Quelle: Simone M. Neumann/Anne Grossmann
Magazin MitbestimmungPro & Contra: Brauchen wir ein Bundestariftreuegesetz?
Ja, ist Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied überzeugt, weil das Gesetz Beschäftigte vor Dumpinglöhnen schützt. Nein, findet Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer und warnt vor mehr Bürokratie und höheren Kosten für Unternehmen.
JA.
Die öffentliche Hand vergibt jährlich Aufträge im dreistelligen Milliardenbereich. Auf den Bund entfallen davon ein Viertel bis ein Drittel. Meist erhalten die günstigsten, nicht die wirtschaftlichsten Angebote den Zuschlag, ungeachtet der Kosten, die Lohndumping und niedrige Arbeitsstandards verursachen. Doch der Staat darf mit öffentlichem Geld kein Lohn- und Sozialdumping unterstützen. Deshalb war es gut und richtig, dass sich die Ampelparteien im Koalitionsvertrag verpflichtet hatten, dies zu ändern.
Kritiker argumentieren, das Bundestariftreuegesetz, kurz BTTG, verstoße gegen die „negative Koalitionsfreiheit“ und sei deshalb grundgesetzwidrig. Das BTTG zwingt aber niemanden, sich auf einen öffentlichen Auftrag zu bewerben. Von einem „Tarifzwang“ kann also keine Rede sein. Mit der Tariftreue leistet der Bund vielmehr einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Tarifautonomie. Tarifgebundene Unternehmen sind nicht mehr chancenlos den Dumpingwettbewerbern ausgesetzt. Davon profitieren gerade kleine und mittlere Betriebe. Tarifbindung wird für sie zur Chance für einen echten Wettbewerbsvorteil.
Am Ende profitieren alle von der Tariftreue: tarifgebundene Unternehmen, die keine Wettbewerbsnachteile mehr erleiden, Beschäftigte, die vor Lohndumping geschützt werden, und die sozialen Sicherungssysteme, die durch höhere Löhne gestärkt werden.
STEFAN KÖRZELL, DGB-Vorstandsmitglied
NEIN.
Mit dem Tariftreuegesetz hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der klar zum Ziel hat, die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Tarifbindung zu koppeln. Dabei ist das Ziel, mehr Tarifbindung in Deutschland zu erzielen, erstrebenswert, aber nicht Aufgabe des Staates. Auch ist die Einteilung der Unternehmen in „gute“ (tarifgebundene) und „schlechte“ (nicht tarifgebundene) Arbeitgeber mittlerweile zur unsinnigen politischen Praxis geworden. Auch jene Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind, bieten vernünftige Arbeitsbedingungen, sonst könnten sie sich am Arbeitsmarkt nicht behaupten.
Die Aufladung der Vergabe öffentlicher Aufträge mit der Tarifbindung der Unternehmen ist kein Ausdruck der Stärkung der Tarifautonomie, sondern ihrer Schwächung. Es ist Aufgabe der Sozialpartner, für attraktive Tarifverträge zu sorgen, die auch in kleinen und mittleren Unternehmen umsetzbar sind. In der Konsequenz wird das Tariftreuegesetz nicht nur für mehr Bürokratie und höhere Kosten sorgen (Stichwort: Nachunternehmerhaftung), es wird auch zu einer erheblichen Verringerung der Unternehmen führen, die dann noch für öffentliche Aufträge infrage kommen. Die Leidtragenden wären aller Voraussicht nach nicht nur kleine und mittlere Unternehmen, sondern auch Start-ups.
MARIE-CHRISTINE OSTERMANN, Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer
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