufen, aber grundsätzlich müssen wir darüber reden, wo die Probleme liegen.

Herr Brandt, Sie sind Gesamtbetriebsratsvorsitzender von DB InfraGO, der Zusammenlegung von DB Netz sowie Station & Service. Die Betriebsräte hatten sich dagegen ausgesprochen. Warum?

BRANDT: Wer glaubt, Eisenbahn funktioniert, wenn man das Unternehmen auseinanderrupft, hat Eisenbahn nicht verstanden. Für uns ist klar: Wir brauchen den Konzern als Ganzes. Natürlich können wir schauen, wo es Synergien gibt. Aber wir werden dieses Unternehmen nicht durch Umstrukturierung besser machen. So etwas lähmt eher, weil man dann mit sich selbst beschäftigt ist.

Ich vergleiche unsere Situation gerne mit dem Fußball: Wirst du Fußballweltmeister, bist du der Größte, scheidest du in der Vorrunde aus, haben wir 80 Millionen Fußballtrainer. Und so haben wir in der derzeitigen Situation der Bahn 80 Millionen Bahnchefs. Jeder weiß es besser, jeder hat eine Idee. Aber das Kernproblem ist doch, dass wir kein Geld haben und dass wir über Jahrzehnte nicht investiert haben.

Ist der Streit um die Mittel für die Schiene im Bundeshaushalt inzwischen entschieden?

BURKERT: Es geht zurzeit um 15 Milliarden, die bei der Generalsanierung nicht finanziert sind. Ich bin aber noch zuversichtlich, dass wir doch etwas mehr bekommen als zurzeit geplant. Die gesamten 45 Milliarden werden es aber nicht werden. Insgesamt fehlen im Verkehrsbereich 360 Milliarden Euro. Natürlich sind die Autobahnbrücken kaputt, natürlich sind die Schleusen kaputt, natürlich brauchen die Häfen eine Sanierung, aber auch die Schienen und die Eisenbahnbrücken. Und eins steht fest: Es ist im Bahnverkehr längst nicht mehr kaschierbar. Wir haben einen Punkt erreicht, wo der jetzige Verkehrsminister im Scheinwerferlicht steht. Es ist über Jahrzehnte zu wenig passiert, da nehmen wir gar keine der vorangegangenen Regierungen aus.

Wir müssten dahin kommen, dass die Schiene nicht mehr altert, sondern durch Instandhaltung jünger wird.“

MARTIN BURKERT, EVG-Vorsitzender

Was hat erste Priorität?

BURKERT: Wir müssten dahin kommen, dass die Schiene nicht mehr altert, sondern durch Instandhaltung jünger wird. Man hat jahrzehntelang nur gespart, sogar beim Fahrdraht an der Stärke des Kupferdrahtes. Wichtig wäre die Einsicht der Politik, dass wir Infrastruktur nicht im kurzfristigen Wahlperiodendenken finanzieren können. Wir brauchen eine überjährige Planung über Wahlen hinweg, einen Masterplan, auf den sich alle demokratischen Parteien in Deutschland verständigen. Eine Verständigung darauf, dass wir die Verkehrswende wollen.
BRANDT: Planungssicherheit braucht auch die Bauindustrie. Einige Firmen sind ins Ausland gegangen, weil in Deutschland nicht in die Schiene investiert wurde. Es wird immer schwieriger, Arbeitsmittel wie Bauzüge zu kriegen.

Wäre die Lösung ein Fonds, wie ihn die Schweiz hat, der kontinuierlich gefüllt wird?

BURKERT: Ja, so in etwa. In der Schweiz gab es einen Volksentscheid. Da hat die Bevölkerung entschieden, in die Schiene zu investieren.
BRANDT: Wir müssen uns aber auch darüber verständigen, in was wir investieren wollen. Politiker denken in Wahlperioden und möchten in ihrer Wahlperiode etwas verwirklichen, bei dem sie Bändchen schneiden können. Das ist aber nicht immer das, was die Menschen im Land brauchen. Wir haben ein Schienensystem, das überaltert, das zu voll ist. Wir müssen erst mal in den Bestand investieren, da gibt es nichts zu feiern, das ist nicht sexy, das ist Tagesgeschäft. Deshalb müssen wir erstens über mehrere Perioden denken und zweitens festlegen, was wir brauchen. Hübsche Neubauprojekte? Nein, wir müssen erst mal das Haus renovieren.

Hängen die Probleme auch damit zusammen, dass der Schienenverkehr zugenommen hat?

BURKERT: Auch – die Verkehrsleistung hat sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr seit der Jahrtausendwende erheblich zugenommen. Gleichzeitig ist das Schienennetz aber kleiner geworden. Mittlerweile fahren bei uns in Deutschland über 350 Unternehmen. Die Situation ist jetzt so dramatisch durch die Baustellen, die nun einfach notwendig sind, dass Fahrpläne fast nur noch geschätzt werden können. Da zieht jeder Zwischenfall einen Rattenschwanz an weiteren nach sich.

Die Bahn soll ihre Fahrgastzahlen verdoppeln. Muss sich dann nicht auch die Infrastruktur verdoppeln?

BRANDT: Nicht unbedingt. Das ist auch eine Frage der Technik. Auf vergleichsweise jungen Strecken wie Berlin–München, Berlin–Erfurt können wir dank einer modernen Signalausstattung höhere Kapazitäten fahren. In Schleswig-Holstein gibt es dagegen 100 Jahre alte Stellwerke. Damit bekommen wir keine hohe Streckenauslastung hin. Da ist die Fahrt in einem Pendlerzug morgens um halb acht kein Vergnügen.
BURKERT: Wenn wir mehr Strecken digitalisieren, können auch mehr Züge fahren. Aber die Digitalisierung ist das Teuerste. Wenn jetzt weniger Geld vom Bund kommt, fällt als Erstes die Elektrifizierung von Strecken weg, die jetzt noch mit Diesel fahren, und gleich danach die Digitalisierung. Da erwarten wir auch vom Vorstand, dass er klar benennt, welche Projekte gestrichen werden. Den Aufschrei können wir uns schon vorstellen.
BRANDT: Wir brauchen Digitalisierung aber auch, um überhaupt noch Bahn fahren zu können. Alte Stellwerke sind personalintensiv, wir haben aber ein Fachkräfteproblem. Mein Arbeitgeber tut wirklich viel. Aber die Stellwerke aus Kaiserzeiten sind keine attraktiven Arbeitsplätze in der heutigen Zeit.

Haben die Schwierigkeiten auch mit der Lage Deutschlands als Transitland zu tun?

BURKERT: Ja, auch. Beim Schienengüterverkehr ist die Bundesregierung allerdings vom Ziel der Verdoppelung abgekommen. Das ist nicht mehr zu schaffen. Wir sind heute bei 19 Prozent auf der Schiene, eigentlich müssten wir auf 35 Prozent kommen, wenn wir den europäischen Green Deal erreichen wollen.

Güter- und Personenverkehr fahren in Deutschland auf dem gleichen Netz. Ließe sich der Verkehr durch eine Trennung entzerren?

BRANDT: Wir werden in Deutschland nicht getrennte Netze bauen können, weil sich vor Ort immer ein Grund findet, warum es irgendwo nicht geht. Es gibt kein Großprojekt, gegen das keine Bürgerinitiative Sturm läuft. Zum Beispiel bei der Inntaltrasse: Während Italien und Österreich sich schon verständigt haben, protestieren in Deutschland 17 Bürgerinitiativen gegen das Projekt.

Aber könnte ein besseres Netz für den Gütertransport nicht auch Autobahnen entlasten, auf denen sich auf der rechten Spur ein Lkw an den anderen reiht?

BURKERT: Es gibt viele Start-ups, die Container auf die Schiene bringen und wieder schnell auf die Straße umladen. Mit drei Milliarden Euro könnten wir auf Grundstücken, die dem Staat heute schon gehören, neben der Autobahn Schienen
legen und Güterterminals bauen. Dafür braucht es aber den verkehrspolitischen Willen.
BRANDT: Früher hatte fast jedes Unternehmen einen Bahnanschluss. Das ist zu teuer, nicht nur für die Bahn, auch für die Firmen. Das funktioniert nur mit dem Staat. Da müssen wir uns fragen: Wollen wir die Klimaziele erreichen? Was müssen wir dafür tun? Und dann müssen wir auch eine Summe daneben schreiben. Wir können nicht immer nur über Klimaziele reden.

Wann wird das Reisen mit der Bahn wieder besser?

BURKERT: Ich denke, sechs bis sieben Jahre wird es noch dauern.
BRANDT: Ja, wenn es die 45 Milliarden gibt, dauert es noch sechs bis sieben Jahre. Und da reden wir nur über neue Technik und Verjüngung der Schiene.

Und wie sieht es mit einer besseren Anbindung der Fläche aus?

BRANDT: Da müssen wir über intelligente, integrierte Konzepte nachdenken. Wir werden nicht an jede Milchkanne ein Gleis legen können.

Was müsste investiert werden, wenn Geld keine Rolle spielen würde?

BURKERT: Der Bedarf für die Schiene liegt bei 150 Milliarden Euro. Damit wir über die notwendige Instandhaltung hinaus, die etwa 90 Milliarden kostet, auch Aus- und Neubau sowie Elektrifizierung und weitere Digitalisierung für mehr Kapazität schaffen können.

Was müsste die Politik tun, mehr Schulden aufnehmen?

BRANDT: Natürlich kann man sich hinstellen und sagen: Wir wollen den nachfolgenden Generationen keinen Schuldenberg hinterlassen. Aber wollen wir ihnen einen Schrotthaufen hinterlassen?


Hintergrund:

DB InfraGO Anfang des Jahres wurden die beiden Sparten der Deutschen Bahn, die DB Netz und die DB Station & Service, unter dem Namen DB InfraGO zu einer gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte innerhalb des Konzerns zusammengelegt.

Das hatte die Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag festgelegt. Gemeinwohlorientiert bedeutet, dass die Tätigkeit am gesamtgesellschaftlichen Wohl ausgerichtet wird, und ist nicht zu verwechseln mit der steuerlich begünstigten Gemeinnützigkeit. Die neue Sparte führt ihre Gewinne an den Bund und nicht, wie bisher, an die Deutsche Bahn ab.

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