Quelle: Bundesfinanzministerium/photothek
Magazin MitbestimmungBildung: „Börse für alle“
Mit einem Festival, einer Plattform und einem Gesetzentwurf will die FDP die finanzielle Bildung stärken. Kritiker fürchten noch mehr Einfluss der Wirtschaft auf Unterricht. Von Jeannette Goddar
Tanz, Performance, Konzerte – das „Radialsystem“ in Berlin hat schon viel gesehen. Doch mit einem „Festival für Finanzbildung“ fand im Oktober in dem ehemaligen Pumpwerk eine Premiere statt. Auf fünf Bühnen und in 50 Veranstaltungen wurde über Sparen, Finanzkompetenz und Versicherungen diskutiert. Die Themen: Wie legt man sein Geld am besten an?, „Börse für alle“ oder „Warum Aktien-ETFs ein wichtiger Baustein für die Altersvorsorge sind“ hießen die Veranstaltungen.
Eingeladen hatten die inzwischen entlassenen Bundesminister für Finanzen und Bildung, Christian Lindner und Bettina Stark-Watzinger. Werbung machte neben den Ministerien die FDP. Lindner wie Stark-Watzinger ließen sich dort so zitieren: „Wir möchten Menschen dazu befähigen, ihre eigenen finanziellen Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen, denn finanzielle Bildung zahlt sich aus.“
Die Frage, warum weder Wirtschafts- noch Verbraucherschutzministerium zu den Veranstaltern gehörten, beantwortet der Hamburger Erziehungswissenschaftler Thomas Höhne so: „Weil es um ein aktivierungspolitisches Projekt der FDP geht. Menschen sollen dazu gebracht werden, mehr zu investieren.“ Im Auftrag der Otto Brenner Stiftung legte Höhne im Oktober eine Studie mit dem Titel „Finanzbildung als politisches Projekt“ vor.
Sie nimmt die „Initiative Finanzielle Bildung“ unter die Lupe, von der das Festival nur ein Baustein war. Es gibt auch noch eine Plattform, einen Gesetzentwurf und einen Bericht der OECD, ebenfalls in Kooperation mit den zwei (Ex-FDP-)Ministerien. Letzterer enthält einen „Vorschlag für eine nationale Finanzbildungsstrategie“ inklusive Empfehlungen an „Bund und Länder, sonstige Akteure auf Bundesebene sowie private und zivilgesellschaftliche Stakeholder“.
Wohin die Reise geht, lässt sich auf der Plattform mitgeldundverstand.de ablesen: 450 „Bildungsangebote“ stehen dort bisher, die meisten von Bundesministerien, der Deutschen Rentenversicherung und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Ein Kernelement ist die vom Finanzministerium verantwortete Serie „Sprechen Sie Finanzisch?“. In rund 90 Sekunden langen Videos werden Fragen beantwortet wie: Was ist eine Schuldenbremse?, Was ist ein Sondervermögen? Und auch hier wieder: Was sind Fonds?, Was sind ETFs?
Studienverfasser Höhne verweist auf das Drängen der FDP auf die Einführung einer Aktienrente. „Ob Sie sich das Gutachten ‚Kapitalgedeckte Rente: Ein neuer Anlauf‘ oder andere Dokumente aus dem Finanzministerium anschauen: Durchweg wird betont, die Menschen sollten eine positive Haltung zur Aktienrente entwickeln.“ Höhnes Kritik umfasst eine Reihe weiterer Punkte. Der zentrale lautet: Nur acht Prozent der Angebote ließen sich mit einer „angemessenen pädagogisch-didaktischen Struktur“ als Bildungsmaterialien identifizieren.
Die müssen unter anderem den Standards des sogenannten Beutelsbacher Konsenses genügen, der besagt: Schüler dürfen nicht mit Meinungen überrumpelt werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, politische und eigene Interessenlagen zu analysieren. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Ganz im Gegensatz dazu kommt das „Finanzisch“-Video zur Schuldenbremse aus Lindners Haus schon im Titel verblüffend unkontrovers daher: „Darum brauchen Schulden eine Bremse“. Zweite Meinung? Fehlanzeige!
Der Kölner Sozialwissenschaftler Tim Engartner sieht in der Finanzbildungsinitiative ein weiteres Vehikel für den Zugang privatwirtschaftlicher Materialien in die staatliche Bildung. „Die Versicherungs- und Finanzbranche schickt seit Jahrzehnten oft einseitige Materialien in die Schulen“, erklärt Engartner. „Eine staatlich verantwortete Plattform für Informationen über Aktien, Anleihen und Derivate braucht es nicht.“
Engartner hat das wissenschaftliche Konzept der Böckler-Schule-Materialien verfasst. Seit 2013 gibt die Stiftung Unterrichtseinheiten zu Themen wie Globalisierung, soziale Sicherung, Tarifverträge heraus. „Ziel war, ein Gegengewicht zu den Angeboten aus Arbeitgebersicht zu schaffen“, erläutert Engartner, „schon deshalb, weil neun von zehn Schülerinnen und Schülern später als abhängig Beschäftigte arbeiten.“ Zugleich folgen die Böckler-Schule-Materialien einer „pluralistischen Grundströmung“: „Sie bilden eine Vielzahl politischer und ökonomischer Rollen ab und sind weitestgehend ausgewogen.“
„Wichtiger als Finanz- ist sozioökonomische Bildung“, konstatiert Till van Treeck. „Einkommensungleichheit, Verteilungsfragen, Steuersystem, Funktionsweise der Sozialversicherung – all das sind wichtige Themen, die von Finanzbildung nicht abgedeckt werden.“ Der Sozioökonom an der Universität Duisburg-Essen und Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung erklärt, schon der Begriff beinhalte eine Vorentscheidung: „Der Einzelne soll sich auf die Finanzmärkte begeben und ist in Anlageentscheidungen auf sich allein gestellt. Die vorgelagerte Frage wäre, ob es nicht eine Stärkung kollektiver Systeme wie etwa der gesetzlichen Rentenversicherung braucht.“ Auch die Studie Höhnes bemängelt, der Fokus auf den Einzelnen und insbesondere auf „vulnerable Gruppen“ blende gesellschaftliche Bedingungen als Ursache prekärer Lebensbedingungen aus. So werde soziale Ungleichheit zu einem „individuellen und pädagogisch zu bearbeitenden Bildungsproblem“.
Was die Entlassung Lindners und Stark-Watzingers für die Initiative bedeutet, ließ sich bei Redaktionsschluss nicht abschätzen. Auf Eis gelegt werden dürfte fürs Erste das „Gesetz zur Stärkung der Finanzbildung“, für das die FDP im Oktober einen Referentenentwurf vorlegte.
Die Studie der Otto Brenner Stiftung:
Thomas Höhne: Finanzbildung als politisches Projekt. Eine kritische Analyse der FDP-Initiative zur finanziellen Bildung. OBS-Arbeitspapier 71, 11. Oktober 2024.
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