Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Beliebtes Blockmodell
ALTERSTEILZEIT 2009 läuft die direkte staatliche finanzielle Förderung der Altersteilzeit aus. Gewerkschaften und SPD setzen alles daran, sie auch für die Zeit danach attraktiv zu gestalten.
Von DENNIS KREMER und KAY MEINERS
Ein zwanzigster Geburtstag sollte eigentlich Grund für eine Party sein. Seit 1989 gibt es gesetzliche Regelungen zur Altersteilzeit in Deutschland - nach anfänglich geringer Akzeptanz wurde sie dann doch eine kleine Erfolgsgeschichte: Waren im Jahr 2000 nur etwa drei Prozent aller Neurentner vorher in Altersteilzeit beschäftigt, stieg diese Zahl allein bis zum Jahr 2005 auf 14 Prozent an. Doch die Feier zum Zwanzigsten, die im kommenden Jahr eigentlich anstünde, wird wohl ausfallen.
Denn ab dem 31. Dezember 2009 gewährt der Staat keine neuen Finanzhilfen für die Altersteilzeit mehr - das Instrument gilt als teuer und anfällig für Fehlanreize. Die Entscheidung fiel gegen den Protest der Gewerkschaften. Vergeblich hatten sie protestiert und protestieren immer noch. Doch all denen, die 2010 und später an die Tür klopfen, gewährt der Staat lediglich noch Beitrags- und Steuerprivilegien auf Aufstockungen, die der Arbeitgeber bei reduzierter Arbeitszeit zahlt. Ein Referentenentwurf hatte vorgesehen, auch diese Privilegien arg zu beschneiden - jetzt bleibt hier alles beim Alten.
Nach einer Änderung des Altersteilzeitgesetzes wird nun durch das Jahressteuergesetz 2008 gewährleistet, dass Aufstockungsbeiträge auch dann noch steuer- und beitragsbefreit bleiben, wenn die Altersteilzeit nach 2010 beginnt und nicht mehr von der Bundesagentur gefördert wird. Auch das ist wohl den massiven Interventionen durch die SPD und die Gewerkschaften zu verdanken - so hatte etwa der SPD-Politiker Klaus Brandner klargestellt: "Die Altersteilzeit ist für die SPD ein zentraler Baustein in einem Gesamtkonzept zu alternsgerechtem Arbeiten."
Nur war die Altersteilzeit in der Vergangenheit eben oft genug auch ein Vertrag zu Lasten Dritter - der Sozialkassen. "Das große Problem der bisherigen Regelung ist, dass die Allgemeinheit den Unternehmen eine gute soziale Absicherung ihrer Mitarbeiter finanziert", sagt Hartmut Klein-Schneider, Referatleiter in der Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. Eine Reform war daher unumgänglich. Doch wie genau es weitergehen wird, das zeichnet sich erst in groben Umrissen ab.
ES DROHT STREIT UMS GELD_ Bei der Entscheidung über ein neues Modell werde es auch um eine neue Kostenverteilung zwischen Unternehmen, Beschäftigten und der Sozialpolitik gehen, prognostiziert Sebastian Brandl, Referatsleiter in der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. Denn seit das Jahr 2009 in greifbare Nähe rückt, wird hinter den Kulissen versucht, die Lasten zwischen Unternehmen, Beschäftigten und dem Staat neu zu justieren.
Es soll gerettet werden, was zu retten ist. "Wir brauchen eine Nachfolgereglung zur Altersteilzeit, wenn diese 2009 ausläuft", fordert etwa der baden-württembergische IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann. Vor Journalisten untermauerte er in Stuttgart die Forderungen an den Gesetzgeber mit seinen Erfahrungen aus der Metall- und Elektroindustrie: "Gerade vor dem Hintergrund der Rente mit 67 ist es vielen unmöglich, unter den herrschenden Arbeitsbedingungen bis zur Rente im Betrieb zu bleiben." Nicht nur das: Der in einigen Tarifverträgen verankerte Rechtsanspruch auf Alterszeitzeit ab 62 würde leer laufen, wo er fest an eine Förderung durch die Bundesagentur gekoppelt ist.
Derzeit gilt: Wer in Altersteilzeit geht, absolviert nur noch die Hälfte seiner bisherigen Arbeitszeit. Sein Einkommen halbiert sich ebenfalls, aber der Arbeitgeber stockt den Lohn auf - der zusätzliche Betrag ist steuer- und abgabenfrei. Bessert der Arbeitgeber das Gehalt auf mindestens 70 Prozent des vorherigen Einkommens und die Rentenbeiträge auf mindestens 80 Prozent auf, übernimmt die Bundesagentur für maximal sechs Jahre die Kosten dieser Aufstockung - sofern der Betrieb als Gegenleistung einen Arbeitslosen einstellt oder einen Auszubildenden übernimmt. Beschäftigte, die im Jahr 1955 oder später geboren wurden, erhalten jedoch keine BA-Förderung mehr, da Altersteilzeit frühestens mit 55 Jahren möglich ist.
Doch faktisch finanziert schon heute die Mehrzahl der Unternehmen die Altersteilzeit ohne Zuwendungen des Staates. Der Grund: Viele Arbeitgeber erfüllen die Hauptbedingung für den staatlichen Zuschuss nicht und besetzen nur rund ein Drittel der Stellen, die durch Altersteilzeit frei werden, mit Arbeitslosen oder Auszubildenden. Für die anderen zwei Drittel gibt es kein Geld aus Nürnberg - die Firmen stocken dennoch das Einkommen ihrer Beschäftigten in Altersteilzeit auf, da sie ein Eigeninteresse an der Altersteilzeit haben.
Ein Ende des Modells ist also trotz der auslaufenden Förderung nicht zu erwarten. "Es gibt, wie die hohe Zahl nicht geförderter Altersteilzeit-Fälle zeigt, bei den Betrieben eine hohe Bereitschaft, Altersteilzeit anzubieten", sagt Sebastian Brandl. Auch Christian Rolfs, Jura-Professor an der Universität Bielefeld, stellt in einem Rechtsgutachten für die Hans-Böckler-Stiftung fest: "Es kann davon ausgegangen werden, dass die fehlende Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit jedenfalls nicht zu einem völligen Auslaufen der Altersteilzeit führen wird."
SORGEN UM DIE GESUNDHEIT_ Nicht nur bei der Finanzierung werden derzeit die Karten neu gemischt. Auch über neue Formen der Altersteilzeit wird nachgedacht - ohne dass man weiß, wie diese von den Beschäftigten angenommen werden. Denn heute führt das Wort "Altersteilzeit" eher in die Irre - nur rund zehn Prozent der Beschäftigten nutzen sie auf klassische Weise, indem sie die Arbeitszeit auf die Hälfte reduzieren - die übrigen entscheiden sich für das so genannte Blockmodell - Normalarbeit mit einer anschließenden Freistellungsphase.
Das entsprach häufig auch den Interessen der Beschäftigten - jedenfalls unter den gegenwärtigen Bedingungen. "Viele machen es so, weil sie früher in Ruhestand gehen wollen", sagt Hartmut Klein-Schneider. Doch während die Alterteilzeit früher überwiegend zur Frühverrentung und zur Verjüngung der Belegschaft eingesetzt wurde, wird es in Zukunft stärker darum gehen, die Beschäftigten länger im Betrieb zu halten. Ob das gelingt, muss sich aber erst noch erweisen. Viele Experten haben Zweifel, ob die alten Rezepte noch tragen, wenn die Menschen älter werden.
Sie fordern neue Modelle, zum Beispiel solche mit ganzen freien Tagen, flexiblere Lösungen für den Renteneintritt, die allen Betroffenen gleichermaßen offenstehen. Das war in der Vergangenheit nicht so: "Gerade schlecht geführte Unternehmen, die niedrige Löhne zahlen und bei denen ein hohes Kündigungsrisiko besteht, bieten ihren Mitarbeitern keine Altersteilzeit an", erklärt Klein-Schneider.
Er sorgt sich aber auch um die Gesundheit. "Für stark belastete Personen wie beispielsweise Schichtarbeiter wird es äußerst schwierig werden, mit 60 oder gar 67 Jahren noch zu arbeiten", sagt Klein-Schneider. Auch sein Kollege Brandl befürchtet, dass in Zukunft mehr Menschen in schlechterem Gesundheitszustand in Rente gehen werden als bisher, sofern sich die Arbeitsbedingungen gegenüber heute nicht deutlich verbessern werden.
NEUE IDEEN_ Die Konzepte für die Zeit nach 2009 müssen sich also nicht nur auf neue Finanzierungsmodelle einstellen, sie müssen auch der Überlegung Rechnung tragen, Beschäftigte länger in den Betrieben zu halten und die Gesundheit effektiver zu fördern als heute. "Noch weit bis ins nächste Jahrzehnt werden viele Beschäftigte von der auslaufenden Regelung profitieren", erklärt Sebastian Brandl, "was danach kommt, lässt sich noch nicht völlig vorhersagen." Viele Experten propagieren daher weiter den sanften Übergang statt des frühestmöglichen Ausscheidens.
Der sanftere Übergang bedeutet aber einen höheren organisatorischen Aufwand - besonders gut organisieren lässt sich dieses Modell bei Unternehmen, deren Mitarbeiter im Schichtdienst schuften. Die Teilzeitler absolvieren dann zwar weiterhin eine volle Schicht, arbeiten aber insgesamt an weniger Schichten im Monat. Es seien zwei Dinge, so Brandl, die diese "echte Altersteilzeit" auszeichnen: Zum einen haben die Beschäftigten durch die Reduzierung der Belastungen voraussichtlich weniger Gesundheitsprobleme. Zum anderen verlieren die Betriebe das Know-how der Älteren nicht von heute auf morgen - die Älteren können ihr Wissen an jüngere Mitarbeiter weitergeben.
Um den Übergang zwischen Erwerbsleben und Rente vor allem für die Beschäftigten besser zu gestalten, hält Sebastian Brandl es für sinnvoll, auch eine Kombination der Modelle zuzulassen: "Die Beschäftigten könnten beispielsweise nur einen Teil der Altersteilzeit nach dem Blockmodell und die verbleibenden Jahre in echter Teilzeit arbeiten." Das lässt, wie der Kölner Jura-Professor Peter Hanau betont, schon die heutige Gesetzeslage zu.
TEILRENTE ODER AUTONOME LÖSUNGEN?_ Nach Meinung von Christian Rolfs, Professor an der Universität Bielefeld, könnte auch ein bisher wenig genutztes Konzept einen gleitenden Übergang zwischen Arbeitsleben und Ruhestand ermöglichen: Er plädiert in einem Rechtsgutachten für die Hans-Böckler-Stiftung für eine gesetzliche Umgestaltung der sogenannten Teilrente - bislang ein reines Sanktionsinstrument, das vorzeitige Rentenauszahlungen einschränkt, wenn Ruheständler eine bestimmte Grenze an Hinzuverdienst überschreiten. Rolfs will die Teilrente hingegen zur Förderung des sanften Ausgleitens aus dem Beruf nutzen.
Sein Konzept sieht vor, dass Beschäftigte ab einem Alter von 58 Jahren in Teilrente gehen können. Das bedeutet: Sie reduzieren ihre Arbeitszeit beispielsweise um die Hälfte und erhalten dafür die Hälfte ihres bisherigen Lohnes. Zusätzlich zahlt die Rentenkasse ihnen aber bereits rund 22,5 Prozent der Vollrente aus - diese Prozentzahl ergibt sich aus einem Drittel des eigentlichen Rentenanspruches abzüglich der Abschläge, die der Teilrentner hinnehmen muss, weil er neun Jahre vor dem eigentlichen Rentenbeginn mit 67 Jahren schon Auszahlungen erhält.
Rolfs geht davon aus, dass sein Vorschlag aufgrund der Abschläge nicht zu Mehrbelastungen für die Rentenkasse führt. Die Veränderungen bei der Teilrente sind aus seiner Sicht dringend nötig: "Das derzeitige System der gesetzlichen Rentenversicherung ist auf einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand nicht hinreichend vorbereitet." In der Diskussion um die Zukunft der Altersteilzeit muss nach Ansicht vieler Experten jedoch vor allem ein Thema ganz oben auf der Tagesordnung stehen: die Finanzierung.
Wenn schon die Bundesagentur die direkte finanzielle Unterstützung einstellt, sind verbleibende Förderwege umso wichtiger und müssen rechtlich abgesichert werden. Denn nur so eröffnen sich genügend große Spielräume für tarifliche, betriebliche und einzelvertragliche Lösungen. Der Kölner Jura-Professor Peter Hanau geht davon aus, dass die Tarifparteien auch ohne eine gesetzliche Neuregelung Vereinbarungen treffen werden, dann aber unter Verzicht auf die aktive Zuschussregelung der Bundesagentur.
LITERATUR
Zwei aktuelle Gutachten zum Altersübergang, die die Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben hat, liegen jetzt vereint in einem Arbeitspapier vor. Der Jurist Peter Hanau befasst sich in seinem Text ausführlich mit betrieblichen, tariflichen und einzelvertraglichen Regelungen vor dem Hintergrund der neuen Gesetzeslage, sein Kollege Christian Rolfs spielt verschiedene Modelle für mögliche gesetzliche Regelungen durch:
DIE GESTALTUNG DES ÜBERGANGS IN DEN RUHESTAND. Arbeitspapier Nr. 156 der Hans-Böckler-Stiftung. Zu beziehen über www.boeckler.de oder mit Angabe der Bestell-Nummer 11156 bei:
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