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Magazin Mitbestimmung

: Besorgte Arbeitgeber

Ausgabe 04/2008

TARIFAUTONOMIE Wenn die Arbeitgeberverbände die Alleingänge der Spezialgewerkschaften zurückweisen, fürchten sie vor allem eins: Dass der Funke überspringen und die Löhne nach oben treiben könnte.

Von Jonas Viering, Journalist in Berlin

Die Arbeitgeber sind ein wenig in Sorge. Nicht auf die altbekannte Art, bei der sich beschlipste Herren hinstellen, routiniert die Stirn in Falten legen und die üblichen Textbausteine von Mäßigung und Standortsicherung aus dem Mund purzeln lassen. Nein, sie sind in echter Sorge, auch wenn diese weit entfernt ist von Angst oder gar Panik. Es ist die Art Sorge, die zum Abfassen streng vertraulicher interner Papiere führt und zu Beschlüssen wie dem der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände im vergangenen Herbst.

IRONIE DER GESCHICHTE_ Vom "Erpressungspotenzial kleiner Spartengewerkschaften" ist da die Rede und von der "Gefahr einer möglichen Erosion der Flächentarifverträge". Verblüffend gewerkschaftlich klingt das. Tatsächlich sehen nicht wenige Arbeitgebervertreter in der Abneigung gegen die neuen Kleingewerkschaften von Lokführern, Piloten, Ärzten eine gewisse Schnittmenge mit den DGB-Organisationen. Es ist eine Zweckallianz, getrieben von zwei sehr unterschiedlichen Gruppen-Egoismen.

Die Arbeitgeber wollen Ruhe in den Betrieben, die Einheitsgewerkschafter wollen sich Wettbewerber vom Hals halten. Dahinter steht eine hübsche Ironie: In den vergangenen Jahren haben immer wieder Unternehmensführer auf dem angeblich altmodischen Flächentarif herumgehackt und die Altgewerkschaften wegen ihres Mitgliederschwunds verspottet, haben mehr Spreizung im Lohnsystem gefordert und betriebsnahe Tarifvereinbarungen.

Und kaum machen einige Tausend Bahnbedienstete Ernst damit, sprengen den Flächentarif und erstreiken für ihre kleine Berufsgruppe im Betrieb saftige Lohnerhöhungen, kaum wird hier aus einigen Einzelereignissen so etwas wie ein Trend, zeigen sich die Arbeitgeber bestürzt. Von "Elitegewerkschaften" redet da in den Verbänden mancher, sachlich korrekt, aber mit abfälligem Unterton. Dabei galten in Unternehmerkreisen Eliten doch immer als was Gutes - solange es sich nicht um renitente Spezialarbeitnehmer handelte.

DIFFERENZIERUNG ZEIGT WIRKUNG_ Dennoch ist das Ganze keine Lachnummer, sondern ein Lernprozess. Verlässliche Gewerkschaften, die schon aufgrund der Bandbreite der von ihnen vertretenen Arbeitnehmergruppen in ganz unterschiedlichen Betrieben stets die Notwendigkeit von Kompromissen im Tarifgeschäft sehen, sind für Arbeitgeber etwas wert. Und das gilt auch für den Flächentarif. Die traditionellen Arbeitgeberverbände selbst haben derlei mehr oder weniger laut schon immer gesagt, es waren bekanntlich zumeist andere Wirtschaftslobbyisten, die am schärfsten das Tarifsystem attackierten.

Ganz ohne Grund taten sie dies allerdings nicht, solange die Tarifabschlüsse für blühende und darbende Unternehmen identische Vorgaben machten. So ist die von Gewerkschaften wie der IG Metall nach einigem Zögern selbst mit vorangetriebene Differenzierung der Tarifverträge für die inzwischen wieder deutlich freundlichere Einschätzung des Systems durch die Unternehmer noch wichtiger als der aktuelle Trend zu den kämpferischen Berufsorganisationen. Der Lernprozess von Gewerkschaften wie der IG Metall war die Voraussetzung für den Lernprozess der Arbeitgeber.

Sorge bereiten den Arbeitgebern weniger die wenigen zehntausend Mitglieder der Kleingewerkschaften selbst als die von ihnen ausgelösten Folgeeffekte. "Wenn der Marburger Bund für die Ärzte zweistellig abschließt, dann weckt das Begehrlichkeiten bei ver.di", so sagt es der sich intensiv mit dem Phänomen befassende Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft, der Forschungseinrichtung der Unternehmensverbände. Das klingt fast banal, ist in der Konsequenz aber fatal. Die Arbeitgeber fürchten eine "Überbietungskonkurrenz", dieses Stichwort ist Standard in den Verbänden. Hier und da ist auch zu hören, die Kleingewerkschaften blieben ja nicht klein.

Tatsächlich nehmen die Lokomotivführer auch Zugbegleiter und sogar Straßenbahnfahrer auf. Allerdings wird mit solchem Wachstum der Vorteil der Spartengewerkschaften kleiner, nämlich dass sie eine in ihren Interessen homogene, leicht zu organisierende, durch ihre Tätigkeit in Schlüsselpositionen schlagkräftige Truppe sind. Genau diese Eigenschaften stellen eigentlich auch die Arbeitgeber in ihren Analysen heraus. Und einen zweiten Faktor sehen sie: Kleingewerkschaften entstehen dort, wo Großgewerkschaften für wenig tarifliche Differenzierung gesorgt haben. Wo also das Tarifsystem nicht flexibel genug funktioniert hat.

MEHR LEISTUNGSGERECHTIGKEIT_ Tatsächlich ist das Aufkommen der Kleingewerkschaften nicht der Stichelei mancher Arbeitgeber gegen Einheitsgewerkschaft und Flächentarif zuzuschreiben. Ursache ist vielmehr, zum einen, das Versagen der DGB-Organisationen mit ihrem Alleinvertretungsanspruch. Dieser war nicht immer frei von Ignoranz. Zum anderen wandelt sich der gesellschaftliche Gerechtigkeitsbegriff. Neben die auf Gleichheit orientierte Gerechtigkeit, von den Gewerkschaften lange Zeit durch überproportionale Lohnerhöhungen für die unteren Beschäftigtengruppen umgesetzt, ist die Leistungsgerechtigkeit getreten.

"Qualifizierte Arbeit ist immer weniger bereit, einfache Arbeit zu subventionieren", so drückt es der Würzburger Ökonom Norbert Berthold aus, der im Unternehmerlager Beachtung findet. Die Arbeitgeber versuchen, hier an mehreren Punkten einzuhaken. Ideologisch könnte ihnen die Veränderung des Gerechtigkeitsbegriffs gefallen, aber darum geht es ihnen nicht. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser setzt strategisch den Begriff der betrieblichen "Leistungsgemeinschaft" ein: Nur gemeinsam schaffen die einen und die anderen im Unternehmen den Erfolg, die als potenzielle Gewerkschaftsgründer gefürchteten Ingenieure und die Produktionsarbeiter.

Dies verschleiert, dass Arbeiter leichter zu ersetzen sind, durch andere Arbeiter oder durch Maschinen. Trotzdem stimmt es: Überfordert eine Gruppe mit ihren Forderungen das Unternehmen, so leiden am Ende alle. Auch der liberale Ökonom Berthold sieht eine mögliche betriebliche Solidarisierung von Kapital und Arbeit durch den Wettbewerbsdruck von außen, vom Markt. Ein interessantes Szenario - das aber nicht vergessen lassen darf, dass dies eine Solidarisierung unter Ungleichen wäre. Der Faktor Kapital ist im Zweifel weltweit mobil, ganz anders als die allermeisten deutschen Arbeitnehmer.

Zwei weitere Punkte gehören zu den strategischen Überlegungen der Arbeitgeber. Die Tarifverträge sollen möglichst viel Differenzierung für Betriebe und Beschäftigtengruppen bieten, um den Anreiz für Abspaltungen zu mindern. Notfalls aber soll der Gesetzgeber bei der Tarifeinheit und vielleicht gar beim Streikrecht kampflustigen Minderheiten in der Arbeitnehmerschaft engere Grenzen setzen. Das jedoch ist nicht nur rechtlich äußerst heikel, sondern wirft auch ein Glaubwürdigkeitsproblem auf.

ARBEITGEBERSEITIGER OPPORTUNISMUS_ "Sehr verwunderlich" sei es, mokiert sich da sogar der Münchner Arbeitsrechtler Volker Rieble, dessen Forschungszentrum immerhin von den Arbeitgebern mitfinanziert wird, dass Unternehmer fallweise mit Kleingewerkschaften paktieren - "und wenn diese bei anderer Gelegenheit unbequem werden, dann rufen sie auf einmal nach dem Gesetz". Er spielt damit auf die christlichen Gewerkschaften an, die trotz ihrer Winzigkeit bei den Arbeitgebern wohlgelitten sind, weil ihre Tarifverträge meist etwas billiger sind als die des DGB.

Extremfälle sind die bezeichnenderweise von Arbeitgeberseite als Erste verkündete Gründung einer Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste im Streit um den Mindestlohn bei der Post sowie die von Siemens skandalöserweise mitfinanzierte Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsräte, kurz AUB. Zwischen den Christengewerkschaften und den Spartengewerkschaften, so betonen Arbeitgebervertreter berechtigterweise, gibt es allerdings einen Unterschied. In einem Unternehmen oder einer Branche haben die christlichen Arbeitnehmervertreter durchaus den Anspruch, alle Beschäftigten zu vertreten - nicht nur eine einzelne Berufsgruppe.

Dennoch: Zwecks Herstellung der Ruhe im Betrieb im Kampf gegen die Spartengewerkschaften nach eben jenem Gesetzgeber zu rufen, den man doch sonst oft als allzu einmischungsfreudig gescholten hat, das beschädigt die Glaubwürdigkeit der Arbeitgeber. Sie können sich hier schwerlich als Sachwalter des Gemeinwohls auf eine höhere Legitimation berufen. Es geht den Arbeitgebern um Interessen, so wie es den Großgewerkschaften um Interessen geht - und den neuen Kleingewerkschaften auch.

Das ist nichts Schlimmes. Die Freiheit, sich im Wirtschaftsleben zwecks Interessenvertretung zusammenzuschließen, ist ein hohes Gut. Es gilt aber für alle. Deutlich zu machen, welche Interessen eher mit dem Gemeinwohl zu vereinbaren sind und welche nicht, das ist nun eine Aufgabe, die Großgewerkschaften und Arbeitgeber zusammenzwingt. Auch dies hat wieder eine schöne Ironie. Vor allem aber ist es rational. Und ist damit dann doch auch wieder ein Beleg für das Funktionieren des deutschen Tarifsystems.

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