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Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris (li.) und Donald Trump bei Wahlkampfauftritten Magazin Mitbestimmung

US-Präsidentschaftswahlen: Countdown zur Richtungswahl

Ausgabe 05/2024

Der Ausgang des Urnengangs wird eine Weichenstellung für die Zukunft der ganzen Welt. Sollte Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehren, droht eine skrupellose Politik, der die EU nur mit Geschlossenheit begegnen kann. Von Steven Hill

Die Präsidentschaftswahlen in den USA rücken unaufhaltsam näher. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Kandidatin der Demokraten, Kamala Harris, und der Anwärter der Republikaner, Donald Trump, zwei gänzlich unterschiedliche Visionen Amerikas vertreten. Donald Trump und sein designierter Vizepräsident, der wirtschaftspopulistische Senator J.D. Vance aus Ohio, sehen die Welt in Schwarz-Weiß und zählen ihre Feinde und Freunde in den USA, Europa und der Welt. Bei der „transaktionalen Politik“ Trumpscher Prägung können im Lager der Freunde auch Diktatoren und Kriegsverbrecher sein.

Donald Trump hat angekündigt, dass er im Falle seines Wahlsiegs im November 2024 mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verhandeln werde, den Krieg in der Ukraine „innerhalb von 24 Stunden zu beenden“. Außerdem erklärt er, dass er von Europa fordern wird, den USA die in der Ukraine eingesetzte Munition zu erstatten und dass er und den ukrainischen Antrag auf Mitgliedschaft in der NATO unterbinden werde. Die amerikanisch-polnische Außenpolitik-Expertin Anne Applebaum ist der Meinung, dass Trump die NATO sogar ganz aufgeben und „sich der Glauben an die kollektive Verteidigung schnell in Wohlgefallen auflösen könnte“.

Im Inland beabsichtigt Trump, die Besteuerung der Konzerne und Vermögenden zu senken, aus allen Klimaabkommen auszusteigen und Einfuhrzölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent auf alle Importe aus Europa und anderen Ländern einzuführen. Das würde die EU-Wirtschaft, die in hohem Maße von den USA abhängt, empfindlich treffen. Die USA sind das wichtigste Ursprungsland für ausländische Direktinvestitionen in der EU, und der Handel zwischen den USA und der EU im Umfang von rund 1,2 Billionen Euro ist die größte bilaterale Handels- und Investitionsbeziehung weltweit und um 40 Prozent stärker als der Handel der EU mit China.

Richard Haas, Vorsitzender der US-amerikanischen Denkfabrik Council on Foreign Relations, sagt, dass nicht einmal die russische Einmischung in die amerikanische Demokratie Trump davon abgehalten habe, „mit Putin weniger auf Konfrontationskurs zu gehen als mit europäischen Staats- und Regierungschefs“. Trump ist durch seine erste katastrophale Amtszeit keineswegs nachdenklich geworden, weit gefehlt. Stattdessen offenbaren seine jüngsten Reden und Aussagen in den sozialen Medien, dass er inzwischen von soziopathischen Rachegelüsten und der Fantasievorstellung, alle beherrschen zu wollen, die sich seiner Autorität nicht beugen, seien es Individuen oder Staaten, zerfressen ist. Er hat erklärt, dass in seiner zweiten Amtszeit seine Verbündeten und von ihm eingesetzte Amtsträger vor allem für ihre Treue gegenüber seiner Herrschaft ausgezeichnet werden.

Zwei unterschiedliche Weltanschauungen

Auf der anderen Seite dieses Kampfs der beiden Lager steht die amtierende Vizepräsidentin Kamala Harris mit ihrem designierten Stellvertreter Tim Walz, dem Gouverneur von Minnesota. Das Gespann Harris/Walz bietet eine vollständig andere Weltanschauung für Amerika und seine Verbündeten, die man „Biden II“ nennen kann,  wenngleich mit einigen entscheidenden Unterschieden: Wie schon die Biden-Administration wird eine Präsidentin Kamala Harris danach streben, wirtschaftliche und für die nationale Sicherheit wichtige Bündnisse mit Europa, der NATO und anderen Alliierten weltweit aufrechtzuerhalten und das globale Engagement der USA sicherzustellen. Sie befürwortet eine starke Unterstützung der Ukraine in der Landesverteidigung gegen Putins Einmarsch und scheint die Außenpolitik der Biden-Administration weitgehend mitzutragen.

Im Inland hat Harris angesichts der Sorge vieler Amerikaner über die hohen Lebenshaltungskosten und ihre eigene wirtschaftliche Lage Wahlkampfversprechen gemacht, die Preise zu senken, aber es ist unklar, welche Möglichkeiten ein Präsident oder eine Präsidentin dabei überhaupt hat. Die Zielgruppe von Harris’ Kampagne ist die Mittelklasse. Sie schlägt familienfreundliche Instrumente vor, wie zum Beispiel Zuschüsse von bis zu 25.000 US-Dollar für die Anzahlung beim Ersterwerb einer Wohnimmobilie, bezahlten Elternurlaub und mehr Förderung für die Kinderbetreuung. Ein Großteil ihrer politischen Botschaft spricht dezidiert Frauen an. Harris  hat erklärt, dass sie die Entscheidung des Obersten Gerichtshof zur Abtreibung, die die durch Bundesgesetz geschützten Reproduktionsrechte von Frauen außer Kraft setzt, aus Trumps Amtszeit rückgängig machen wird.

Wo sich eine Administration unter einer Präsidentin Kamala Harris vielleicht am meisten von Biden unterscheiden könnte, ist die Durchsetzung des Kartellrechts. Die Biden-Administration hat versucht, die großen Technologiekonzerne, digitale Plattformen und andere große amerikanische Konzerne an die Kandare zu nehmen, wobei ein Bundesgericht Google zum Monopolisten erklärt hat. Bidens Behörden sind außerdem gegen Preisabsprachen in der Fleischindustrie vorgegangen und haben Klage eingereicht, um die Fusion von zwei großen Supermarktketten zu blockieren, und Lebensmitteleinzelhändler gedrängt, ihre Preise zu senken. Biden hat die Durchsetzung des Kartellrechts wieder gestärkt. Harris ist dafür bekannt, Konzernen und den Big-Tech-Unternehmen gegenüber offener zu sein, wobei ihr Schwager zu den obersten Führungskräften von Uber gehört und ein enger Berater in ihrer Kampagne ist. Eine Verbündete im Weißen Haus zu haben, wäre für die Konzerne und Unternehmen aus dem Silicon Valley ein großer Vorteil.

Was die Handelspolitik und -strategie angeht, sind Harris’ Ansichten nicht ganz klar. Sie ist skeptisch gegenüber sogenannten „Freihandelsabkommen“. Ihre Einwände gegen solche Handelsabkommen richten sich in der Regel gegen deren voraussichtliche Auswirkungen auf die Umwelt, den Klimawandel und die Arbeitnehmer. Wie viele führende Demokraten scheint Harris die Ansicht zu teilen, dass Freihandelsabkommen ein Grund dafür sind, dass US-Unternehmen viele amerikanische Arbeitsplätze ins Ausland verlagert haben.  Einige Handelsanalysten erwarten, dass Harris versuchen wird, den Handel mit Anreizen für eine bevorzugte Klima- und Arbeitspolitik zu verbinden.

Wenn Kamala Harris zur US-Präsidentin gewählt wird, können Deutschland und Europa erwarten, eine zuverlässige Verbündete im Weißen Haus zu haben. Aber wie sollten Deutschland und die Europäische Union reagieren, wenn Trump gewählt wird? Die EU müsste sich „Trump-sicher“ machen, indem sie größere Geschlossenheit denn je praktiziert. Sie müsste das enorme amerikanische Führungsvakuum füllen, die Ukraine im Kampf gegen Russland unterstützen, die Menschenrechte fördern, ihre eigenen Grenzen schützen, auch die digitalen, den Klimawandel bekämpfen und die Demokratie als Modell verteidigen. Die EU kann sich vor Trumps protektionistischer Politik schützen, indem sie Handelsabkommen mit anderen Ländern und regionalen Märkten abschließt. Sie sollte außerdem ihren Binnenmarkt vertiefen, insbesondere die Sektoren der Finanzen, Digitalisierung und Dienstleistungen.

Die größte Bedrohung, die von Donald Trump für die EU ausgeht, betrifft vielleicht ihre ureigensten Werte: Multilateralismus, Umweltverantwortung, Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie selbst. Mit seinem Handeln und seinen verbalen Übergriffen tritt Trump diese Grundsätze mit Füßen und beeinflusst die öffentliche Meinung. Die EU muss gründlich darüber nachdenken, wie sie diesem Druck künftig standhalten will und dass es dazu erforderlich sein wird, den Rechtsstaat sowohl innerhalb wie auch außerhalb ihrer Grenzen zu verteidigen. Die EU-Mitgliedstaaten müssen so geschlossen wie nur möglich auftreten. In Europa hat es oft einer Krise bedurft, um die widerspenstigen Mitgliedstaaten zu mobilisieren und zu einen. Geschlossenheit ist das beste Gegenmittel für eine weitere Runde von Trumps skrupelloser Politik des äußersten Risikos.

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