zurück
Magazin Mitbestimmung

Interview: "Betriebsräte brauchen zwingende Rechte"

Ausgabe 09/2013

IG-BCE-Gewerkschafterin Yasmin Fahimi erklärt, warum es bei der Bundestagswahl auch um eine Reform der betrieblichen Mitbestimmung geht. Das Gespräch führte Joachim F. Tornau

Frau Fahimi, vor zwölf Jahren wurde das Betriebsverfassungsgesetz durch die rot-grüne Koalition zuletzt modernisiert. Anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl hat die IG BCE nun die Debatte um eine neuerliche Reform der betrieblichen Mitbestimmung angestoßen. Warum?

Die Arbeitswelt hat sich massiv verändert. Fremdbeschäftigung – zunächst per Leiharbeit, jetzt immer häufiger auch über Werkverträge – hat in den Betrieben enorm zugenommen und die Stammbelegschaften unter Druck gesetzt. Auch die Befristung von Arbeitsverhältnissen ist ausgeufert. Das ist das eine. Das andere ist die steigende Zahl psychischer Erkrankungen, weil viele Beschäftigte durch die extreme Zunahme von Leistungsverdichtungsprozessen überfordert sind. Wegen des demografischen Wandels, der zu einer längeren Lebensarbeitszeit führen wird, droht sich dieses Problem künftig noch weiter zu verschärfen. All das hat es vor zwölf Jahren in dieser Dimension noch nicht gegeben.

Was müsste sich Ihrer Ansicht nach ändern, damit Betriebsräte auf diese neuen Herausforderungen reagieren können?

Betriebsräte brauchen ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei jeglicher Form von Fremdbeschäftigung. Nur mit einer solchen allgemeinen Regelung können wir vom ständigen Hinterherlaufen wegkommen: Wenn wir die Leiharbeit regulieren, dann kommen die Werkverträge. Und danach kommt vielleicht irgendein neues vertragliches Konstrukt. Wir wollen, dass sich die Betriebsparteien darüber verständigen müssen, wie viel Fremdbeschäftigung wirklich notwendig und sinnvoll ist im Verhältnis zur Stammbelegschaft. Es geht uns nicht darum, Fremdbeschäftigung ganz zu verbieten: Den flexiblen Anforderungen einer globalisierten Industrie verweigern wir uns nicht. Es geht darum, Missbrauch und das Unterlaufen von Tarifverträgen zu verhindern.

Und wie könnte der Schutz vor Leistungsdruck und Überlastung Eingang ins Betriebsverfassungsgesetz finden?

Das Thema ist uns fast noch wichtiger als die Fremdbeschäftigung – weil es die Belegschaften in der ganzen Breite betrifft. Heute müssen wir uns nicht mehr nur darum sorgen, dass Beschäftigte, die am Ende ihrer Erwerbsbiografie stehen, gesund in Rente gehen können. Sondern es klappen uns auch die Jüngeren zusammen, weil sie dem Leistungsdruck nicht mehr standhalten. Das Prinzip der Gesundheitsprävention muss darum künftig stärker die Betriebsratsarbeit prägen. Wir fordern, dass der langfristige Erhalt der Arbeitsfähigkeit in den Aufgabenkatalog des Betriebsrats aufgenommen wird. Außerdem brauchen Betriebsräte ein Initiativrecht, um frühzeitig Gefahren von Leistungsverdichtung abwehren zu können.

Wie könnte das konkret aussehen?

Bei der Um- oder Restrukturierung eines Unternehmens beispielsweise könnte der Betriebsrat prüfen, inwieweit ein Anstieg der Arbeitsverdichtung zu befürchten ist, und dann Maßnahmen zu Abwendung, Milderung oder Ausgleich der Belastung verlangen. Eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über die nötigen Schritte muss erzwingbar sein, notfalls durch Anrufung der Einigungsstelle – weil wir leider die Erfahrung gemacht haben, dass die Arbeitgeber die Bedeutung dieses Themas noch nicht ausreichend erkannt haben.

Bei all diesen Herausforderungen der modernen Arbeitswelt könnte man – und viele in den Gewerkschaften tun das ja auch – nach stärkerer gesetzlicher Regulierung rufen. Warum setzen Sie stattdessen zuallererst auf mehr Einfluss für Betriebsräte?

Eine Anti-Stress-Verordnung, wie sie die IG Metall ausgearbeitet hat, finden wir sehr gut. Wir glauben nur nicht, dass das das allein helfende Mittel ist. Das wäre ja nur so etwas wie eine Prüfliste, die man durchgehen kann. Wir wollen aber den Dialog über konkrete betriebliche Maßnahmen. Das Betriebsverfassungsgesetz ist für uns nach wie vor das Zentrum der demokratischen Gestaltung von Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnissen. Das muss man erst einmal stabilisieren. Eine Anti-Stress-Verordnung zu erlassen widerspricht dem dann nicht. Sie ist eine sinnvolle Ergänzung. So wie andere Anpassungen auch.

An welche gesetzlichen Anpassungen denken Sie?

Drei Dinge: Im Arbeitsschutzgesetz sollte das Thema der psychischen Belastungen stärker ausgebaut werden. Im Teilzeit- und Befristungsgesetz sollten Befristungen wieder auf maximal 24 Monate begrenzt und ohne Sachgrund gänzlich verboten werden. Und wir fordern eine Änderung des Handelsbilanzgesetzes, damit Fremdbeschäftigte endlich genauso in den Bilanzen auftauchen wie Festangestellte. Dass Unternehmen ihren Personalaufwand schönrechnen können, weil die Ausgaben für Fremdbeschäftigte bislang nur versteckt als Sachkosten auftauchen, halten wir für völlig abstrus.

Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Jahr zwei viel beachtete Entscheidungen zur Leiharbeit gefällt: Leiharbeitnehmer zählen mit, wenn die Größe der Belegschaft und damit die des Betriebsrats bestimmt wird. Und: Wenn Leiharbeiter unbefristet eingestellt werden sollen, hat der Betriebsrat ein Vetorecht. Haben die Richter Ihnen damit nicht ein wenig die Luft aus den Forderungen gelassen?

Der Gesetzgeber muss sich langsam schämen, dass er sich von den Gerichten immer wieder erklären lassen muss, was notwendige und sinnvolle Maßnahmen sind. Unsere Forderungen erübrigen sich dadurch nicht, sondern werden eher noch beflügelt – und könnten eigentlich auch umso unverkrampfter von den Parteien aufgenommen werden.

Werden sie das denn?

Wir hatten unsere Forderungen an alle Parteien geschickt mit der Bitte, sie ins Wahlprogramm aufzunehmen. Und das haben zumindest SPD und Grüne getan – weitestgehend. Bei der Linkspartei stehen dagegen nur sehr allgemeine Sätze im Programm. Und von CDU und FDP haben wir zu dem Thema nichts gehört oder gelesen.

Für wie groß halten Sie die Chance, dass Ihre Forderungen nach der Bundestagswahl Realität werden?

Ich gebe keine Wahlprognosen ab. Ganz allgemein versprechen wir uns natürlich nicht, dass die FDP durch ein Bad der Erkenntnis geht. Damit gibt es erst einmal zwei relevante Parteien, die unsere Forderungen unterstützen und die entweder miteinander oder auch mit der CDU koalieren könnten. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederum hat sich – Stichwort Mietpreisbremse und Mindestlohn – zuletzt ja durchaus offen für Ideen aus anderen politischen Lagern gezeigt. Auch da könnte man also noch einmal anklopfen. Was spräche dagegen, sich als große bürgerliche Volkspartei einem Begehren der Gewerkschaften anzunähern? Trotzdem: Ich würde eine der Parteien wählen, die unser Anliegen offensiv vertritt und nicht nur nicht Nein dazu sagt. Das ist für mich glaubwürdiger.

Zur Person

Yasmin Fahimi, 45, leitet das Ressort „Politische Planung“ beim Hauptvorstand der IG BCE und ist unter anderem verantwortlich für die Kampagne „Gute Arbeit“. Außerdem sitzt die Diplomchemikerin im Vorstand des „Denkwerks Demokratie“, eines 2011 gegründeten Thinktanks, dem Vertreter von SPD, Grünen, Gewerkschaften, Umweltverbänden sowie der Hans-Böckler-Stiftung angehören.

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen