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Magazin Mitbestimmung

Unternehmenskultur: Brandbrief des Patriarchen

Ausgabe 10/2012

Die IG Metall beklagt die Zustände im Konzern des „Schraubenkönigs“ und Multimilliardärs Reinhold Würth – und fordert die überfällige Gründung eines Betriebsrats. Von Stefan Scheytt

Mitte September nahm der Unternehmer Reinhold Würth, der mit einem geschätzten Vermögen von fünf Milliarden Euro zu den reichsten Deutschen gehört, den James-Simon-Preis für „vorbildliches soziales und kulturelles Engagement“ entgegen. Während dieses Ereignis weithin unbeachtet blieb, machte der „Schraubenkönig“ jetzt bundesweit Schlagzeilen mit einem siebenseitigen Brief an seine 3100 „lieben Außendienstmitarbeiter“, in dem er ihnen kaum verhohlen mit dem Verlust des Arbeitsplatzes droht. Enttäuscht über ein „mickriges“ Umsatzwachstum seiner Vertriebsorganisation von 4,8 Prozent im ersten Halbjahr 2012, wütet Würth: „Im Zeitalter der Internetshops brauchen wir wirklich keine Außendienstmitarbeiter, die nur dem Kunden verkünden, dass Würth zum allerbilligsten Preis verkaufen will. Wenn wir Billiganbieter sein wollen, können wir die Gehälter des Außendienstes einsparen und machen eben die Billigstangebote über den Internetshop, über Kataloge, E-Mail, Fax und Post.“ Der 77-jährige Firmenpatriarch und vorbestrafte Steuerhinterzieher erinnert seine Verkäufer an „unsere schönen Sprichwörter ‚Ohne Fleiß kein Preis‘ und ‚Morgenstund‘ hat Gold im Mund‘“ und empfiehlt ihnen, schon ab 7.30 Uhr Kunden zu besuchen. „Wenn Sie erst um 9.30 Uhr beim ersten Kunden sind, haben sie 120 Verkaufsminuten sinn- und nutzlos verplempert, und wenn Sie um 16 statt um 17 Uhr aufhören, verplempern Sie noch einmal 12,5 Prozent.“ Er wolle den Außendienst nicht abschaffen, appelliere aber, „die Geduld der Zentrale nicht zu überfordern“. Würths Attacke hat ihren Grund in einer „Vision 202020“, die vorgibt, dass der Weltmarktführer für Befestigungs- und Montagetechnik (66 000 Beschäftigte) bis zum Jahr 2020 seinen Umsatz auf 20 Milliarden Euro verdoppeln soll. Seinen Verkäufern hält er dabei das 30-prozentige Wachstum eines Konkurrenten vor, ohne zu erwähnen, dass der zehnmal kleiner ist als die Würth-Gruppe im baden-württembergischen Künzelsau.

Für Heidi Scharf, Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Schwäbisch Hall, ist die vordemokratische Form der Mitarbeitermotivation in Würths Brandbrief wenig überraschend: „Der Brief war nur schärfer als andere Briefe in der Vergangenheit.“ Seit Jahren moniert Scharf, dass es im Stammhaus von Würth mit seinen rund 2500 Beschäftigten keinen Betriebsrat und keine Tarifbindung gibt, sondern nur einen im Sinne der Firma agierenden Vertrauensrat, der genauso ohne gesetzliche Grundlage sei wie der von ihm „ausgehandelte“ Haustarifvertrag. „Wir haben immer wieder versucht, die Gründung eines Betriebsrats zu unterstützen, aber die Mitarbeiter haben einfach Angst“, sagt Heidi Scharf, der schon vor Jahren eine ehemalige Führungskraft erzählte: „Würth wird wie eine Sekte geführt.“ In zwei Produktionsbetrieben im Raum Schwäbisch Hall gibt es zwar Betriebsräte; doch die, weiß Heidi Scharf, sind sehr zurückhaltend gegenüber der IG Metall – aus Sorge, die Geschäftsführung zu provozieren. Nach der Veröffentlichung des Brandbriefs hätten sie wieder viele Anrufe und E-Mails aus Würth-Niederlassungen in ganz Deutschland erreicht. Scharf: „Es ist wichtig, dass die Mitarbeiter Mut fassen und mit Unterstützung ihrer örtlichen Verwaltungsstellen ihr Geschick in die Hand nehmen und endlich Betriebsräte wählen.“

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