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Magazin Mitbestimmung

: „Da brauchen wir einen langen Atem“

Ausgabe 06/2011

PERSONALPOLITIK Statt früher zu gehen – „gute Arbeit“ bis zur Rente: Das ist ein echter Strategiewechsel im Zeichen des demografischen Wandels. Wie der zu schaffen ist, sagt Arbeitsforscher Hartmut Seifert.

Die Fragen stellte Cornelia Girndt/Foto: Karsten Schöne

Lässt sich der demografische Wandel in den Betrieben voraussehen?
Kaum eine gesellschaftliche Entwicklung lässt sich so treffsicher prognostizieren wie die Demografie. Betriebliche Personalpolitik kann sich darauf einstellen, dass die Bevölkerung im Erwerbsalter bis 2020 leicht und danach kräftig schrumpfen wird. Zugleich verschiebt sich die Altersstruktur: Der Anteil der Arbeitnehmer zwischen 50 und 65 Jahren wird bis 2020 um fünf Prozentpunkte auf 38,5 Prozent steigen, während die jüngeren Altersgruppen entsprechend schrumpfen. Die Alterung der Erwerbsbevölkerung ist bereits in vollem Gange. Diese Veränderungen auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes sind Grund genug, die betriebliche Personalpolitik neu zu justieren.

Warum kommt der personalpolitische Strategiewechsel in vielen Unternehmen trotzdem nur zäh in Gang?
Weil sich der demografische Wandel noch eher unmerklich vollzieht, wird er noch nicht überall als ein akutes Problem empfunden. Wer aber auf Abwarten oder gar eine Strategie des Durchwurstelns setzt, vertut wichtige Anpassungszeit. Denn ein personalpolitischer Strategiewechsel lässt sich nicht abrupt wie ein Schalter umlegen.

Was ist zu tun?
Eine demografieorientierte Personalpolitik erfordert ein Gesamtkonzept. Mit nur punktuellen Aktivitäten ist es nicht getan. Wollen Unternehmen ihre Marktposition halten oder sogar verbessern, dann müssen sie nicht nur im schärfer werdenden Wettbewerb um Talente punkten, sondern auch mit alternden Belegschaften ihre Innovationsfähigkeit und Produktivität sichern und möglichst sogar steigern. Wesentlich ist daher eine vorausschauende und nachhaltige Personalpolitik. Die wiederum kann nur gelingen, wenn das Management die kooperative Unterstützung der betrieblichen Interessenvertretungen gewinnt. Und wenn die Personalpolitik die Beschäftigten als aktive Partner in Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse einbezieht.

Wie sollen die Beschäftigten den Schalter umlegen, nachdem sie jahrelang auf einen möglichst frühen Ausstieg gepolt worden sind?
Bei den Beschäftigten dürfte angesichts der rentenpolitischen Rahmenbedingungen – die Rente mit 67 – die Bereitschaft zu aktiver Mitwirkung wachsen. In den nächsten Jahren wird das Rentenniveau schrittweise sinken, während das Renteneintrittsalter steigt. Der Erhalt der Arbeitsfähigkeit ist für viele Beschäftigte zu einer existenziellen Frage geworden, ansonsten droht zunehmend Armut im Alter.

Wie sollte eine nachhaltige Personalpolitik strategisch ausgerichtet sein?
Unternehmensintern geht es darum, die vorhandenen Arbeitskräfte auf einen längeren Verbleib im Erwerbsleben vorzubereiten, hierfür Bedingungen zu schaffen und bislang nicht ausgeschöpfte Beschäftigungspotenziale zu erschließen. Auf dem externen Arbeitsmarkt geht es darum, gut qualifizierten Nachwuchs zu rekrutieren sowie sich generell als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren – auch für Bewerber aus dem Ausland.

Ist das ein Strategiewechsel um 180 Grad?
Konzeptionell sind die Weichen von der altersgerechten zur alternsgerechten Politik zu stellen. Nicht der vorzeitige Ausstieg, sondern der möglichst lange Verbleib im Erwerbsleben muss gefördert werden. Das wird nicht einfach. Denn eine solche Personalpolitik muss sämtliche Altersgruppen einbeziehen und sie über das gesamte Erwerbsleben begleiten. Sie muss dabei differenziert nach den individuellen Kompetenzprofilen und den jeweiligen Tätigkeitsanforderungen vorgehen – um vorzeitigen Verschleiß zu vermeiden.

Welchen Beitrag könnte die Frauenbeschäftigung leisten, um das innerbetriebliche Arbeitspotenzial zu steigern?
Die Teilzeitarbeit von Frauen ist eine wichtige Stellschraube, weil sie – mit 18,5 Wochenstunden – im Schnitt bei uns kürzer ist als in allen anderen europäischen Ländern. Was aber nicht den Wünschen vieler teilzeitbeschäftigter Frauen entspricht. Würden die Unternehmen diese Arbeitszeitwünsche aufgreifen, stünde ihnen auf einfache Weise ein gut eingearbeitetes zusätzliches Arbeitspotenzial zur Verfügung, ohne dass weitere Einarbeitungskosten anfielen. Was der Gesetzgeber beim Teilzeit- und Befristungsgesetz versäumt hat, könnten Unternehmen in Eigenregie nachholen, indem sie Teilzeitbeschäftigten per Betriebsvereinbarungen das Recht einräumen, entweder die Arbeitszeit ihren Wünschen entsprechend aufzustocken oder zur Vollzeit zurückzukehren.

Die Bundesagentur für Arbeit hat vorgeschlagen, auf die demografischen Herausforderungen mit verlängerten Arbeitszeiten und verkürztem Urlaub zu reagieren. Was ist davon zu halten?
Das ist absolut kontraproduktiv – und keineswegs vereinbar mit Konzepten nachhaltiger und alternsgerechter Personalpolitik. Arbeitszeitverlängerungen würden die Arbeitsbelastungen weiter steigern und das Risiko erhöhen, dass noch mehr Beschäftigte aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf vorzeitig aufgeben müssten. Schon heute arbeiten, vor allem wegen Erwerbsminderung, nur etwas mehr als sechs Prozent aller 64-Jährigen überhaupt noch in Vollzeit. Dem Arbeitsmarkt würde weiteres Potenzial an Fachkräften verloren gehen. Längere Arbeitszeiten erschweren auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Noch mehr Frauen würden auf Teilzeit umsteigen und Teilzeitbeschäftigte darauf verzichten, ihre Halbtagsbeschäftigung aufzustocken. Mit kurzer Vollzeitarbeit für beide Partner wäre den Betrieben besser gedient.

Wird der Wettbewerb um qualifizierte Beschäftigte zunehmen?
Ja. Von daher müssen die Unternehmen dem beruflichen Nachwuchs attraktive Angebote machen. Wer dabei allein beim Einkommen ansetzt, greift zu kurz. Wir wissen, wie wichtig selbstbestimmtes Arbeiten und bewegliche Arbeitszeiten für die Belegschaften sind; außerdem der Zugang zu Weiterbildung und auf Dauer angelegte Jobs. Man wird auch mehr Frauen für Vollzeitarbeit gewinnen können, wenn sie ihre Arbeitszeit nach ihren privaten Anforderungen gestalten können – das ist mit alternierender Teleheimarbeit und verbesserter betrieblicher Kinderbetreuung durchaus machbar. Schließlich wird die Integration ausländischer Arbeitskräfte in den Arbeitsprozess und in die Gesellschaft vermehrte Aufmerksamkeit erfordern. Helfen können Sprachkurse oder Patenschaften durch langjährige Mitarbeiter.

Das ist nicht mal eben zu machen.
Langer Atem ist erforderlich. Denn ein personalpolitischer Strategiewechsel braucht Zeit. Die Personalverantwortlichen, die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer und die Beschäftigten selbst müssen bereit sein, die alten Konzepte des „Durchhaltens und dann frühzeitiger In-Rente-Gehens“ über Bord zu werfen. Stattdessen steht mehr denn je an, unsere Arbeitswelt stärker an Fähigkeiten und Möglichkeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzupassen. Das ist nicht nur human, das ist auch produktiv.

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