Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Auf einmal Mitarbeiter zweiter Klasse
MITBESTIMMUNG Wie der Betriebsrat am Uniklinikum Frankfurt das Wahlrecht für Leiharbeiter erkämpft. Von Katja Schmidt
Katja Schmidt ist Journalistin in Kassel./Foto: Alexander Paul Englert
Am Anfang stand die Empörung. Für Uwe Richtmann und Monika Guillermo-Jaco liefen 2006 ihre befristeten Arbeitsverträge mit dem Universitätsklinikum Frankfurt aus. Auch Frank Bunge ging es irgendwann so. Der EDV-Fachmann, die Sekretärin und der OP-Pfleger sollten dann zwar weiter im Uni-Krankenhaus arbeiten. Doch Verträge wurden ihnen nur noch mit der Rhein-Main Personalservice GmbH (RMPS) angeboten, einer Leiharbeitsfirma, die das Klinikum 2005 selbst gegründet hatte.
"Meine E-Mail-Adresse, meine Telefonnummer - alles war gleich, aber ich war jetzt bei der Leiharbeitsfirma", beschreibt Richtmann, ein schmaler 51-Jähriger mit ver.di-Anstecker in der Knopfleiste des schwarzen Hemdes: "Die Klinikleitung gab uns das Gefühl: Wir sind zufrieden mit dir, du kannst weiterarbeiten, aber 42 statt 38,5 Stunden, und du kriegst weniger Geld."
Die Bilanz-Prosa des Klinikums nennt diese Vorgänge im Jahresbericht 2006 "Reorganisation" und "Verschiebung von Personalkapazitäten". Verschoben wurden Beschäftigte verschiedenster Bereiche. Mit wirklich anderen Chefs hatten sie es deshalb nicht unbedingt zu tun: Die Personalverwaltung der RMPS ist in das Personaldezernat des Klinikums integriert, der Dezernent in Personalunion Geschäftsführer der GmbH.
Richtmann, Bunge und Guillermo-Jaco fanden vieles ungerecht, was da lief. Diese Überzeugung brachte die unterschiedlichsten Charaktere zusammen, um einen Betriebsrat zu gründen und für die Rechte der neuen Leiharbeiter einzutreten, berichten sie. Drei davon waren sie. Ihr politisches Ziel ist dabei bis heute gleich geblieben: Wer im Klinikum arbeitet, soll auch wieder dort angestellt sein - und nicht in der Leiharbeitsfirma.
Einen kleinen mitbestimmungspolitischen Sieg haben sie kürzlich errungen: Hessens oberste Verwaltungsrichter haben klargestellt, dass auch die Leiharbeiter der RMPS vom Personalrat der Klinik mit vertreten werden. Das aktive und passive Wahlrecht zu dem Gremium stehe ihnen zu, wenn sie drei beziehungsweise sechs Monate in die Arbeitsorganisation eingegliedert waren. Und auch doppelte Ämter im Betriebs- und Personalrat sieht der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) nicht als Problem an (Aktenzeichen: 22 A 959/10.PV).
Der Fall, an dem sich der Streit um diese Fragen entzündet hatte, war der von Uwe Richtmann. Bis Mai 2010 war er Vorsitzender des von ihm mitgegründeten Betriebsrats in der Leiharbeitsfirma. Im November 2009 wurde er zusätzlich zum stellvertretenden Personalrat des Universitätsklinikums Frankfurt gewählt, was er - wie auch Frank Bunge - heute noch ist. Das Klinikum, das gegen seine Wahl vorgegangen war, will die jetzt vorliegende Gerichtsentscheidung akzeptieren. Allerdings hatten die Leiharbeiter ihre Mitbestimmung auf Klinikumsebene nicht nur gegen die Chefetage durchsetzen müssen. Nachdem sie erfolgreich eine Wahl anfochten, weil sie nicht hatten mitstimmen dürfen, dauerte es noch viele Monate bis der amtierende Personalrat den Weg für Neuwahlen frei machte.
Wenn Richtmann, Bunge und Guillermo-Jaco heute darüber reden, ist die Stimmung im Team noch spürbar. Richtmann mag der Vorsitzende gewesen sein. Doch die energische 55-jährige Sekretärin mit den langen blonden Haaren und der breitschultrige 45-jährige Krankenpfleger haben genauso viel dazu zu sagen. Im Betriebsrat war das auch Strategie: Nie sollte nur einer sprechen - damit niemand einsam in eine Ecke gedrängt werden konnte. "Wir waren so ein bisschen revoluzzermäßig", sagt Guillermo-Jaco über den Ruf, der dem jungen Gremium damals anhing. Im Schnelldurchlauf innerhalb von zwei Monaten hätten die Mitglieder damals je zwei Betriebsratsschulungen durchlaufen, erinnert sich Bunge. Mit dem Wissen wuchs das Selbstbewusstein - und der Eindruck, dass auch der Personalrat mehr für alle Mitarbeiter tun könnte.
Auskennen wollte sich das neue Gremium aber nicht nur in den Gesetzen - sondern auch im Betrieb. Arbeitsgruppen wurden gebildet. Sie sollten sich auch bei den Kolleginnen und Kollegen in der Küche und bei den Reinigern umschauen. Man sei auf Beschäftigte getroffen, die ihren Arbeitsvertrag nicht ausgehändigt bekommen, auf andere, die morgens auf über Nacht geänderte Schichtpläne stießen - und die es schwer hatten, ihre Rechte zu kennen, weil schon die deutsche Sprache eine Hürde war. Guillermo-Jaco sagt über ihre Erkundungen im Klinikum: "Was ich da erlebt habe, hätte ich nicht für möglich gehalten." Einige Mitarbeiter, denen die Betriebsräte helfen konnten, arbeiteten später im Gremium mit.
Die drei erfuhren aber auch, wie lückenhaft Solidarität sein kann. Bereits am eigenen Leib hatten sie erlebt, wie mancher Kollege ihren neuen Status und ihre längeren Arbeitszeiten sah: "Gestern war man noch Klinikkollege", beschreibt Bunge: "Heute ist man RMPS, und da heißt es: Frank, mach mal, du bist ja eh noch da." Richtig heftig aber, sagt Richtmann, traten die Konflikte in der Küche hervor: "Die Leute, die einen Klinikvertrag haben, meinen, sie können denen von der Leiharbeitsfirma sagen, was sie zu tun haben." Auf einmal gab es Mitarbeiter erster und zweiter Klasse, sagt er dazu. Sogar dritte Klasse gebe es noch - das sind die Kollegen von Fremdfirmen.
Diesen Mangel an Fairness wollten die drei und ihre Mitstreiter nicht hinnehmen - und auch nicht den nächsten Coup der RMPS-Geschäftsleitung. Die nämlich suchte sich als Partner für einen Tarifvertrag ausgerechnet die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) aus - jene Organisation also, die jetzt vom Bundesarbeitsgericht als Scheingewerkschaft eingestuft wurde (siehe Interview Seite 34). Früh klagten Richtmann, Bunge und Guillermo-Jaco auf gleiche Bezahlung. Als Betriebsräte luden sie einen Anwalt ein, der die Kolleginnen und Kollegen über die Rechtslage informierte. 15 bis 20 Klagen seien nach und nach zusammengekommen. Seit dem Sommer gilt nun zwar ein Zeitarbeits-Tarifvertrag mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund in der RMPS. Trotzdem könnte der Ausflug in Billiglöhne noch teuer werden - wenn nämlich Equal Pay für die zurückliegenden Jahre nachgezahlt werden muss. Schnell sind die drei wieder bei ihren politischen Forderungen: Das Lohndumping müsse aufhören - zumal in einem Krankenhaus in Trägerschaft des Landes Hessen. Und auch wenn die Sekretärin inzwischen einen neuen Job direkt an der Universität hat, auch wenn der Pfleger und der EDV-Mann von einer Rückkehroption Gebrauch machten, die das Klinikum qualifizierteren Kräfte eröffnete, setzen sie sich weiter für ihre Kollegen in weniger beachteten Jobs ein. "Du siehst diese Reiniger und merkst, die schuften auch den ganzen Tag", sagt Uwe Richtmann. "Dass die so wenig verdienen für so viel Arbeit - und die werden auch gebraucht - das ist einfach ungerecht. Das gehört geändert."