Quelle: Bundesregierung/Steffen Kugler
Magazin MitbestimmungPro & Contra: Brauchen wir eine soziale Pflichtzeit?
Ja - sagt Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Nein - sagt Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland:
Ja. Millionen Menschen in unserem Land kümmern sich täglich um ihre Kinder, um alte oder kranke Verwandte, um Freunde oder Kollegen. Millionen sind im Ehrenamt oder als freiwillige Helferinnen und Helfer für andere da, und das zumeist neben dem Beruf und der Familie. Aber es gibt auch Anzeichen dafür, dass das bürgerschaftliche Engagement, das Rückgrat unseres Gemeinwesens, mancherorts schwächer wird. Mein Eindruck ist, dass es in unserem Land an Begegnung und Austausch mangelt – zwischen Jungen und Alten, Armen und Reichen, Ost- und Westdeutschen, zwischen Städtern und Landbewohnern, zwischen hier Geborenen und Zugewanderten.
Wir brauchen Ideen, wie es gelingen kann, dass mehr Menschen mindestens einmal in ihrem Leben eine Zeit lang aus ihrem gewohnten Umfeld herauskommen und sich den Sorgen ganz anderer widmen. Daher habe ich eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit angeregt. Eine solche Pflichtzeit muss kein ganzes Jahr dauern, sie kann kürzer sein oder auf mehrere Lebensabschnitte verteilt werden. Man könnte den Dienst in sozialen Einrichtungen, in der Flüchtlingshilfe, in der Umwelt- und Klimaarbeit, im Katastrophenschutz oder auch bei der Bundeswehr leisten.
Mir war von vornherein sehr klar, dass mein Vorschlag nicht nur Begeisterung hervorrufen würde. Aber mir ist wichtig, dass wir die Debatte über unser Engagement für das gemeinsame Ganze nicht nur beginnen, sondern fortsetzen. Und mir ist vor allen Dingen wichtig, dass diese Debatte jetzt nicht wieder im Nichts endet.
Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi:
Nein. Einen Pflichtdienst für junge Menschen lehne ich ab. Die Debatte ist irritierend, denn sie wird von denjenigen geführt, die dieser Generation längst entwachsen sind. Ich setze auf Freiwilligkeit statt Zwang.
Die bestehenden Freiwilligendienste sind eine wichtige Einrichtung. Sie ermöglichen jungen Menschen, sich während Übergangsphasen zwischen Schule und Ausbildung beziehungsweise Studium zu orientieren und sich für das Gemeinwohl zu engagieren – freiwillig. Das Interesse daran ist groß. Bundesweit und vor allem im urbanen Raum gibt es, außerhalb der Alten- und Behindertenhilfe, mehr Freiwillige als Plätze. Richtig ist es deshalb, das Angebot auszubauen. Freiwilligendienste sind richtigerweise arbeitsmarktneutral konzipiert, sodass sie keine Fachkräfte oder Ausbildungsstellen ersetzen oder Personalengpässe abfedern. Aber bereits heute verlaufen in der Praxis die Grenzen fließend. Freiwilligendienstleistende übernehmen teilweise oder zeitweise Aufgaben von professionellen Fachkräften in der Alten- und Krankenpflege oder Kindertagesbetreuung. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist dies leider auch nicht überraschend.
Mit einem neuen Pflichtdienst würden motivierte, aber eben auch vermutlich unmotivierte Pflichtdienstleistende die Arbeit in Bereichen der Pflege, der sozialen Arbeit und der Erziehung übernehmen. Das ist keine Lösung – ein Gegensteuern beim Personalmangel in diesem Bereich kann nur mit Guter Arbeit, Tarifbindung und Mitbestimmung gelingen.