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Magazin Mitbestimmung

Böckler-Aktion Bildung: "Bildung hat für mich alles verändert"

Ausgabe 01/2016

Jusra Esmailah, 19, aus dem irakisch-kurdischen Erbil, studiert mit einem BAB-Stipendium Jura an der Frankfurter Goethe-Universität. In einem Wohnheim für Geflüchtete gibt sie Deutschunterricht. Von Jeannette Goddar

Noch ist die 1000. Stipendiatin im ersten Semester und lernt für ihre erste Zivilrechtsklausur. Aber schon jetzt kann man sich gut vorstellen, mit welchem Engagement die 19-Jährige sich einmal dafür einsetzen wird, dass Menschen zu ihrem Recht kommen. „Es gibt kaum etwas Wichtigeres, als zu wissen, welche Rechte man hat und wie man sie durchsetzt“, sagt Jusra Esmailah. „Und wo könnte ich das besser lernen als im Jurastudium?“ 

Dabei hätte ihre Bildungslaufbahn in Deutschland auch ganz anders als mit Aussicht auf ein Staatsexamen verlaufen können. Jusra war drei, als ihre Eltern zu Saddam Husseins Zeiten aus dem irakisch-kurdischen Erbil nach Deutschland flohen. Als sie in die Schule kam, war die Familie gerade aus der Ein-Raum-Wohnung ausgezogen, in der sie zu fünft wohnte, ihre ältere Schwester, die fast ohne Deutschkenntnisse eingeschult wurde, mühte sich immer wieder in derselben Klasse. Und Jusra versuchte, zu lernen. „Aber wenn es niemanden gibt, der bei den Hausaufgaben helfen kann, ist das nicht leicht“, sagt sie, „und außerdem: Es war alles neu für uns. Und alles war in Bewegung.“ Am Ende der Grundschule schickten ihre Lehrer sie auf die Hauptschule. Dass Kinder so früh auf verschiedene Schultypen verteilt werden, empfindet sie bis heute als eine der größten Ungerechtigkeiten Deutschlands: „Mit zehn Jahren! Wie kann man da so eine folgenreiche Entscheidung treffen?“

Sie selbst kämpfte sich von einer Schulform in die nächste; nach der sechsten Klasse wechselte sie in die Real­schule, nach der zehnten aufs Gymnasium. Bei einem „Tag der Stipendien“ an der Hochschule Ludwigshafen lernte sie die Stipendiatengruppe der Hans-Böckler-Stiftung kennen. Prompt bewarb sie sich für die Böckler-Aktion Bildung. Weil das alles auf die letzte Minute war, rief sie sicherheitshalber parallel zur Bewerbung an. Ebenso wie sie übrigens auch dem Deutschen Studentenwerk mehrfach – und am Ende erfolgreich – schrieb, dass sie wirklich sehr dringend einen Platz im Wohnheim bräuchte.

Studieren wollte sie schon immer. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Mutter, der ihre eigene Ausbildung vom großen Bruder regelrecht verboten worden war. Auch das ist übrigens so eine Ungerechtigkeit, gegen die Jusra im zarten Alter von acht Jahren bereits im Angesicht ihres Onkels rebellierte. Heute steht für sie fester als je zuvor: „Wer damit groß geworden ist, dass nichts selbstverständlich ist, weiß: Bildung ist der einzige Weg. Und sie kann alles verändern.“ 

Dafür, dass andere ihrem Weg folgen können, tut Jusra Esmailah neben ihrem Studium an der Frankfurter Goethe-Universität viel: In einem Wohnheim gibt sie Deutschunterricht für Geflüchtete. Und das nicht nur, damit die Neuankömmlinge – von denen nicht wenige aus dem gleichen Land kommen wie sie einst – die Sprache lernen. Sondern auch, weil sie ein Vorbild sein will, das möglichst vielen demonstriert: Schaut her – es geht, in Deutschland seinen Weg zu gehen! Wenn ich es geschafft habe, schafft ihr das auch!

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