Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Countdown in Alabama
US-KONZERNTÖCHTER Die IG Metall will die Steelworker bei den bevorstehenden Gewerkschaftswahlen im US-Stahlwerk von ThyssenKrupp in Alabama unterstützen – und Bob King, der Boss der Automobilarbeiter, zeigt Interesse am deutschen Modell der Mitbestimmung. Von Bernd Kupilas
BERND KUPILAS ist Journalist in Köln/Foto: Rebecca Cook/reuters
Das Schreiben an die Beschäftigten von ThyssenKrupp Stainless USA ist im Ton zurückhaltend – aber in der Sache bestimmt: Uli Albrecht-Früh, Geschäftsführer der US-Edelstahlsparte des deutschen Unternehmens, beschwert sich darin über die Anwerbeversuche der Stahlarbeitergewerkschaft United Steelworkers (USW). „Auch wenn die Wahl letztlich Ihnen überlassen bleibt“, schreibt er, „bitte unterschreiben Sie (...) nicht.“ Der Rundbrief endet theatralisch: „Wenn wir direkt miteinander an diesen Zielen arbeiten statt über eine dritte Partei von außen, (...) wird unsere Zukunft leuchtend sein.“
Leuchtende Zukunft gibt es nur ohne Gewerkschaft – es sind solche eindeutigen Stellungnahmen, die Detlef Wetzel maßlos ärgern. „Reine Schikane“ sei das, was dort in Alabama passiert sei, „ein echtes Schurkenstück“, sagt der Zweite Vorsitzende der IG Metall. Seit 2008 versuche die IG Metall, ein Fairness-Abkommen mit ThyssenKrupp abzuschließen – ohne Erfolg. Darin sollte festgeschrieben werden, dass die Unternehmensleitung in den USA die Stahl-Gewerkschaft nicht behindert. Schon einmal waren IG-Metaller bei ThyssenKrupp in den USA – und kamen „mit erschütternden Dokumenten“ (Wetzel) zurück. Einschüchterungen, Drohungen, subtiler Druck – das ganze Repertoire des in Amerika üblichen „Union Busting“ fanden die Metaller vor. Der IG-Metall-Vize war so erzürnt, dass er als Mitglied des Aufsichtsrates eine Reise zur offiziellen Eröffnung des Werkes in Alabama absagte („Mitbestimmung“ berichtete 3/2011).
Anfang des Jahres unternahm die IG Metall erneut einen Vorstoß – und konnte dem neuen Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesinger immerhin ein klares Bekenntnis abringen. Zwar halte er ein eigenes Fairness-Abkommen „unverändert nicht für erforderlich“, schreibt Hiesinger in einem Brief an Wetzel Anfang Oktober. Selbstverständlich respektiere man das Recht der Beschäftigten, sich für eine Gewerkschaft zu entscheiden. Auch teile man die Grundhaltung, „weder Zwang und Einschüchterung zu betreiben noch die Beschäftigten zu bedrohen“. Er werde dies mit dem Management am Standort Alabama „nochmals klar besprechen“. Auf diese Zusagen allein will Wetzel sich nicht verlassen. „Wir schicken ein Team von Organizern der IG Metall in die USA hinüber“, kündigt er nach einem Treffen mit einer USW-Delegation an, „und wenn wir den ersten Verstoß feststellen, wird eine sehr schwierige Situation entstehen.“ Der Zeitpunkt passt: Im Dezember stimmen die Beschäftigten von ThyssenKrupp in den USA darüber ab, ob sie gewerkschaftlich vertreten werden wollen. Da kommen die Organizer der IG Metall gerade recht.
Hintergrund der transatlantischen Zusammenarbeit ist, dass die amerikanischen Gewerkschaften einen beispiellosen Niedergang hinter sich haben, teils wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage, teils wegen eigener Fehler, teils wegen des aggressiven „Union Busting“. Nur noch sieben Prozent der Beschäftigten der privaten Wirtschaft sind gewerkschaftlich organisiert. Amerikas Gewerkschaften seien heute „in einer besonders prekären Lage“, meint Harold Meyerson, ein bekannter amerikanischer Linker und Herausgeber der Zeitschrift „The American Prospect“. Sie hätten versäumt, Mitglieder zu gewinnen und sich politische Unterstützer zu suchen.
WILDES ORGANIZING_ Besonders hart getroffen hat es die Automobilarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW). Heute hat sie noch rund 350 000 aktive Mitglieder, es waren mal fast 1,9 Millionen. Mit der amerikanischen Autoindustrie ging es auch mit der UAW bergab. Ein Gutteil der Mitglieder arbeitet gar nicht in der Automobilindustrie. Die UAW organisiert auch Casinoarbeiter oder Beschäftigte im Gesundheitswesen. Sogar im Staatsdienst ist sie vertreten. „Weil es einfacher ist, Beschäftigte im öffentlichen Dienst gewerkschaftlich zu organisieren“, erklärt Harold Meyerson, „gehen viele große Gewerkschaften diesen Weg, ohne Rücksicht auf den Sektor oder Zuständigkeitsbereich zu nehmen.“
In dieser Lage hat sich die UAW mit Bob King 2010 einen Reformer an die Spitze gewählt. Der neue UAW-Präsident will die Organisation verändern. Die Gewerkschaft soll sich mehr als Sozialpartner verstehen, weniger als Kontrahent der Unternehmen. „Bob King mutet seiner Organisation eine Revolution zu“, sagt Horst Mund, Leiter Internationales der IG Metall. Ausdrücklich nimmt die UAW Anleihen bei der deutschen Mitbestimmung. Eine Resolution mit dem Titel „Demokratie am Arbeitsplatz“, die die UAW bei einer tarifpolitischen Konferenz im März beschlossen hat, verweist explizit auf „das deutsche Modell“, das zeige, „wie Demokratie am Arbeitsplatz Produktivität, Qualität und Wandlungsfähigkeit fördert“. Auch wenn man in Amerika die entsprechenden Gesetze nicht habe, so könne man sich doch für Regeln und Strukturen einsetzen, wie es sie in Deutschland mit seinen Betriebsräten und deren Befugnissen schon gibt.
In ihrer Not hat die UAW die internationale Zusammenarbeit wiederentdeckt – und setzt auf die IG Metall. Die deutschen Gewerkschafter sollen helfen, die neuen Automobilwerke deutscher Hersteller wie Daimler, VW oder BMW im traditionell gewerkschaftsfeindlichen Süden der USA zu organisieren. „Für die UAW geht es um das Überleben“, sagt ein IG-Metaller, „sie muss die deutschen Werke im Süden knacken.“
Umgekehrt hat die IG Metall ein Interesse, mit organisierten Betrieben in den USA zusammenzuarbeiten. Erste konkrete Absprachen gibt es, zarte Bande zwischen deutschen Betriebsräten und Aktiven in den amerikanischen Locals. Aber es gibt auch Skepsis. Kooperationen zwischen deutschen Metallern und amerikanischen UAWlern gab es schon früher, nicht immer funktionierte das reibungslos. Die UAW hat sich nicht an Absprachen gehalten, lautet der Vorwurf von deutscher Seite. Zudem ringen die beiden Gewerkschaften auch mit kulturellen Unterschieden. Dort die traditionell protektionistischen Amerikaner, die im Zweifel „Buy American“ fordern und denen jedes Freihandelsabkommen ein Graus ist, hier die IG Metall, deren Vorsitzender auf dem Gewerkschaftstag gerade ein Plädoyer für das vereinte Europa gehalten hat.
In der Heimat konnte die UAW unter Bob King in diesem Herbst erste, wichtige Schritte nach vorne machen. Bei den Tarifverhandlungen mit den „Big Three“, den drei großen US-Automobilherstellern General Motors, Ford und Chrysler, handelte die Autogewerkschaft eine Lohnerhöhung von gut drei Dollar aus – der Lohn für Einsteiger steigt über mehrere Jahre von derzeit gut 15,78 Dollar auf 19,28 Dollar. Damit schließt die UAW in ihren Stammwerken jetzt gerade mal auf zu den Löhnen einiger gewerkschaftsfreier Betriebe. Bei Volkswagen in Chattanooga starten neu Eingestellte bei 14,50 Dollar, über drei Jahre steigt ihr Lohn auf 19,50 Dollar. Hat die UAW wirklich eine Chance, in den Werken deutscher Hersteller Fuß zu fassen? Termine für Gewerkschaftswahlen gibt es noch nicht. Beide Seiten wollen sichergehen, dass sie die Wahlen gewinnen.
Jetzt steht zunächst ThyssenKrupp in Alabama auf der Agenda. Dass die Beschäftigten dort im ersten Anlauf pro Gewerkschaft stimmen, mag auch IG-Metall-Vize Wetzel nicht voraussagen. „Zwei Jahre Schikane gehen an einer Belegschaft nicht spurlos vorüber.“ Aber man wolle es trotzdem probieren. Schließlich, meint Wetzel, muss auch in Amerikas Süden endlich der gesellschaftliche Fortschritt Einzug halten. „So wie die Südstaaten der USA die Sklaverei abgeschüttelt haben“, sagt Wetzel, „so müssen sie irgendwann auch ihre Gewerkschaftsfeindlichkeit ablegen.“