Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Brauchen wir einen europäischen Mindestlohn?
Ja, sagt Thorsten Schulten, Referatsleiter „Arbeits- und Tarifpolitik in Europa“ am WSI in der Hans-Böckler-Stiftung. Nein, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Ja, sagt Thorsten Schulten, Referatsleiter „Arbeits- und Tarifpolitik in Europa“ am WSI in der Hans-Böckler-Stiftung.
Dieser Lohn kann natürlich kein nominal einheitlicher Mindestlohn sein. Aber eine koordinierte Mindestlohnpolitik in der EU ist absolut sinnvoll. Laut dem jüngsten WSI-Mindestlohnbericht bewegen sich die nationalen Mindestlöhne innerhalb der EU derzeit zwischen knapp zwölf Euro in Luxemburg und weniger als zwei Euro in Bulgarien. Das ist eine extrem große Spanne. Vielmehr geht es darum, dass nach der Europäischen Säule sozialer Rechte Mindestlöhne allen Beschäftigten in der Union einen „angemessenen Lebensstandard“ ermöglichen sollen. Denn die nationalen Mindestlöhne in vielen EU-Staaten liegen unterhalb des Existenzminimums. Damit sind sie de facto Armutslöhne. Das Ziel einer europäischen Mindestlohnpolitik muss es daher sein, überall existenzsichernde Mindestlöhne durchzusetzen.
Dafür braucht man ein Maß. Pragmatisch könnte dies dadurch erreicht werden, dass alle Mindestlöhne in der EU auf 60 Prozent des jeweiligen nationalen Medianlohns angehoben werden – wie dies vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) auch gefordert wird. In vielen Ländern der EU würde dies zu kräftigen Lohnerhöhungen führen. Das soziale Europa würde hingegen endlich einmal konkrete Gestalt annehmen. Auch in Deutschland müsste der Mindestlohn perspektivisch auf zwölf Euro steigen. Denn selbst Vollzeitbeschäftigte kommen mit einem Stundenlohn von 9,19 Euro ohne zusätzliche staatliche Unterstützung kaum über die Runden.
Nein, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Das soziale Europa bezieht seine Stärke auch daraus, dass unterschiedliche Traditionen und Wege bestehen und gelebt werden. Das Motto der EU, „In Vielfalt geeint“, könnte da nicht besser sein. Dies gilt besonders für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik: Sie ist bei den Mitgliedstaaten historisch höchst unterschiedlich. Das Ziel starker Arbeitsmärkte eint Europa – die Wege dorthin dürfen aber nicht zentral vorgegeben werden. Die Sozialpolitik liegt ausdrücklich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Es besteht kein Bedarf an zusätzlicher EU-Regulierung. Unterschiedlich starke Sozialsysteme innerhalb Europas sind nicht auf einen Mangel an Regeln zurückzuführen, sondern auf wirtschaftliche Unterschiede.
Ein sozial starkes Europa können wir nur auf Grundlage wirtschaftlichen Erfolgs finanzieren. EU-weite verbindliche Blaupausen kann und darf es in diesen Bereichen nicht geben. Deshalb muss jeder Mitgliedstaat seine Sozialsysteme weiter eigenverantwortlich gestalten dürfen. Die nationale Mindestlohnregelung gründet auf Tarifautonomie in Deutschland, ist Ausdruck konkreter Sozialpartnerschaft und kein staatlicher Gnadenakt. Allein aus dem Fehlen kollektiver Lohnfindung auf supranationaler Ebene ergibt sich die mangelnde Erfüllungsgrundlage einer konkreten Vorgabe für die EU. Daher lautet mein dringender Appell: Finger weg von einem europäischen Mindestlohn!
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