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Magazin Mitbestimmung

Mitbestimmungspraxis: Checkliste für den Betriebsrat

Ausgabe 05/2013

Längst nicht in allen Unternehmen ist der Betriebsrat ausreichend in Compliance-Maßnahmen eingebunden. Wir zeigen, worauf Arbeitnehmervertreter achten müssen. Von Kay Meiners, Redakteur des Magazins Mitbestimmung, und Andreas Priebe, Arbeitsrechtler in der Hans-Böckler-Stiftung

1. Compliance zur Betriebsratsaufgabe machen

Der Betriebsrat sollte sich an Compliance-Debatten im eigenen Unternehmen aktiv beteiligen und nicht erst reagieren, wenn der Arbeitgeber Schulungen veranstaltet oder Kontrollsysteme einführt. Das Wort Compliance mag neu für ihn sein, das Thema ist es nicht. Denn § 80 Absatz 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes begründet eine Wächterrolle des Betriebsrates. Es verpflichtet ihn, darauf zu achten, „dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen eingehalten werden“. Ein guter Grund, das Thema Compliance nicht allein dem Management zu überlassen.

2. Die Grenzen des Direktionsrechts ausloten

Der Arbeitgeber ist nach § 106 der Gewerbeordnung befugt, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung allein zu bestimmen, sofern diese nicht durch den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung, einen Tarifvertrag oder ein Gesetz geregelt sind. Er kann daran erinnern, dass das geltende Recht beachtet werden muss, oder Weisungen zum schonenden Umgang mit seinem Eigentum erteilen. Der Arbeitgeber muss die Kenntnis des Arbeitnehmers von Weisungen im Zweifelsfall beweisen können. Doch das Direktionsrecht hat enge Grenzen. Der Arbeitgeber darf vertragliche Haupt- und Nebenpflichten konkretisieren, aber nicht einseitig neue Verhaltenspflichten begründen. Er kann verlangen, dass Beschäftigte Verstöße gegen betriebliche Regeln melden, wenn dem Betrieb Schaden droht. Eine Aufforderung, alle Verstöße unabhängig von Schwere und Folgen zu melden, wäre unverhältnismäßig.

3. Mitbestimmungsrechte wahrnehmen

Viele konkrete Maßnahmen in Rahmen eines Compliance-Managment-Systems wie Torkontrollen, der Einsatz von Überwachungstechnik oder Verfahren zur Einsichtnahme von Dokumenten und Datensätzen berühren Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 87 Absatz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes. Besteht im Betriebsrat kein klares Bild über die Rechtslage, so empfiehlt es sich, den Maßnahmenkatalog zusammen mit der Gewerkschaft oder einem Arbeitsrechtler darauf überprüfen zu lassen, ob sie Mitbestimmungsrechte tangieren. Entscheidungen und Anordnungen, bei denen der Betriebsrat übergangen wurde, obwohl ein Mitbestimmungsrecht besteht, können nachträglich angefochten werden.

4. Möglichst Betriebsvereinbarungen aushandeln

Aus der Sicht der Arbeitnehmervertreter sind Betriebsvereinbarungen der beste Weg, um Compliance-Regeln einzuführen. Nur so ist es möglich, sich mit dem Arbeitgeber umfassend über die Unternehmenskultur und über Verfahrensweisen zu verständigen. Zu unterscheiden ist zwischen freiwilligen Betriebsvereinbarungen und erzwingbaren Betriebsvereinbarungen, die der Betriebsrat im Streit mit dem Arbeitgeber über mitbestimmungspflichtige Themen (etwa nach § 87 der Betriebsverfassung) über den Spruch der Einigungsstelle erzwingen kann. Regelungen zum Umgang mit Whistleblowern sind mitbestimmungspflichtig und sollten stets per Betriebsvereinbarung geregelt werden. Wichtige Punkte: Können Verstöße auch anonym gemeldet werden oder nur namentlich? Wie wahrt man Rechte des Beschuldigten, und wie schützt man Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Denunzierungen?

5. Alle Einzelvereinbarungen kritisch prüfen

Versucht der Arbeitgeber, Arbeitsverträge einzelner Arbeitnehmer nachträglich zu ergänzen oder mit Arbeitnehmern individuelle
Vereinbarungen abzuschließen, um auf diese Weise Compliance-Regeln einzuführen, ist für den Betriebsrat in der Regel Vorsicht geboten. Solche Änderungswünsche deuten darauf hin, dass das Verhältnis bereits angespannt ist. Wenn der Betriebsrat und der Beschäftigte sich einig sind, sind solche Versuche des Arbeitgebers meist zum Scheitern verurteilt. Dem Arbeitgeber bleibt häufig nur eine problematische Änderungskündigung. Besser sind verbindliche Regeln für alle. Die Arbeitnehmervertretung muss mindestens darauf achten, dass auch individuelle Absprachen gesetzeskonform sind und den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen (Gleichbehandlungsgrundsatz).

6. Gültigkeit von Rechtsnormen prüfen

Der Arbeitgeber hat im Ausland ausländisches Recht zu beachten. Aber wenn der Arbeitgeber mit dem Verweis auf eine ausländische Konzernmutter oder im Ausland übliche Rechtsvorschriften oder Unternehmenskulturen bestimmte Verhaltensweisen einfordert (wie den Verzicht auf private Beziehungen zwischen Kollegen) und ein Mitbestimmungsrecht des deutschen Betriebsrates bestreitet, so ist dem klar entgegenzutreten. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eindeutig: Ausländische Bestimmungen können die Mitbestimmungsrechte nach dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz grundsätzlich nicht einschränken oder ausschließen.

7. Die E-Mail-Nutzung genau regeln

Bei dienstlichen Mails und Akten besteht ein uneingeschränktes Zugriffsrecht des Arbeitgebers. Wenn der Arbeitgeber jedoch die private E-Mail-Nutzung erlaubt hat, dann sollte in jedem Fall eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden, die den Zugriff des Arbeitgebers auf die Postfächer der Beschäftigten regelt. So kann jeder Mitarbeiter freiwillig eine Vertretungsperson bestimmen, der er den Zugriff auf das Postfach gestattet. Es sollte auch über Möglichkeiten nachgedacht werden, private und dienstliche E-Mails sauber zu trennen. Gefährlich kann ein Zustand werden, in dem der Arbeitgeber die private Nutzung untersagt hat, diese aber tatsächlich duldet.

8. Prüfen, ob Daten ins Ausland gehen

Dienstliche Unterlagen und Datensätze kann der Arbeitgeber ohne Einschränkungen einsehen und vom Arbeitnehmer auch den sorgfältigen Umgang damit verlangen – etwa auf Reisen. Betriebsvereinbarungen können regeln, wie lange E-Mails und Internetprotokolle gespeichert werden sollen. Problematisch ist auch der Versand von Daten in Drittstaaten mit deutlich schlechteren Datenschutzbestimmungen als Deutschland. Zu diesen Ländern gehören auch die USA. Diese Daten können im Ausland nach ausländischem Recht weiterverarbeitet werden. Der Betriebsrat sollte, wenn möglich, verhindern, dass persönliche Daten in regulierungsschwache Länder exportiert werden.

9. Compliance mit Augenmaß behandeln

In der Praxis geht es oft darum, eine alltagstaugliche Balance zwischen einem zu restriktiven System und zu großen Ermessensspielräumen zu finden. Ein System, das Verstöße völlig unmöglich macht, würde totale Transparenz und Kontrolle erforden. Doch eine Compliance-Kultur braucht auch Vertrauen. Sie muss zwischen kleinen Versäumnissen und massiven Vergehen abwägen. Zwei Leitfragen für das eigene Verhalten und das Verhalten anderer Personen im Betrieb sind: 1. Wie wirkt sich das Kontrollsystem oder eine konkrete Handlung auf die Unternehmenskultur aus? 2. Kann ich damit leben, dass das, was ich tue, morgen in der Zeitung steht?

 

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