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Magazin Mitbestimmung

: Betriebsrat aus Berufung - und was kommt danach?

Ausgabe 04/2011

WEITERBILDUNGSSTUDIUM Ein Studium für Betriebsräte soll helfen, wenn Arbeitnehmervertreter durch eine Freistellung den beruflichen Anschluss verloren haben. Von Barbara Underberg.

BARBARA UNDERBERG ist Journalistin in Dortmund/Foto: Bernd Thissen

Jörg Braun sitzt in einem Seminarraum auf dem Campus der Universität Bochum und ist heute nicht im Betrieb in Düsseldorf. Schon sein Vater hat bei Krupp gelernt, und so hatte auch Jörg Braun dort seine Ausbildung gemacht. Derzeit ist er Vize-Betriebsratsvorsitzender von ThyssenKrupp Nirosta in Düsseldorf-Benrath, es ist seine fünfte Amtszeit. Er ist mit Leib und Seele Betriebsrat und hätte sich gut vorstellen können, das bis zur Rente zu machen. Aber der Standort wird 2016 geschlossen und die Produktion nach Krefeld verlagert, obwohl Nirosta in Benrath wirtschaftlich glänzend dasteht. Belegschaft und Betriebsrat haben mit aller Kraft versucht, die Schließung abzuwenden. Das ist nicht gelungen, aber sie konnten erreichen, dass alle Beschäftigten innerhalb des ThyssenKrupp-Konzerns neue Arbeit bekommen, auch Jörg Braun.

Maschinenschlosser ist sein Beruf, Betriebsrat seine Berufung, geprägt hat ihn der Arbeitskampf in Rheinhausen Mitte der 80er, er stand auch an der Spitze der Auszubildendenvertretung. Seit 2009 ist Jörg Braun freigestellt, "aber tatsächlich an der Schüppe bin ich seit 20 Jahren nicht mehr", sagt Braun, der "auch wieder als Schlosser arbeiten würde, wenn es sonst nichts gäbe".

Viele Weiterbildungen hat er gemacht, ist im Betriebsrat zuständig für Arbeitssicherheit und Bildung. Zu seinen Kompetenzbereichen zählt er "Organisation, Projektmanagement und Innovation". Eine Zeit lang habe er sich keine Gedanken über eine Perspektive außerhalb des Mandats gemacht. Das hat sich geändert. Er studiert nun - auch in Fortsetzung seiner Betriebsratsarbeit. Das Weiterbildungsstudium hatte er bereits geplant, als von einer Werksschließung noch keine Rede war. "Aus der Kür wird nun eine Pflicht", sagt Jörg Braun. 48 Jahre wird er sein, wenn der Standort Benrath dichtmacht.

UNGEWOHNTES GELÄNDE_ Im mittleren Alter sind auch Jörg Brauns Kommilitonen, zwei Betriebsrätinnen und neun Betriebsräte, die am ersten Studientag Anfang Februar erwartungsvoll im Seminargebäude TZR der Ruhr-Universität Bochum sitzen. Einer ist Betriebsrat bei einem Automobilzulieferer, ein anderer bei einem Küchenhersteller, einer kommt aus einem Aluminiumwerk, eine Betriebsrätin von einem Stahlverarbeiter. Alle sind freigestellt, viele führen BR-Gremien. Einer hatte sich zunächst auf dem unübersichtlichen Hochschulgelände verirrt und öffnet mitten in der Vorstellungsrunde erleichtert die Tür zum Seminarraum. Reihum berichten die Betriebsräte, was sie von dem Studium erwarten. "Mehr Augenhöhe mit der Unternehmensleitung" gehört bei fast allen zum erklärten Studienziel. Viele wünschen sich auch eine persönliche Weiterentwicklung, einige suchen nach einer beruflichen Perspektive, weil, ähnlich wie bei Jörg Braun, unklar ist, wie es in ihrem Betrieb weitergeht. Ein Betriebsrat von Siemens erzählt, dass die Anforderungen an seine Arbeit deutlich gestiegen sind. Da nicken die Kollegen. Gleichzeitig wächst die Unsicherheit, weil ein Betriebsratsamt nicht selten ein Amt auf Zeit ist. Wer aber einige Jahre freigestellt ist, verpasst häufig den beruflichen Anschluss. Mehrere berichten von massivem Arbeitsplatzabbau in ihrer Firma. Sie wollen sich wappnen vor allem für die hohen Anforderungen der Betriebsratsarbeit, aber auch für die Zeit danach.

"Gerade diejenigen, die sich intensiv engagieren, denken zuletzt an sich selbst", weiß Elisabeth Becker-Töpfer vom DGB-Bildungswerk Nordrhein-Westfalen. Sie hat das Studium für Betriebsräte konzipiert, "als Angebot, sich für das Amt zu qualifizieren als auch für die Zeit nach ihrer Freistellung". Der Studiengang erstreckt sich über 20 Monate und heißt "Innovation durch Mitbestimmung". In Modulen von zweieinhalb Tagen drücken die Betriebsräte die Seminarbank und lernen Leitungskompetenz und Verhandlungsführung, Unternehmensrechnung, Kreativität und Managementtechniken. Das steht alles ausführlich in den Mappen, die am ersten Studientag vor den Studierenden auf den Tischen liegen.

"FIT FÜR DEN VORSITZ"_ Becker-Töpfer hat mit der Akademie der Ruhr-Universität und der Gemeinsamen Arbeitsstelle Ruhr-Universität/IG Metall zwei Kooperationspartner für die fachliche Betreuung mit ins Boot geholt. Das jetzt aufgelegte Weiterbildungsstudium - zwei andere gibt es schon seit 2005 - ist Bestandteil des IG-Metall-Programms "Fit für den Vorsitz", das die IG-Metall-Bezirksleitung 2006 in NRW initiiert hat. Dort geht es im Seminar "Einmal Betriebsrat, immer Betriebsrat?" um oft tabuisierte Themen wie die berufliche und finanzielle Situation freigestellter Betriebsratsmitglieder. Kooperationspartner Manfred Wannöffel von der ,Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IGM' verweist beim Studienauftakt auf die enorme Ausweitung der Regelungskompetenzen der Betriebsräte im Zuge der "Besser statt billiger"-Kampagne. "Wir können nicht auf billig setzen, sondern vielmehr auf Bildung", sagt Wannöffel.

Das gewerkschaftlich initiierte Weiterbildungsstudium umfasst sieben Module, eine abschließende Studienarbeit und die Möglichkeiten zu intensiven Expertengesprächen bei drei Kaminabenden. Elisabeth Becker-Töpfer möchte die Betriebsräte auch persönlich begleiten. Und hat dabei auch Leute wie Jörg Braun im Blick. Der will mit dem Studium die Arbeit im Betriebsrat noch effektiver gestalten und gleichzeitig ein Zertifikat erwerben, das seine Kompetenzen sichtbar macht. Die Zukunft ist offen: Er könnte auch erneut am neuen Standort in Krefeld als Betriebsrat kandidieren oder vielleicht im Bereich Bildung und Weiterbildung arbeiten. Wichtig ist ihm, "nicht unterfordert" zu sein. Diese individuellen Berufslaufbahn-Perspektiven von Betriebsräten sind in den BR-Gremien häufig ein Tabuthema. Das ist in Benrath anders. "Wir haben ein großes Vertrauensverhältnis untereinander", sagt Braun. Vor Veränderung hat er keine Angst, "nur Respekt". Als er und seine neuen Mitstudenten am Ende des ersten Studientages über den Campus zum Essen gehen, bewegen sich die Betriebsräte schon sehr vertraut in der neuen Uni-Umgebung. Schließlich geht es in der Mensa nicht viel anders zu als in einer großen Betriebskantine.

Wachsende Lust am Lernen  (pdf) - eine Böckler-Studie hat die Berufslaufbahnen von Betriebsräten untersucht

Infos zu den Studiengängen für Betriebsräte (pdf)

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